Fotoausstellung in Braunschweig: Zeigen und verbergen
Regelmäßig präsentiert das Museum für Photographie Bilder von Mitgliedern des Trägervereins. Dieses Jahr blicken sie zurück auf 40 Jahre Museum.
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Als der in Hannover lebende luxemburgische Fotograf Marc Theis 2017 im Braunschweiger Museum für Photographie ausstellte, galt eine seiner neu verfassten Bildreihen einem lokalen Kuriosum: der seit über 125 Jahren familiengeführten Tapetenhandlung Hossfeld. Theis hatte sich einfühlsam diesem bereits merklich aus der Zeit gefallenen Kleinod aus Warenlager, Produktpräsentation und Firmenarchiv genähert, generell einer dekorativen Branche, deren wohl letzte Blüte aus den 1970er-Jahren datierte. Um das Jahr 2022 wurde das Braunschweiger Geschäft aufgegeben.
Die Fotografin Eva-Maria Tornette, in Berlin lebendes Mitglied im Trägerverein des Museums, besuchte die sich leerenden Räume, dokumentierte Situationen und barg verschiedene Dinge, etwa das großformatige, bis zum Schluss gehütete Musterbuch. Ihre Fotoreihe mitsamt Installation aus einem Stück gelb-weiß gestreifter Tapete und eben jenem Wälzer ist nun der Eyecatcher der aktuellen Mitgliederausstellung des Museums.
Diese Querschnittsschau, „Entwicklung – 40 – Development“ tituliert, beschließt das Festprogramm zum 40-jährigen Jubiläum des Museums – wie die Zahl 40 und der Verweis auf eine Entwicklung, und markiere sie auch einen Ausklang oder gar ein Ende, unmissverständlich kundtun. Das partizipative Format der Mitgliederausstellung, das sich an die mittlerweile rund 175 Vereinsangehörigen aus Profis wie Laien der Fotografie richtet, gehört seit Anbeginn zum Konzept des Hauses.
Ritual zum Jahreswechsel
32 Mal wurde es auf die Beine gestellt und hat sich als Ritual rund um den Jahreswechsel verstetigt. Erstmals ist nun ein umfangreicher Katalog erschienen, gleichermaßen Dokumentation der Bildbeiträge wie Rückblick auf die Institutionsgeschichte und Würdigung des ehrenamtlichen Einsatzes der Mitglieder und des Vereinsvorstands
Nicht exakt 40, sondern 44 Ausstellende sind jetzt dabei, insgesamt sind weit über 100 Arbeiten in den beiden Torhäusern des Museums zu sehen. Das Thema wurde in großer Bandbreite angegangen. Sie reicht von sehr persönlichen Einblicken wie etwa einer geglückten Knieoperation, die Gerald Borchers in atmosphärischen Fotos aus seinen Therapiestationen einfing, über freie Assoziationen bis hin zu originellen Zugriffen. So sah sich Jan Gäbler zu einem Streifzug durch Braunschweigs Straßen motiviert und lichtete in perfekter Architekturdokumentation Bauwerke mit der Hausnummer 40 ab. Darunter: eine Tankstelle, eine Speicheranlage im Gewerbegebiet, aber auch die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs.
Entwicklung – 40 – Development: bis 26.1.25 im Museum für Photographie Braunschweig; es erscheint ein Katalog
Renate Fink inszenierte in eindringlichem Schwarz-Weiß eine Dose des unter Oldtimerfans geschätzten Sprays WD 40, das selbst verrostete Schrauben oder festsitzende mechanische Teile wieder gangbar zu machen verspricht – inmitten alter Maschinen bedingter Funktionsfähigkeit. Helge Paulsen steuert eine fotografische wie textliche Ode an das 40-mm-Objektiv der analogen Kamera bei, sowie an die Interaktion von menschlichem Auge, apparativer Technik und künstlerischem Bildwollen.
Beuys in Neon
Mehrere Verfasser:innen beziehen sich direkt auf das Jahr 1984. Vivien Slopianka porträtierte Menschen dieses Geburtsjahrgangs, Johann Zambryski entsann sich der megalomanen Leistungsschau „von hier aus“ in jenem Jahr. Für zwei Monate wollte sie „neue deutsche Kunst“ zeigen, versammelte dafür Werke von rund 60 prominenten Künstler:innen auf 14.000 Quadratmetern einer Düsseldorfer Messehalle. Die Titelzeile lieferte Joseph Beuys: Neonbuchstaben in seiner Handschrift vor suggestiv grünem Hintergrund. Zambryski entnahm seinem Archiv eine Schwarz-Weiß-Fotografie eines Textfragments, dessen Zusammenhang sich nicht mehr direkt erschließt: Erinnerungslücke – oder Kritik an dem verhobenen Anspruch jener Ausstellung?
Man sieht: Fotografie ist mehr als ein Bild zu liefern. Sie ist das Ergebnis einer bewussten Entscheidung, welche Situation als wichtig erachtet wird, um sie zu fotografieren, besser: sie so zu fotografieren, wie sie erscheinen soll. Betrachtende wiederum müssen lernen, eine Fotografie zu lesen. Denn sie isoliert Dinge aus dem Kontext, vermag mehr zu verbergen als offen zu zeigen. Schön, wenn eine Ausstellung einer fotografischen Institution einmal eher beiläufig solche Qualität demonstriert.
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