Fotoausstellung „Steindamm Atlas“: Der Glanz des Hamburger Bahnhofsviertels
Fotografin Alexandra Polina tritt gegen die Manie der Tiefe an. Ihre Hamburger Ausstellung zeigt, dass Schönheit und Liebe Oberflächenphänomene sind.
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Ob seiner vielen Bewohner, die nicht nur in Deutschland Familie haben, wird er schnell der Ansammlung übler Parallelgesellschaften verdächtigt. Beim Wort „Steindamm“, da zuckt es auch dem erklärt linksliberalen Hanseaten leicht um die Mundwinkel. Hamburgs Tourismus-Zentrale indes säuselt über den Steindamm werbig: „Die Straße schläft niemals und ist wie ein Kurzurlaub in eine andere Welt.“
„Die Gegend hat mich überwältigt, irritiert und begeistert“, schreibt wiederum Alexandra Polina auf einer einleitenden Tafel zu ihren Arbeiten. Sie hat die Überschrift dazu in feiner und geschwungener, goldener Schrift gehalten. Das ist natürlich kein Zufall. Das ist im Gegenteil genau überlegt.
Und wir schauen abwechselnd auf den stolz in den Himmel blickenden Sikh und auf seinen himmelblauen Turban. Wir blicken auf den jungen Mann im ausgeschnittenen, hellen und engen T-Shirt, der liebevoll sein Motorrad umarmt hält; wir betrachten die Frau, die ihr Gesicht abgewandt hat: „My family is my life“, spricht stattdessen das Tattoo, das ihren Hals ziert.
Bilder brauchen keine Titel
Die Bilder sind auf Platten gezogen, aufrecht stehen sie da, nichts hängt distanziert gerahmt hinter Glas, ohne Titel. „Titel?“, fragt Alexandra Polina zurück. Sie zeige doch, was zu sehen ist.
Es gibt zu alldem eine persönliche Geschichte, die womöglich den Grundstock für Alexandra Polinas Auseinandersetzung mit der Steindamm-Welt gelegt hat. Gut 20 Jahre ist das Erlebte her. Damals wechselt Polinas Familie aus ihrem Herkunftsland Usbekistan nach Deutschland: „Bevor wir umgezogen sind, haben uns unsere Eltern Geld gegeben, damit wir gute Klamotten kaufen können; damit wir uns gut präsentieren können, wenn wir in Deutschland ankommen“, erzählt sie.
„Ich habe mir eine rote Lackjacke gekauft, die ein bisschen nach Latex aussah, dazu eine rote Netzstrumpfhose.“ Das Ergebnis ist Quell einer produktiven und klugen Auseinandersetzung um die Kräfte wie Fallstricke visueller Codes in der Stadtgesellschaft: „Als ich die Sachen in Deutschland getragen habe, waren die Leute völlig irritiert: Sie haben mich komplett anders eingeordnet als da, wo ich herkam.“
Seit sie auf dem Steindamm wohnt, begegnet ihr genau diese Diskrepanz immer wieder: Was die einen mit Spott bis Abscheu betrachten, ist der ganze Stolz der anderen. Dagegen tritt sie an: „Man denkt, die Denkkonstruktion, mit der man groß geworden ist, wäre die einzig Richtige – und alles andere stempelt man als Kitsch ab. Und ich frage: ‚Wo bitte ist das Kitsch?‘“
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Polina misstraut der deutschen Aufwertung vermeintlicher Tiefe. „Ich feiere die Oberfläche; ich zelebriere sie auf das Äußerste“, sagt sie. Sie tut das auf dem Weg einer liebevollen Betrachtung. Die wiederum dazu einlädt, ganz genau hinzuschauen, gerade auch auf vermeintliche Unvollkommenheiten: Der blau lackierte Nagel des Fingers der Hand, die einen edel blitzenden Verschluss zusammenknipst, müsste mal wieder aufgefrischt, auf der spiegelglatten Motorhaube müssten noch Wischtuch und Abzieher weggeräumt werden.
Überhaupt sind auffällig oft Autos zu entdecken: „Ich selbst habe kein Auto, aber mich fasziniert, was es für Menschen bedeutet.“
Ausstellung „Steindamm Atlas“, Freelens-Galerie, Alter Steinweg 15, Hamburg, Geöffnet Mo–Do, 11–18 Uhr. Bis 13. 2. 25
Womit wir bei ihrer jetzt schon legendären Penny-Porsche-Prada-Arbeit wären, ziemlich zu Anfang ihres Projektes entstanden, an dem sie seit fünf Jahren arbeitet. Zentral ist es in der Galerie aufgestellt, ein ikonisches Bild, nahezu ein Markenzeichen für Polinas Arbeit.
Nicht recherchierend gesucht, sondern ziemlich zu Anfang ihrer Entdeckungsreise einfach gefunden: Da sitzt ihr Freund zum Rauchen im offenen Fenster ihrer Wohnung, schaut auf den Steindamm-Penny-Markt gegenüber, vor dem just ein knallgelber Porsche parkt, im Hintergrund prangt auf dem Rollgitter des Discounters der gesprayte Schriftzug „Prada“.
Und er meint: Sie müsse sofort runter, das fotografieren. Erst wollte sie nicht: „Ich hatte doch schon meine Zuhause-Klamotten an.“ Sie ging dann aber doch, mit Kamera und Blitz ausgerüstet, und musste erst mal den just eingetroffenen Fahrer des Porsche bequatschen, sich mit dem Wegfahren noch Zeit zu lassen. Und auch das hat natürlich geklappt.
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