Foto-Ausstellung: Schein und Sein
Die Haut ist das größte menschliche Organ und zugleich sehr verletzbar. Wie dieses Organ in Mythen, Politik und Kunst thematisiert wird, zeigt derzeit das Hamburger Kunsthaus.
HAMBURG taz | So dünn ist sie gar nicht: Sie hat drei Schichten, die verschiedenen Funktionen dienen. Sie schützt, verziert, transpiriert und birgt in jeder Zelle das Erbgut für den ganzen Menschen: Die Haut, schon im alten Griechenland sagenumwoben - man denke an die Häutung des Marsyas, der eine Wette gegen den Gott Apoll verlor - und zu Unrecht missachtet, ist das größte menschliche Organ.
Aber sie ist verletzbar. Störanfällig, würde ein Techniker sagen. Radioaktiver Strahlung etwa hat sie nichts entgegenzusetzen. Darüber müsste man nicht weiter reflektieren, wäre dies nicht den Hiroshima-Opfern am 6. August 1945 zum Verhängnis geworden: Sie starben, und ihre Kleider überlebten, mit ein, zwei Brandlöchern bloß.
Makabere Relikte
Die japanische Fotografin Ishiuchi Miyako hat diese makaberen Relikte 2007 abgelichtet. "Hiroshima ist die tiefste Wunde der Welt", hat sie einmal gesagt und betont, dass sie eine dokumentarische, aber keine politische Fotografin sei. Jedenfalls nicht in erster Linie; Symbolik gegen den Krieg schließt sie natürlich nicht aus.
Im Hamburger Kunsthaus sind die Fotos derzeit zum ersten Mal in einer Ausstellung zu sehen, die nicht Hiroshima gewidmet ist. "Haut. Mythos und Medium" heißt die Schau, und zunächst wirken die Kleider und Strümpfe auf weißem Grund wie unverbindliche Stillleben. Doch das Vergnügen an der morbiden Ästhetik wirkt nur Sekunden: Sobald man weiß, kippt die Wahrnehmung in konkretes Schockiertsein. Außerdem stellt sich die Frage nach Schein und Sein, nach dem, was sich unter der Oberfläche verbirgt: Für genau diese Ambivalenz steht ja die Haut.
Täuschender Friede
Ein Beispiel für diese Diskrepanz sind die "Schlachtfeld"-Fotos von Silke Hönig. Großflächige Wiesen, wogende Kornfelder, winterliche Ebenen sind das, bunt, groß und wie geschaffen für einen edlen Fotokalender. Friedlich und ästhetisch liegen sie da, doch das täuscht: Es sind Schlachtfelder vergangener Jahrhunderte, dem Vergessen durch Überwucherung anheim gefallen. Und ganz leise schwingt die Frage mit, wie man eigentlich umgehen sollte mit solchen Orten; ob man es hier einer eigenen Kartographie bedürfte, die Vergangenes kenntlich macht.
Den Spagat zwischen vordergründiger Ästhetik und oft tragischem, jedenfalls ernstem Hintergrund schafft diese Schau gekonnt: Was soll man sich zum Beispiel denken bei den kleinen, adretten Krokodil-Handtäschchen von Akihiro Higushi, auf einem kleinen Bord präsentiert wie im Designerladen? Nichts - außer, dass sie aus dem Material von Godzilla-Spielfiguren gefertigt wurden. Man erinnert sich: Godzilla war jenes durch atomare Mutation entstandene japanische Filmmonster, das irgendwo zwischen Tyrannosaurus Rex, Gorilla und Wal rangierte.
Eigentlich, sagt Kunsthaus-Leiter und Kurator Claus Mewes, war das als Witz gedacht. Ersonnen lange vor Fukushima. Dann passierten dort Beben, Tsunami, Kernschmelze, und die Täschchen wurden mit Bedeutung aufgeladen, wurden zum Politikum in einer Schau, die eigentlich nur wegen des 150. Jahrestages der deutsch-japanischen Freundschaft so viele japanische Künstler zeigt. Und die eigentlich lediglich facettenreich und assoziativ sein wollte.
Natürlich, eine rein politische Schau ist es trotzdem nicht geworden. Die verfließenden Aquarell-Gesichter von Nobuyuki Osaki etwa sind ein vergnüglicher Stimulans für die eigene Imagination. Doch da ist auch der Film "Powers of Ten" zu sehen, der in Zehnerpotenzen ans Ende unserer Galaxie reist und dann zurück bis ins winzigste Atom. Da kann man die Frage nach der Existenz von Materie, nach der Grenze der Wissenschaft und nach Gott stellen. Außerdem lässt sich der 1968 gedrehte Film als Kritik an der geplanten Kolonialisierung des Mondes lesen: Der west-östliche Wettlauf um den ersten bemannten Flug lief damals auf Hochtouren.
Zugegeben, mit dem Thema "Haut" hat dieses Exponat wenig zu tun, allenfalls mit deren Zerlegbarkeit. Doch die Fotos von Adidal Abou-Chamat, die den Kolonialisierungskritiker Frantz Fanon und die Tänzerin Josephine Baker zeigen, haben mit der Haut genauso wenig zu tun - wenn man davon absieht, dass Hautfarbe ein Auslöser für Rassismus ist.
Das Artefakt Abou-Chamats ist in der Tat abenteuerlich: Ausgerechnet Fanon, der 1952 das Buch "Schwarze Haut, weiße Masken" schrieb und gegen den Kolonialismus wetterte, wird hier von einem hellhäutigen Double im hellen Kolonialisten-Anzug samt Gewehr abgebildet. Und Josephine Baker, in den 30er Jahren als freizügige Tänzerin bekannt, trägt Schwarz sowie einen Bananen-Gürtel. Sie schaut provokativ, und man fragt sich: Warum hat diese Frau - Double hin oder her - das angezogen? Um das Klischee zu betonen und zugleich zu brechen?
Gleich gegenüber hat sich Lisl Ponger mit der Ausbeutung des afrikanischen Kontinents befasst und eine merkwürdige Ahnenreihe erstellt: Missionare, Kaufleute, Ethnologen, Touristen und Künstler hat sie ausgemacht und sich diese Worte auf den Arm tätowieren lassen. Bis auf den Künstler sind alle durchgestrichen.
Ein Foto hält die Tätowierung fest. Und genau hierdurch - durch die Erstellung eines weiteren Artefaktes - wird sie Teil der Kolonisierung, die sie all jenen Künstlern vorwirft, die von den "exotischen" Motiven anderer Kontinente profitierten. So reiht sie sich ein in die Ausbeuter, aber sie sagt es immerhin laut. Ob das strukturell etwas ändert? Sicherlich wäre sie nicht abgeneigt, das Foto zu verkaufen. Und damit vom Kunstmarkt zu profitieren und die inhärente Kritik zur verkäuflichen Ware zu machen.
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