Forscherin über zuviel Regen im Norden: „Keine Insel der Seligen“
Unser Wasserhaushalt ist aus dem Gleichgewicht. Systemwissenschaftlerin Claudia Pahl-Wostl von der Uni Osnabrück erklärt, was jetzt zu tun ist.
taz: Frau Pahl-Wostl, es regnet, seit vielen Tagen schon, teils unwetterartig. Das müsste Sie doch freuen, oder?
Claudia Pahl-Wostl: Prinzipiell ist es natürlich positiv, dass wir überhaupt Regen haben, dass dieses Jahr eine Sommerdürre ausbleibt. In weiten Teilen Deutschlands ist es in den unteren Bodenschichten zwar immer noch relativ trocken, aber die oberen sind oft gut mit Wasser versorgt. Für die längerfristige Stabilisierung des Wasserhaushalts sind die Massen, die jetzt in kurzer Zeit zusammenkommen, allerdings nicht sehr hilfreich.
Woran liegt das?
Vielfach fließen sie ungenutzt ab. Wir sehen das an den Hochwasserständen unserer Flüsse. Unsere Landschaft ist stark versiegelt, und das reduziert ihre Rückhaltekapazität. Insgesamt wäre es wünschenswert, wenn diese Niederschläge ausgeglichener kämen. Aber in Zukunft werden wir mit immer mehr Unvorhersehbarkeit leben müssen, mit immer mehr Extremen, sowohl in Richtung Starkniederschlag als auch in Richtung Dürre.
Diese Art des Herabflutens ist also kein Hoffnungsschimmer, sondern ein weiteres Alarmzeichen?
In der Regen-Statistik sieht es dadurch vielleicht ganz gut aus im Jahresmittel, aber rein praktisch bewirken die Intensivniederschläge dieses Sommers nicht, dass sich die Grundwasserspeicher auffüllen; die erneuern sich ja ohnehin primär im Winter. Seit einem Jahrzehnt nimmt die Grundwasserneubildung kontinuierlich ab. Das ganze System hat ein sehr langes Gedächtnis.
Was sagen Sie jemanden, der die derzeitige Wetterlage nutzt, um die Klimakrise zu leugnen? Ist schließlich nicht gerade warm derzeit, und von Dürre keine Spur …
Ein einziger Blick über unsere Landesgrenzen hinweg reicht, um zu sehen, vor welchen Problemen wir stehen. Was wir derzeit im Mittelmeerraum erleben, diese extreme Hitzeperiode, ist ein klarer Indikator für die Klimakrise. Wer mir nur auf Grund von zwei Wochen Regen sagt, diese Krise gebe es nicht, leugnet jede wissenschaftlich fundierte Argumentation.
Weil Klima etwas Längerfristiges ist?
Genau. Im Übrigen sind auch die immensen Regenmengen hier bei uns ein Indiz für die Krise. Das ist ja statistisch nicht normal. Die Krise ist real und Deutschland ist keine Insel der Seligen.
Was machen wir falsch in Bezug auf den Wasserhaushalt?
Es gilt, die Speicherkapazitäten zu erhöhen, in der Stadt wie in der Landschaft, technisch wie natürlich; das ist für Starkregen wichtig und gut, aber auch für Dürreperioden. Wir müssen aufhören, so große Flächen zu versiegeln. Wir müssen erkennen, dass Flüsse Raum brauchen, nicht in betonierten Kanälen fließen sollten; dann kann das Wasser bei Starkregen in die Breite ausweichen, was die Grundwasserreserven auffüllt. Hilfreich ist, Moore zu renaturieren. Auch in der Forstwirtschaft gibt es Potenzial. Gut wäre, das Wasser wieder stärker im Wald zu halten. Früher hatten Wälder viel mehr Sumpfgebiete. Aber dann wollte man möglichst profitabel Bäume ernten, und viele weiche Flächen, auf die man nicht drauf kommt mit schwerem Gerät, wurden beseitigt.
63, Professorin für Ressourcenmanagement, lehrt und forscht am Institut für Umweltsystemwissenschaft, Institut für Geografie, der Universität Osnabrück. Sie ist Systemwissenschaftlerin und arbeitet an der Schnittstelle zwischen Natur- und Sozialwissenschaften.
Und die Landwirtschaft? Sie entnimmt der Landschaft ja große Mengen an Wasser.
Oft ist noch nicht einmal bekannt, wie viel. Das sollte man kontrollieren, und dann muss man diesem Wasser einen Preis geben. Die Landwirtschaft kann wirklich viel tun, und teils tut sie das auch schon. Ein Beispiel: Sie sollte das Wasser ruhig länger auf den Feldern lassen, es versickern lassen statt es abzuleiten. Auch Agroforstwirtschaft ist eine Chance, wo Bäume sich mit dem Anbau von Ackerfrüchten mischen.Und mehr ökologische Landwirtschaft wäre von Vorteil, denn deren Böden halten mehr Wasser.
An Wissen fehlt es also nicht?
Was man tun kann, ist bekannt. Es hapert an der Umsetzung; und es fehlt an koordiniertem Handeln.
Manche sagen ja: Mein Pool braucht jede Woche frisches Wasser, mein Garten jeden Tag.
Viele Privathaushalte zeigen leider kaum Einsicht. Man entnimmt Wasser, wann und so viel man will, zumal im Sommer. Das ist fatal. Diese Spitzenverbräuche müssen wir brechen. Man kann ein Wasserwerk ja nicht auf sie ausrichten. Wenn ich so viel Kapazität bereitstelle, diese aber zu anderen Jahreszeiten nicht genutzt wird, habe ich abgesehen von hohen Kosten weitere Probleme: Das Wasser hat dann eine lange Verweilzeit in der Leitung, und muss womöglich gechlort werden.
Der Deutsche verbraucht Wasser, als gäbe es kein Morgen.
Der indirekte Wasserverbrauch pro Kopf liegt bei circa 7.000 Litern pro Tag, für alle Produkte, die wir konsumieren. Dazu kommen 130 Liter täglich als Trinkwasser. Aber es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu verändern. Wir können naturnähere Gärten anlegen, die Toilette mit Brauchwasser spülen, unseren Fleischkonsum reduzieren, der viel mehr Wasser braucht als der Anbau pflanzlicher Nahrungsmittel.
Viele nervt das derzeitige Geprassel nur. Dass das Wacken-Festival ins Wasser gefallen ist, ist Republikgespräch. Fehlt da der Blick fürs große Ganze?
Man sollte nicht immer auf die schauen, die sich beschweren und Probleme nicht wahrhaben wollen. Viele sehen, da ist was aus den Fugen geraten, werden aktiv. Klar ist: Wir müssen viel besser mit unseren Ressourcen umgehen, unseren Wasserverbrauch insgesamt reduzieren.
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