Forscherin über Musik und Kaufverhalten: „Wegen Musik kauft man kein Auto“
Bei italienischer Musik im Laden kaufen wir eher italienischen Wein als französischen. Die Lüneburger Forscherin Monika Imschloß erklärt, warum.
taz: Frau Imschloß, kaufen Sie mehr Pizza zu Liedern von Eros Ramazzotti?
Monika Imschloß: Wie die meisten Menschen würde ich sagen: Natürlich nicht – ich bin zu rational, um davon beeinflusst zu werden.
Stimmt das?
Nein. Gerade weil wir diese starke Überzeugung haben, sind wir relativ wehrlos und besonders empfänglich für die Wirkung von Musik und anderer sensorischer Reize beim Einkauf.
Wer ist besonders „anfällig“?
Wenn man von vornherein eine bestimme Kaufintention hat, ändern musikalische oder atmosphärische Reize wenig daran. Sie wirken vor allem dann, wenn wir noch keine fixe Entscheidung getroffen haben. Oder wenn wir keine Liste haben, mit der wir einkaufen gehen, sondern uns inspirieren lassen wollen.
Hängt die Manipulierbarkeit auch vom Wert der Ware ab?
Auch. Ich würde immer sagen: Nur weil gute Musik spielt, kauft sich niemand ein Auto. Musik befördert vielmehr Tendenzen, die sowieso in uns sind. Wenn Sie sich vornehmen, einen Riesling zu kaufen, kaufen Sie keinen italienischen Wein – nur weil in der Weinabteilung italienische Musik spielt. Je klarer ich weiß, was ich will, desto weniger beeinflussbar bin ich.
In welcher Art Läden ist man am beeinflussbarsten?
Das kann man so generell nicht beantworten. Es gibt zum Beispiel HändlerInnen, deren Musik eine bestimmte Zielgruppe ansprechen soll. Andere spielen Musik, um ein bestimmtes Markenimage zu vermitteln. Wieder andere lassen Musik laufen, die ihnen selbst gefällt. Bei großen Verkaufsflächen kann man auch verschiedene musikalische Zonen einrichten. Unabhängig von der Branche gibt es natürlich generalisierbare Effekte – etwa, dass man bei schneller Musik schneller durchs Geschäft geht, während man bei langsamer Musik eher länger verweilt und tendenziell mehr kauft.
Welche Rolle spielt die Art der Musik, zum Beispiel im Supermarkt?
38, ist seit 2020 Professorin für BWL an der Lüneburger Leuphania-Universität und erforscht Marketing und Konsumverhalten. Kürzlich errang ihr Vortrag beim Science Slam des Deutschen Marketing-Tages in Frankfurt/M. den ersten Platz.
Es kommt drauf an, was der Supermarkt erreichen möchte. Manche wollen bestimmte Produktattribute betonen. Wenn man in einer Obst- und Frische-Abteilung das Attribut „Frische“ betonen will, braucht man eine andere Musik, als wenn man in der Weinabteilung das Attribut „Gemütlichkeit“ hervorheben will. Solche Konzepte entwerfen allerdings nicht die HändlerInnen, sondern – vor allem bei Ketten, die sich das leisten können – professionelle Sound-Agenturen. Teils erstellen sie auch eigene Infotainment-Programme mit Wetter- und Nachrichtenschnipseln, um ein Einkaufserlebnis zu schaffen, das unserer Alltags-Hörgewohnheit entspricht: Wir hören nebenbei, und wir kaufen nebenbei.
Warum beeinflusst Musik Menschen eigentlich so stark?
Da ist einmal die physische Aktivierung von Herz und Kreislauf. Den Effekt kennen wir vom Joggen: Unser Herz schlägt bei flotter Musik schneller, wir bewegen uns schneller. Zweitens vermittelt Musik Stimmungen und erzeugt so Emotionen. Manche Musik ist melancholisch, andere macht gute Laune. Dann gibt es das Priming, bei dem ein externer, von der Kaufentscheidung eigentlich unabhängiger Reiz Einfluss nimmt, weil er bestimmte Gedächtnisinhalte anspricht und Assoziationen aktiviert. Studien zeigen, dass bei französischer Musik mehr französischer als italienischer Wein gekauft wird. Bei spanischer Musik wird im Lokal mehr Paella geordert. Da wird etwas „Landestypisches“ aktiviert, und wenn ich eine Präferenz dafür habe, überträgt sich das auf meine Entscheidung. Am spannendsten finde ich allerdings die „crossmodalen Korrespondenzen“.
Bedeutet?
Dabei geht man davon aus, dass der Sinneseindruck in einem Bereich – zum Beispiel der Musik – einen Einfluss darauf hat, wie ich Reize in einem anderen Bereich wahrnehme. Wenn ich einen Soundtrack höre, der fein und elegant ist, dann bewerte ich auch einen Wein als feiner und eleganter im Geschmack. In einer Studie haben mein Team und ich diesen Übertragungseffekt nachgewiesen: Wir haben gezeigt, dass das Hören von weicher Musik dazu führt, dass Menschen Stoff als weicher wahrnehmen, als wenn Musik läuft, die gemeinhin als „hart“ wahrgenommen wird. Da überträgt sich die auditive auf die haptische Wahrnehmung.
Das klingt sehr manipulativ.
Das kommt darauf an, wie man Manipulation definiert. Natürlich muss man das kritisch betrachten, aber man kann es auch als Inspiration oder Entscheidungshilfe definieren. Und es gibt ja Grenzen: Einen wirklich groben Stoff empfinden wir auch bei weicher Musik nicht als weich, das haben wir getestet. Musik verstärkt also die Wahrnehmung vor allem von Eigenschaften, die dem Produkt inhärent sind. Wir können dadurch aber meist keine neue Wahrnehmung hervorrufen. Da begänne dann für mich die Manipulation.
Und was hat es mit Ihrer „High Trust“-Musik für Apotheken auf sich?
Die haben wir im Zuge einer Studie komponieren lassen. Dafür haben wir zunächst Menschen gefragt, wie sich Vertrauen anfühlt – etwa das Vertrauen, gut beraten zu werden und die richtige Entscheidung zu treffen. Danach sollten die Teilnehmenden beschreiben, wie sich Vertrauen musikalisch ausdrücken ließe. Dabei kam heraus, dass es ein eher langsamerer, gleichmäßiger Rhythmus war. Andererseits wurde Vertrauen oft mit „Optimismus“ beschrieben. Letztlich kam eine Musik mit gleichmäßigem Rhythmus heraus, in den kurze Sequenzen aufsteigender Töne eingebaut waren.
Der Gegenpol wäre lautstarke Disco-Musik in Jugend-Bekleidungsshops, die Ältere gezielt ausgrenzt.
Gezielt würde ich nicht sagen. Es ist eher ein Nebeneffekt der auf die Zielgruppe der Jugendlichen zugeschnittenen Atmosphäre, die dafür sorgt, dass ihre Eltern meist lieber draußen bleiben.
Was bedeutet die Dauermusik für die MitarbeiterInnen dieser Läden?
Ein sehr wichtiger Aspekt, den wir in unseren Studien immer mit abfragen. Wir hören dann oft, dass es um Lautstärke geht. Darum, die Lautstärke selbstständig verändern zu können. Das ist bei Ketten oft nicht der Fall. Oder es geht darum, dass man auch mal stille Phasen hat – zum Beispiel eine Stunde am Tag keine Musik. Oder zwei Stunden, in denen die MitarbeiterInnen bestimmen können, was gespielt wird. Das sollten die Chefs im Gespräch mit den MitarbeiterInnen herausfinden und eine gute Lösung finden. Denn eine wichtige Säule des stationären Handels ist der Service. Und dafür müssen sich die VerkäuferInnen wohlfühlen.
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