Elektronische Tanzmusik von rRoxymore: Bergauf beschleunigen

Eine Begegnung mit der in Berlin lebenden französischen Elektronikproduzentin rRoxymore. Und ihrem knisternden neuen Album „Perpetual Now“.

Die französische Produzentin rRoxymore lehnt an einem Pfosten in einem Raum

Macht Musik mit Tischen und Teekannen, wenn es geht: rRoxymore Foto: Tonje Thilesen

Das Oxymoron als rhetorische Figur und Technik der bildenden Kunst verbindet Begriffe, die sich eigent­lich widersprechen: Clair-obscur, wie die prägnanten Hell­dun­kel­kontraste in der Renaissance-Malerei genannt werden, die zum Beispiel Gegenstände in Gemälden von Techno­bolzern wie Rembrandt und Caravaggio ungleich dramatischer erscheinen lassen.

„Clair-obscur“ ist das Lieblings­oxymoron von Hermione Frank. Deshalb nennt sich die Französin als Elektronikproduzentin rRoxymore: ein Sprachspiel mit Oxymore, Französisch für Oxymoron, und Roxy. Her­mione Frank rRockt das Oxymoron, gleich doppelt. Roxy, erklärt die in Berlin lebende Künstlerin, habe für sie jedoch einen feministischen Unterton.

Elektronische Musik war bis vor nicht allzu langer Zeit eine Männerdomäne. Auch wenn der US-Komponist Charles Ives in seinem berühmten Essay „The Music and its Future“ einst deklamierte, „Musik ist göttlich. Wenn etwas daran schlecht klingt, kommt es von meinen fehlgeleiteten Schlussfolgerungen“, so waren in seiner romantisierenden Metapher Komponistinnen nicht ausdrücklich angesprochen.

Sie kommen allmählich an

Obwohl bei Ives anklingt, dass die elektronische Musik der Zukunft Grenzen überwindet und Pionierinnen wie Eliane Radigue in ihrem Schaffen fortwährend Grenzen eingerissen hatten, haben sie für ihre Anerkennung ungleich länger gebraucht als die Kollegen.Hermione Frank sagt im Interview mit der taz ausdrücklich, es habe sich seither viel getan, nicht nur in Berlin gibt es Netzwerke, die sich der Förderung von Künstlerinnen verschrieben haben. „Wir kommen allmählich an.“ Das Problem sei eines von Gate-Keeping. „Musikbiz ist ein seltsames Geschäft.

rRoxymore: „Perpetual Now“ (Smalltown Supersound/Rough Trade)

Die Aufmerksamkeitsökonomie ist zu 90 Prozent in männlicher Hand.“ In ihrer französischen Heimat werde sie oft für eine Britin gehalten, aufgrund der Tatsache, dass sie einige Platten beim britischen Label Don’t be afraid veröffentlicht hat. Ihr fehle die Anerkennung, da seien „einige einflussreiche Typen“ davor.

Gern wird auf Berlin als Auffangbecken für eine kosmopolitische Künstlerklasse her­ab­gesehen, die es sich in der Hauptstadt gutgehen lässt. „Der Zugang zur elektronischen Musik ist viel unkomplizierter als etwa in Paris. Auch in Berlin ist es inzwischen schwieriger geworden, Räume zum Arbeiten zu finden. In anderen Weltstädten ist das so gut wie ausgeschlossen, da unbezahlbar. Wenn es einen Einfluss von Berlin auf meine Musik gibt, dann den, dass die Stadt meine künstlerische Freiheit fördert. Elek­tro­ni­sche Musik gehört zur DNA von Berlin.“

Die Norwegen-Connection

Trotzdem gut, dass rRoxymore mit ihrem neuen Album „Perpetual Now“ beim norwegischen Label Smalltown Supersound gelandet ist, was von Haus aus eine angenehm skandinavisch-saloppe Beziehung zur elektronischen Musik (und ihren strengen Genre-Gesetzmäßigkeiten) führt und neben der Französin weitere begabte Künstlerinnen aus aller Welt fördert. Darauf enthalten sind vier längere Tracks. Enorm spannungsreiche Musik, bei der er sich lohnt, in die Details einzusteigen.

„Wir stehen konstant unter Zeitdruck. Dieser Zustand hat sich durch die permanente Alarmstimmung der sozialen Medien noch verschärft. Meine Ausgangsidee für die Musik war, dass ich ihren Zeitrahmen erweitere. Musik hat keine Zeitschranken. Ich spiele daher gern mit Dauer und Takt (Englisch beides time), um Grenzen zu verschieben.“ Ein Teil der Aufnahmen war ursprünglich für das zeitgenössische Tanzstück „Lucky Number“ der schwedischen Choreografin Stine Nyberg konzipiert.

Der erste Höreindruck von „Perpetual Now“ täuscht nicht. rRoxymore bringt in ihrem Sound Gefühle und Geräusche zum Klingen, die bei anderen aus der Formensprache herausgesiebt sind. Trotzdem bleibt sie reduziert. Ihre Build-ups sind mäandernde Gebilde, Algenteppichen nicht unähnlich.

Kunstvoll und ungekünstelt zugleich

Wie im Auftakt „At the Crest“ die Rhythmusspur mit Stolpergeräuschen ausgeflaggt ist, um die Bergauf-Beschleunigung der Musik anschaulich werden zu lassen, das hat etwas Kunstvolles und zugleich Ungekünsteltes. Manchmal führt rRoxymore ihre Loops auch ins Nichts, wie bei „Sun in C“, wo ein Synthesizer-Arpeggio nach rund sechs Minuten von einem Saxofon aufgelöst wird, das wiederum sehr jazzy klingt.

Aufgewachsen ist Hermione Frank im südfranzösischen Montpellier, im Musik-begeisterten Elternhaus wurde Wert auf Jazz gelegt. Schon als Kind hat sie der Vater nach Antibes zum Jazzfestival mitgenommen. „Ich höre heute nur noch selten Jazz, aber die Musik bleibt in mir verwurzelt, ich kann sie als quasi natürliche Referenz aufrufen.

Schon als Jugendliche mochte ich die Konzepte, die mit Jazz in Zusammenhang stehen: Der Freiheitsgedanken, der mit der US-Bürgerrechtsbewegung zu tun hat; das Upliftende, das wiederum mit einem starken Willen verbunden ist. Es hat Auswirkungen auf den Sound von Jazz. Außerdem respektiere ich das Können der Mu­si­ke­r:in­nen.“ Am ehesten hört man diesen Einfluss in der Musik von rRoxymore an ihrem Beatdesign. Ihre Grooves schlingern behutsam vorwärts und wirken dabei zugleich fingerschnipsend locker. „Ich stelle mir schon beim Aufnehmen die Räume vor, in denen meine Musik gespielt werden könnte.“

Akusmatische Musik

Für den charakteristischen Klang von „Perpetual Now“ ist noch etwas anderes ausschlaggebend. Seit Hermione Frank am Konservatorium die Geschichte von musique concrète und elektroakustischer Musik studiert hat, steht sie im Bann der „akusmatischen Musik“, wie elektroakustische Musik auch genannt wird. Es ist Musik, die auf die Wiedergabe durch Lautsprecher angewiesen ist. Diese werden zum Instrument, funktionieren wie Fotoalben und liefern klangliche Schnappschüsse, Abbilder der akustischen Realität.

Was in der Entstehungsphase der akusmatischen Musik im Frankreich der 1950er Jahre teilweise noch an der technischen Limitierung der Tonbandgeräte gescheitert ist, kann rRoxymore heute mit einem minimalen Equipment unkompliziert inszenieren.

„Fast alle Protagonisten der Musique concrète haben mit Umweltgeräuschen gearbeitet und diese in ihr Werk überführt. Ich habe dadurch den Werkzeugcharakter meiner Instrumente besser begriffen und mir gestattet, mit dem zu komponieren, was mich an Klängen umgibt. Hier ist ein Tisch, auf dem eine Teekanne steht, mit beiden kann ich Musik erzeugen. Das ist etwas, was mir am Dancefloorsound manchmal fehlt, der Experimentierwille. Ich bleibe offen, lasse mich ein auf Abenteuer. Was das anbelangt, liegt mir die Avantgarde näher.“

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