ForscherInnen warnen vor Impfeuphorie: Optimismus macht unvorsichtig

Menschen neigen angesichts guter Nachrichten zu Leichtsinn, zeigt eine Studie. Für die Corona-Impfungen lässt das nichts Gutes erwarten.

Ausschnitt Impfpass mit Aufkleber der Coronaimpfung und handscchriftlichem Datum

In diesem Impfpass fehlt noch die zweite Eintragung. Nur eine Dosis reicht nicht Foto: dpa

STOCKHOLM taz | Die Erwartung, sich bald impfen lassen zu können, kann Menschen gefährlich unvorsichtig machen. Das zeigt die schwedische Forschungsstudie „Anticipation of COVID-19 Vaccines reduces social distancing“, die das Research Institute of Industrial Economics jetzt veröffentlicht hat. So könne sich das Virus noch rascher ausbreiten, fürchten die ForscherInnen.

„Positive Informationen über Effektivität und Zugänglichkeit eines Impfstoffs mindern den Willen, die Empfehlungen zur Wahrung sozialer Distanz und guter Hygieneroutinen einzuhalten“, fasst Ökonomieprofessor Erik Wenström, Mitverfasser der Studie, zusammen: „Sie glauben dann, dass sich das Leben schneller wieder normalisiert, was ihre Aufmerksamkeit und ihre Bereitschaft, den Empfehlungen der Behörden zu folgen, zu verringern scheint.“

Wirklich überraschend sei eine solche Reaktion nicht, betonen die WissenschaftlerInnen. Menschen seien nun einmal gerne zuversichtlich, wollten lieber mit positiven Visionen als sorgenvoll in die Zukunft blicken. „Optimism bias“ nennen Sozialpsychologen diese Tendenz.

Die Crux sei, dass „solcher Impfoptimismus zu einem schlechteren Gesundheitsverhalten führen kann“. Politik und Gesundheitsbehörden müssten sich dessen bewusst sein, empfiehlt die Studie: Wenn die Impfungen begännen, seien keine Lockerungen bestehender infektionsbegrenzender Maßnahmen angebracht, sondern womöglich sogar „strengere Regeln erforderlich“.

ForscherInnen wollten schnell informieren

Die Studie wurde zwischen dem 10. und 13. Dezember vorgenommen, als es in mehreren Ländern erste Notfallzulassungen des Corona-Impfstoffs von Biontech/Pfizer gab, eine EU-Zulassung für die Zeit nach Weihnachten angekündigt wurde und in Großbritannien Impfungen starteten. In einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage wurden den TeilnehmerInnen unterschiedliche Szenarien zur bevorstehenden Impfentwicklung vorgelegt. Danach wurden sie nach ihren dadurch veranlassten Verhaltensweisen befragt. Dabei habe es so signifikante Unterschiede zwischen der Personengruppe, der man das optimistischste Szenarium präsentiert hatte, und einer Kontrollgruppe gegeben, dass man sich entschlossen habe, die Studie noch vor einem Peer-Review-Prüfverfahren und der Publikation in einer Wissenschaftszeitschrift zu veröffentlichen, um Öffentlichkeit und Politik aktuell über sie informieren zu können.

Das ist vermutlich keine schlechte Idee, wie Nachrichten aus Dänemark zeigen. In „Feierlaune“ waren nach eigener Aussage Personal und BewohnerInnen eines Altersheims in Aarhus, nachdem alle am 29. Dezember geimpft worden waren. Womöglich war diese Partystimmung etwas zu ungestüm, denn eineinhalb Wochen später wurden drei Personen aus dem Pflegepersonal und sechs BewohnerInnen positiv getestet. Ein 35-jähriger Pfleger musste sich sogar in Klinikbehandlung begeben.

Nicht nach einem Pieks vorbei

Mit dem ersten Impf-Stich dürfe man das Corona-Problem keinesfalls für erledigt halten, betont Jens Lundgren, Professor für Infektionskrankheiten am Rigshospitalet in Kopenhagen: „In den ersten 14 Tagen nach der Impfung muss man sich als nicht-geimpft ansehen.“

Lundgren warnt im Übrigen auch davor, dem britischen Beispiel zu folgen und den Zeitraum zwischen der ersten und der zweiten Impfdosis auf 12 Wochen zu verlängern, um angesichts begrenzt zur Verfügung stehender Impfdosen so viele Personen wie möglich zumindest einmal impfen zu können. Er hält eine solche Vorgehensweise, die auch in Deutschland diskutiert wird, „für zutiefst riskabel“, weil man damit unter anderem das Risiko für das Entstehen impfresistenter Mutationen erheblich erhöhe.

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