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Forscher über Wahlen und Algorithmen„Eine geschickte Werbestrategie“

PR-Firmen wie Cambridge Analytica behaupten: Unsere Daten entscheiden Wahlen. Ist da was dran, oder alles Mythos? Simon Kruschinski von der Uni Mainz erklärt.

Trump auf dem Handy = Trump im Oval Office? So einfach ist es nicht Foto: dpa
Peter Weissenburger
Interview von Peter Weissenburger

taz: Herr Kruschinski, Micro-Targeting ist individuelle Wahlwerbung, ausgespielt von hochpräzisen Algorithmen. Kann so etwas Wahlen entscheiden?

Simon Kruschinski: Bei knappen Wahlen könnte es wahlentscheidend sein, aber es gibt bisher keinerlei empirische Belege dafür, dass Micro-Targeting in sozialen Medien entscheidend für einen Wahlsieg waren.

Wenn also Cambridge Analytica behauptet, sie könne einen Wahlsieg herbeiführen, dann ist das Blödsinn?

Das ist, wenn man das so ausdrücken möchte, Blödsinn. Und eine geschickte Werbestrategie. Unsere Forschungsergebnisse zeigen deutlich: Es ist extrem schwierig, Menschen mit Werbeanzeigen auf Facebook von einer gegenteiligen Sicht zu überzeugen.

Was ist mit Personen, die bereits in eine Richtung tendieren?

Man kann Menschen mobilisieren, die einem bereits zugeneigt sind. Die kriegt man tatsächlich dazu, ihren Glauben zu festigen und am Ende auch wirklich ihr Kreuzchen zu setzen. Das ist eine der zwei relevanten Zielgruppen für Micro-Targeting, die andere sind die Unentschlossenen – und diese Population wird immer größer.

Aber: Nicht jeder Mensch spricht in gleichem Maße auf Werbung an. Da es sich bei Micro-Targeting um ein relativ neues Phänomen handelt, stehen wir in der Wissenschaft noch am Anfang, dieses Phänomen zu entschlüsseln.

Nun gehen wir vom US-Wahlsystem aus, wo wenige Unentschlossene in ein paar Swing-States die Wahl wenden können. Ist es es da nicht plausibel, dass die PR-Firma mit dem richtigen Datensatz eben die entscheidenden 100.000 erreicht?

Bild: Richard Lemke
Im Interview: Simon Kruschinski

forscht zu datenbasierten Wahlkampagnen auf Social Media. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik der Uni Mainz

Ich halte das nicht für plausibel. Aus Gesprächen mit republikanischen Wahlkampfmanagern wissen wir: Die Mechanismen von Cambridge Analytica sind kaum zum Einsatz gekommen. Man musste feststellen, dass das eben nur eine von vielen Datenanalysen ist, und keineswegs so mächtig wie gedacht. Dazu kommt, dass eine Facebook-Anzeige eine von abermillionen Informationpunkten ist, die auf Nutzer einprasseln. Die Chance, dass Leute genau auf diese eine Anzeige anspringen, ist minimal.

Man kann per Micro-Targeting mobilisieren, sagten Sie. Kann man auch demobilisieren?

Klar, das ist ja auch eine altbekannte Strategie des Negative Campaignings. Datengestützte Wahlwerbung auf Facebook ist da nur ein neues Mittel. Es wurde versucht, solche Demokraten vom Wahlgang abzubringen, die davon ausgingen, dass Clinton ohnehin gewinnt.

Für Sie sind das also alles altbekannte, lautere Mittel, nur effizienter.

Ob man das für fair hält, liegt im Auge des Betrachters. Aber an sich sind es Formate, die in allen Kampagnen verwendet werden, und auch von allen Parteien im politischen Spektrum. Wir haben es eben mit einem neuen Kanal zu tun. Dadurch stellen sich natürlich ethische Fragen. Denn die Öffentlichkeit kann nicht nachverfolgen, welcher Wähler wie angesprochen wird. Die politischen Akteure sollten hier für Transparenz sorgen, sollten offenlegen, wie sie Micro-Targeting konkret einsetzen.

Müsste man nicht Facebook gesetzlich zu dieser Transparenz verpflichten?

Ich halte das für falsch. Die Initiative muss von Facebook kommen. Der Konzern muss uns, der Wissenschaft und Öffentlichkeit, seine Datensätze zur Verfügung stellen, damit eine unabhängige Auswertung von politischer Meinungsbildung möglich wird.

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6 Kommentare

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  • Ich verstehe ide Ausfregung nicht: Produktion & Verkauf hochangereicherter Kundendaten ist das Kerngeschäft von Facebook. Dass diese Daten zur Wählerbeeinflussung genutzt werden können & auch werden dürfte jedem klar sein, der die Wahlkämpfe von Barak Obama beobachtet hat. Mich wundert, dass ein solches Vorgehen in D noch kiener Regulierung unterliegt.

  • Überzeugungskraft

     

    Zitat: „Unsere Forschungsergebnisse zeigen deutlich: Es ist extrem schwierig, Menschen mit Werbeanzeigen auf Facebook von einer gegenteiligen Sicht zu überzeugen.“

     

    Es sei denn, sie kommen aus dem gigantischen Troll-Konzern Putins aus dem früheren Leningrad, nichts als der verdeckte Nachfolger der Auslandspropaganda-Abteilung des ZK der KPdSU. Dessen politische Werbebotschaften im amerikanischen Wahlkampf via Facebook waren so clever und ausgeklügelt, daß die Amerikaner massenhaft darauf reingefallen sind und erst daraufhin den Kotzbrocken Trump gewählt haben. Ohne die Putin-Propaganda wären sie nie auf diese Idee gekommen, niemals. Hätten die Bolschewisten schon über Micro-Targeting und Facebook verfügt, hätten sie mit ihren psychologisch ausgeklügelten weltrevolutionären Propaganda-Botschaften ruckzuck die USA zur kommunistischen Revolution in Gestalt des Sturmes auf das Weiße Haus anstacheln und die Kommunistische Partei der USA dort die Macht übernehmen lassen können. Aber warten wir ab...

  • Allein schon im Interview zeigt sich meiner Meinung nach, dass die Kernaussage des Interviews - nämlich es gebe keine empirischen Belege dafür, dass Micro-Targeting entscheidend für einen Wahlsieg waren, und, dass die Behauptung, man könne damit einen Wahlsieg herbeiführen, sei eine geschickte Werbestrategie - falsch sein müssen.

     

    Denn er sagt ja auch, dass Micro-Targeting ein relativ neues Phänomen sei, das die Wissenschaft eben deshalb noch nicht entschlüsseln konnte.

     

    Auch die Aussage, dass man mit Werbeanzeigen niemanden von Gegenteil seiner Grundüberzeugung überzeugen könne, ist fraglich; vielleicht geht es ja gar nicht darum, Andersgläubige vom Gegenteil zu überzeugen, sondern lediglich darum, Überzeugungen zu festigen und Wähler*innen an die Urnen zu bringen bzw. eben die Andersgläubigen in ihrer Sicherheit zu wiegen und sie vom Wahlgang abzuhalten.

     

    Schlußendlich, mir ist die Aussage zu vorschnell getroffen, man sollte zunächst mal weiter forschen und sich erst dann äußern, wenn man sichere Aussagen treffen kann. Denn es geht, letztendlich, um viel: darum, wer Wahlen gewinnt und regieren kann, und auch, ob die Demokratie und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung erhalten bleibt (die natürlich auch ihre Fehler hat, jedoch besser ist als jedes autoritäre, totalitäre Regime).

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Der Allgäuer:

      Absolute Zustimmung!

       

      In den Äußerungen von Herrn Kruschinski spiegelt sich vor allem Eines wieder: das Hauptaugenmerk auf kurzfristiger Effizienz. Möglichst schnell möglichst billig zu Lösungen kommen als ultima ratio. Bekannt aus vielen Bereichen. Mit Grausen denke ich hier an die Veränderungen im Gesundheitswesen, ganz besonders der Psychotherapie.

       

      Die Crux dabei: wo Gründlichkeit und Genauigkeit der Schnelligkeit geopfert werden, erweisen sich schnelle Lösungen mittel- bis langfristig als die teureren. Von Qualität rede ich erst gar nicht.

    • @Der Allgäuer:

      Das wesentliche Problem ist, dass man hier irgendeinen Typen gefragt hat, der gar nicht im Gebiet der Psychologie forscht und deren Erkenntnisse wurden angewandt um das Micro-Targeting zu realisieren.

      Es basiert auf einer akademischen Abschlussarbeit und fußt schon auf empirischen Untersuchungen.

       

      Es wird aber erst seit kurzem angewandt, demensprechend gibt es keine validen Daten über die realen Auswirkungen für diese spezielle Anwednung.

       

      Die Fage, ob das Wahlen entscheiden könne, ist sehr unspezifisch und ist im Endeffekt die Fareg, ob Werbung im Allgemeinen das kann. Schließlich wird durch Micro Targeting nur die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Werbung den jeweiligen Konsumenten emotional aktiviert und damit steigen die Chancen, dass die Werbung das Verhalten beeinflusst.

       

      Durch die Art und Weise wie die Fargen gestellt sind, kann kein anständiger Wissenschaftler eine Antwort geben, weil über viele Zusamenhänge von vorne herein hinweggegangen wird.

       

      "Auch die Aussage, dass man mit Werbeanzeigen niemanden von Gegenteil seiner Grundüberzeugung überzeugen könne, ist fraglich[...]"

       

      Die Aussage ist so durchaus korrekt, aber wie in Ihren wieteren Ausführungen anmerkt, bedeutet das nicht, dass man keinen Einfluss nehmen kann. Diese Möglichkeit streitet Hr Kurschinski auch nicht ab.

       

      "Denn es geht, letztendlich, um viel: darum, wer Wahlen gewinnt und regieren kann, und auch, ob die Demokratie und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung erhalten bleibt"

       

      Das kommt natürlich darauf an wovon es abhängt, dass eine freiheitliche demokratische Grundordnung erhalten bleibt.

      Ist dafür ein freier Mensch Voraussetzung, fehlt diese ja nunmal.

      Unser Verhalten wird überwiegend unbewusst bestimmt, auch ohne aktive Manipulation unserer Wahrnehmung in Form von Werbung, wird unser Denken durch teilweise natürliche / soziale Normen, aber auch durch die Bildungsinhalte bestimmt. Eine Einflussnahme findet also ohnehin von Geburt an statt...

  • ... schon mal gehört von der Alternative zu facebook: http//human-connenction.org ?

    "Human Connection ist eine unabhängige und gemeinnützige Online-Plattform, die ein soziales Netzwerk, Wissensnetzwerk und Aktionsnetzwerk unter einem Dach vereint. Dazu gehen wir weit über die gewohnten Kommentarspalten hinaus und stellen dienliche Funktionen bereit um sich auszutauschen, zu recherchieren, zu argumentieren und um in Projekten Ideen gemeinsam wahr werden zu lassen."