piwik no script img

Forscher über Massenunterkunft„Ein Leben im Provisorium“

Hamburg will 1.200 Flüchtlinge in einer Messehalle unterbringen. Was das mit ihnen und den Anwohnern macht, erklärt Migrationsforscher Oltmer.

Ziehen in eine Unterkunft ohne Privatsphäre: Flüchtlinge in Hamburg Foto: dpa
Interview von Kristof Botka

taz: Herr Oltmer, wir wohnen in Wohnungen oder Häusern. Schon Containerunterkünfte sind für uns befremdlich. Was aber macht das mit einer Gesellschaft, wenn sie sich plötzlich mit 1.200 Menschen in einer Messehalle konfrontiert sieht?

Jochen Oltmer: Der Unterschied, den Sie markieren, zwischen unserem „normalen“ und dem „extremen“ Leben in Massenunterkünften, bewirkt viel beim Betrachter. Die Situation wird ohne Zweifel als absolute Ausnahme wahrgenommen. Als eine sehr prekäre Daseinsform und als etwas, das niemals auf Dauer existieren kann. Auch in Hamburg ist es von Anfang an als Provisorium ausgewiesen worden. Wir beobachten, dass solche Unterkünfte später aber oft doch zu einer Dauerlösung werden. Hier wird das wahrscheinlich nicht so sein.

Mehrt die Konfrontation Vorurteile oder steigt gar die Akzeptanz, weil das Leid so offensichtlich wird?

Die Tatsache, dass es solch eine Einrichtung gibt, führt noch nicht zu mehr Protest. Die Menschen haben bei so einer extremen Form der Unterbringung den Eindruck: „Das kann ja nur provisorisch sein.“ Dass die Situation in der Messe so prekär wird, führt meiner Meinung nach zu mehr Anteilnahme und Hilfsbereitschaft. Anders ist das bei dauerhaften Erstaufnahmestellen. Dort lässt die enorme Fluktuation die Einrichtung viel größer erscheinen, als sie ist. Man sieht, dass sehr viele Menschen kommen. Dass gleichzeitig viele gehen, wird weniger registriert.

Im Interview: Jochen Oltmer

50, ist Professor für Neueste Geschichte am Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien in Osnabrück.

Das Karolinenviertel ist ein kleines, szeniges Viertel. Was passiert, wenn da plötzlich 1.200 Menschen mehr leben?

Fast überall, wo es Flüchtlingslager gibt, hat es sehr breite Diskussionen gegeben. Es ist wichtig, so früh und intensiv wie möglich Kontakt mit der Bevölkerung aufzunehmen. Es gibt erstaunlicherweise immer noch die Tendenz in der Politik, solche Vorgänge zu verschweigen, um Proteste zu verhindern. Das ist Unsinn. Es hat sich gezeigt: Je intensiver die Aufklärung, desto größer die Akzeptanz.

Lager verbindet man in Deutschland schnell mit Konzentrationslagern. Seit langer Zeit gibt es jetzt wieder Massenlager.

Solche Wohnlager gab es tatsächlich lange nicht mehr. In der bundesdeutschen Geschichte hatten sie aber auch nach dem Krieg eine große Bedeutung. Bis in die siebziger Jahre lebten Vertriebene in Lagern. Menschen, die das durchlebt haben, fühlen sich sicher zurückerinnert an diese Zeit. An ihr Leben im Provisorium, an ihr Leben in der Wartestellung. Solche Orte sind gekennzeichnet vom Warten und Hoffen.

Ist es das, worauf sich die Ankommenden einstellen müssen?

Auch, ja. Den Menschen dort bleibt oft nicht anderes als zu warten. Ein anderes Element ist bei der Größe sicher die Anonymität. Zudem wird zwar sicher alles getan, um die Versorgung zu gewährleisten, die Hygienestandards zu halten, wird jedoch sehr schwierig.

Konflikte sind unter solchen Bedingungen doch unvermeidlich.

Ja. Wir haben bei den bisherigen Einzelfällen gesehen, dass es vor allem Überbelegung ist, die zu Streit führt. In den Medien spielen oft ethnische Konflikte eine Rolle, die bei genauerer Betrachtung aber wenig bedeutend sind. Es geht vielmehr um unsichere Verhältnisse. Niemand weiß, wo er in einer Woche ist. Wird man umverteilt oder abgeschoben? Es ist unklar, wie lang man in der Konstellation noch ausharren muss. In diesem Umfeld wachsen Aggressionen. Es sind dann meist spontane Ausbrüche, die zu Gerangel führen. Berichte zu Bandenbildungen sind größtenteils Spekulation. Dazu gibt es bisher kaum Forschung. Wo soll die auch herkommen, von jetzt auf gleich?

Im ZDF-“heute journal“ sagte am Mittwoch ein syrischer Flüchtling: „Die Albaner nehmen uns die Plätze weg.“ Müssen Menschen vom Balkan jetzt sogar unter Flüchtlingen als Sündenböcke herhalten?

Da taucht auch in der Unterkunft schnell ein Freund-Feind-Schema auf. Das ist ein Argument, das vorgetragen wird, um die eigene Situation zu stärken. Die Frage nach echten und falschen Flüchtlingen ist eine ganz eigene Debatte. Wir wissen genau, dass auch die Menschen, die aus Südosteuropa kommen, mit erheblichen Konflikten und Bedrängnissen zu tun haben. Wir wissen, wie katastrophal die Situation der Roma in vielen Staaten und wie vergiftet das Klima in vielen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens ist. Nicht umsonst sind im Kosovo noch deutsche Soldaten stationiert. Hier gilt: Jeder der einen Asylantrag stellt, hat auch Anspruch auf ein reguläres Asylverfahren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Wieviele Kasernen stehen leer, wieviele Wohnhäuser, wieviele sonstige bewohnbare Gebäude im ganzen Schland? Und nix wird getan. Man organisiert absichtlich prekäre Unterbringung, um Flüchtlinge abzuwerten, zu demoralisieren und zu diskriminieren.

     

    Würde man die Elbphilharmonie endlich sprengen und ad acta legen, könnten mit dem übrigen Geld viel getan werden, damit Flüchtlinge wenigstens in Hamburg wie Menschen leben können.

     

    In einem menschengerechten Staat würde man so vorgehen: Hotels beschlagnahmen und mit Flüchtlingen belegen.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Die Elbphilharmonie funktioniert als Mahnmal politischer Unfähigkeit auch ohne eine Sprengung ganz hervorragend.

      Unterbringungen von Flüchtlingen in Hotels hat es tatsächlich in Deutschland schon immer mal wieder gegeben, allerdings wurden die Hotels nicht beschlagnahmt, sondern ganz regulär Zimmer dort angemietet. Asylbewerber, die Anfang der 70er Jahre vor der Militärregierung aus Ghana geflohen sind, erzählten mir damals, dass sie vorübergehend sogar in Luxushotels in München untergebracht waren. Fast alle fanden auch schnell Arbeit. Seinerzeit galt eine Regelung, wonach Asylbewerber, die acht Jahre lang in Deutschland gelebt haben, eingebürgert werden. Allerdings wurden fast alle ziemlich genau 2 Wochen vor Ablauf der acht Jahre, abgeschoben. Erworbene Rentenansprüche hatten sich damit dann praktisch auch erledigt. Insgesamt ein sehr gutes Geschäft für die Rentenversicherung. Weil aber die Lage sich auf dem Arbeitsmarkt inzwischen deutlich verschlechtert hatte, gab es danach ein generelles Arbeitsverbot für Asylbewerber, die fortan hier zum Nichtstun verurteilt waren.

  • Von einem historischem Provisorium zu dem nächsten Provisorium oder auch

    das Problem hat ein Problem, die dystopische Gesellschaft.

     

    Ende des 2WK erreichten Flüchtlingsströme Deutschland.

    Es wurden als politische Interimslösung viele Trabantenwohungen, Trabantensiedlung gebaut.

    In Hamburg z.B. Mümmelmannsberg, Steilshoop, Ohsdorfer Born, Billstedt, die klassischen Wohnghettos in denen heute noch heftige soziale Brennpunkte sind.

    Die Probleme sind nicht so massiv wie in anderen EU Ländern wie z.B. England, Frankreich, aber vorhanden.

    Es war auch staatlich angedacht das der Arbeiter Wohnungseigentum durch seine Arbeit bilden kann.

    Die SPD und Gewerkschaften haben genau in dieser gesellschaftssozialen Entwicklung "z.B. soziale Mobilität" einen fast stalinistischen Blick und rückwärtsgewandten Entwicklung zurück gelegt.

    Siehe C. Maschmeyer, LBS, Riester und mehr. Seit >20 Jahren gab es für Angestellte keine reale Lohnentwicklung/Kaufkraftsteigerung.

    D.h. es gibt in Deutschland eine sehr breite aber verdeckte Armutsbevölkerung wie die Lebensmitteltafel jedes Jahr aufs neue beweisen.

    2015 "„Die Armut in Deutschland hat nicht nur ein neuerliches trauriges Rekordhoch erreicht, auch ist Deutschland dabei, regional regelrecht auseinander zu fallen.“

    So leitet der Paritätische Gesamtverband seinen alljährlichen Armutsbericht ein."

     

    Und nun kommt zusätzlich die Gentrifizierung, Privatisierung und Flüchtlinge.

    Eine interessante Analyse aus der "Deutschen Forschungsgemeinschaft":

    " Sebastian Haumann "Schade, daß Beton nicht brennt …""

    "Stadtplanung und Protest" http://www.steiner-verlag.de/uploads/tx_crondavtitel/datei-datei/9783515098892_p.pdf http://www.steiner-verlag.de/titel/58463.html

    Andere als disponible Lösungen müssen her.

  • Man darf bei alldem nicht vergessen, dass diese Flüchtlingswelle ja keineswegs überraschend kommt, aber aus politischen Gründen lange Zeit gezielt keinerlei Vorbereitungen getroffen wurden. Man wollte die Bevölkerung ja möglichst nicht mit den mittelbaren Folgen einer verantwortungslosen Waffenexportpolitik der letzten Jahrzehnte konfrontieren. In Zentren wie Hamburg spitzt sich die Situation jetzt aber sichtbar zu. Die Flüchtlinge in der Messehalle sind dabei noch vergleichsweise gut dran. Andere müssen mit Zelten auskommen. Herr Oltmer hat zweifellos recht, wenn er darauf hinweist, dass Unterbringungen solcherart höchst problematisch sind, aber die Unterbringung stößt hier an klare Grenzen - und das ist so ziemlich das einzige, was eingeplant wurde.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Wer perfide genug denkt, Entschuldigung vielmals, dem kommt bei solcher Massenmenschhaltung in den Sinn, dass es nun nur noch einen Ebola-Fall braucht, um die Schreckensvision von der Festung Europa zu vervollkommnen. Man sollte das unterbinden. Deutschland ist groß genug, dass es keine solchen Massenlager braucht und für Europa benötigen wir sowieso einen Gipfel, der sich dem Thema Flucht & Vertreibung, sichere Fluchtrouten, faire innereuropäische Verteilungsschüssel, Planung und Bereitstellung von Ressourcen widmet. Auf dieser Voraussetzung kann man dann auch offen mit den Menschen im Land diskutieren, was auf sie zu kommt, welche Grenzen man setzen will, welche Pläne man für eine Auseinandersetzung im Rahmen der UN und auf bilateraler Ebene hat, kriegerische Konflikte zu deeskalieren. In der Richtung würde sich, für alle Parteien und politischen Strömungen, eine verantwortliche Politik bewegen.