piwik no script img

Forderung nach polnischer StaatsbürgerschaftSpießrutenlauf jüdischer Emigranten

Seit vier Jahrzehnten bemühen sich ausgebürgerte Juden um die polnische Staatsbürgerschaft. Auch heute noch gleicht es einem Spießrutenlauf, an einen EU-Pass zu gelangen.

Lech Kaczynskis Versprechern blieb ein Lippenbekenntnis, drum bleibt Piotr Kadlcik (links) auch für die Zukunft skeptisch. : ap

WARSCHAU taz "Polnische Staatsbürgerschaft für jüdische Emigranten", "Späte Gerechtigkeit" und "Rückgabe der Pässe an ausgebürgerte Juden" titeln Polens Zeitungen kurz vor dem 40. Jahrestag des März 1968. Bis zu 20.000 Juden, die 1968 nach einer antisemitischen Hetzkampagne ausgebürgert wurden, sollen ihren polnischen Pass zurückerhalten. Doch die Freude bei den Betroffenen über die überfällige Geste ist verhalten. Denn vor bereits zehn Jahren lauteten die Schlagzeilen der Zeitungen nicht viel anders.

Im März 1998 versprach Staatspräsident Aleksander Kwasniewski eine unbürokratische Rückgabe der Staatsbürgerschaft. Übersehen hatte er dabei, dass der Präsident laut Verfassung nur Ausländern die polnische Staatsbürgerschaft verleihen darf. Doch die polnischen März-Emigranten haben zwar alle eine neue Staatsbürgerschaft, fühlen sich aber nicht als Ausländer. Sie wollen den polnischen Pass zurückhaben und lehnen es ab, als Amerikaner, Israelis, Schweden oder Deutsche einen Antrag auf Zuerkennung der polnischen Staatsbürgerschaft zu stellen.

Auch der Sejm, Polens Abgeordnetenhaus, verkündete vor zehn Jahren feierlich: "Das damals zugefügte Unrecht soll wiedergutgemacht werden. Insbesondere die März-Emigranten, aber auch alle anderen polnischen Staatsbürger, die zwangsvertrieben wurden, haben das volle Recht auf ihre Staatsbürgerschaft." Kaum war der Jahrestag vorbei und das Thema nicht mehr in den Medien, waren alle Vorsätze vergessen.

Schon 1990, direkt nach der politischen Wende in Polen, hatte der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident seit 1945, Tadeusz Mazowiecki, versprochen, das Unrecht von 1968 wiedergutzumachen. Doch das von seiner Regierung vorbereitete Gesetz scheiterte am Widerspruch im Sejm. Ein Versprechen blieben auch die Worte von Staatspräsident Lech Kaczynski, ein paar Jahre später in Israel. Vor der Klagemauer in Jerusalem versicherte er 2006, dass alle vertriebenen polnischen Juden ein Rückkehrrecht nach Polen hätten.

In Wirklichkeit werden alle 1968 Vertriebenen zu einem Spießrutenlaufen durch die polnischen Behörden gezwungen, wenn sie einen EU-Pass zurückhaben möchten. Ausgerechnet Antragstellern aus Israel wird bestätigt, dass sie 1968 endgültig die polnische Staatsbürgerschaft verloren hätten. Die Beamten berufen sich auf das Staatsbürgerrecht von 1958, in dem die Ausreise von Polen nach Israel und die Annahme der Staatsbürgerschaft Israels geregelt ist. Im Jahr 1968 stellte die kommunistische Regierung in Warschau rund 20.000 "Reisedokumente" in eine Richtung - nach Israel - aus und ohne Rückkehrrecht nach Polen. Wer nach Israel und nicht in ein anderes Land gefahren sei, habe damit das Recht verwirkt, weiterhin polnischer Staatsbürger zu sein. Obwohl das Oberste Verwaltungsgericht die Vertreibung von 1968 längst als antisemitisch und unrechtmäßig abqualifizierte, gilt es in der Praxis fort.

In zwei offenen Briefen appellierten nun polnische Intellektuelle sowie jüdische Verbandsvertreter an Polens Innenminister Grzegorz Schetyna, sich des Problems anzunehmen. Er solle die Behörden in den Wojewodschaften (Bezirken) anweisen, die Märzgesetze von 1968 als "unrechtmäßig und daher ungültig" anzuerkennen, so wie es auch das Oberste Verwaltungsgericht Polens bereits festgestellt habe. Schetyna versicherte, dass künftig alle Anträge unbürokratisch und positiv entschieden würden. Wer dennoch eine Absage erhalte, solle sich künftig direkt an ihn wenden.

Piotr Kadlcik, der Vorsitzender des Jüdischen Gemeindeverbandes in Polen, bleibt trotzdem skeptisch: "Wir freuen uns natürlich sehr, dass der Minister so schnell auf unseren Appell reagiert hat, aber die Praxis wird zeigen, was seine Worte wert sind."

GABRIELE LESSER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen