Forderung nach Mindestlohn: Teilhabe reicht nicht
Lukas Krämer fordert den Mindestlohn in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Doch nicht alle in den Werkstätten unterstützen den Vorschlag.
Ein Euro und 35 Cent pro Stunde, so viel verdiente Lukas Krämer – ein üblicher Lohn in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Diesen Lohn empfindet Krämer als Frechheit. Er stellt Videos auf seinen Youtube-Kanal mit Titeln wie: „Ausbeutung in der Behindertenwerkstatt.“ Krämer kann wegen einer Hirnhautentzündung in der Kindheit nicht Deutsch lesen oder schreiben. Übers Internet kommuniziert er dank Hilfsmitteln: Der Google-Übersetzer hat eine Diktier- und eine Vorlesefunktion.
Im April veröffentlichte er seine Petition: Mindestlohn für Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten arbeiten. Seine Forderung unterstützen mittlerweile mehr als 130.000 Menschen.
Carsten Müller-Meine gehört nicht dazu. Er leitet die Werkstatt vom Deutschen Roten Kreuz Sozialwerk, in der Krämer früher arbeitete. Die Werkstätten seien keine reinen Arbeitgeber, sondern hätten einen Rehabilitations- und Teilhabeauftrag, sagt er.
Teilhabe findet Lukas Krämer als Lohn aber nicht ausreichend: „Diese Vollzeitarbeit, von der man nicht leben kann, nennt man ‚Teilhabe‘. Unser Lohn soll also sein, dass wir überhaupt arbeiten dürfen, für andere Gewinn machen dürfen?“
An diesem Wochenende startet der Klimagipfel in Glasgow. Das 1,5-Grad-Ziel scheint utopisch – oder kann aus Glasgow doch Paris werden? Außerdem in der taz am wochenende vom 30./31. Oktober: 10 Jahre nachdem der rechtsterroristische NSU aufgeflogen ist, sind noch immer viele Fragen offen. Und: Eine 85-jährige Akrobatin, eine Konditorin und viele schöne Kolumnen. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
In einer Studie untersucht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales verschiedene Konzepte für Lohn in den Werkstätten. Eines davon ist das Basisgeld der Werkstatträte Deutschland, das vom bedingungslosen Grundeinkommen inspiriert ist. Am Montag wurde der erste Zwischenbericht veröffentlicht. Darin steht, der Monatslohn stiege mit dem Basisgeld (1.623 Euro) sogar stärker als mit dem Mindestlohn (1.047 Euro).
Diskussion um Abschaffung der Werkstätten
Doch bei dieser Diskussion geht es nicht nur um Geld, sondern auch darum, ob man die Werkstätten abschaffen sollte oder nicht. Die UN kritisierten 2015, die Werkstätten seien nicht kompatibel mit der UN-Behindertenrechtskonvention und müssten aufgelöst werden.
Die Behindertenpolitik-Sprecherin der Grünen, Corinna Rüffer, fordert diese Auflösung. Für Rüffer ist der Petent Lukas Krämer ein Beweis dafür, dass eine individuelle Förderung besser ist als eine Sonderwelt wie in den Werkstätten: Auf der Förderschule schaffte er keinen Abschluss. Jetzt produziert er in Rüffers Social-Media-Team Videos und lernt sogar Japanisch.
Der Bericht des Arbeitsministeriums räumt ein: Die Werkstätten sind nicht ideal. Aber sie seien legal.
Kristina Schulz von den Werkstatträten Deutschland sagt, viele Menschen in der Werkstatt schätzten den geschützten Raum. Immer mehr kämen nicht über die Förderschule dorthin, sondern fühlten sich im ersten Arbeitsmarkt überfordert. So ging es auch Schulz selbst, die Diplom-Psychologin ist. Sie war auf dem ersten Arbeitsmarkt, arbeitet heute aber lieber in einer Werkstatt.
Den Mindestlohn lehnt sie ab. Derzeit können die Menschen in der Werkstatt selbst entscheiden, wie viel sie arbeiten. Bei Zahlung des Mindestlohns müssten die Werkstätten mehr erwirtschaften. Schulz befürchtet, dass auch dort Leistungsdruck entstünde. Als normale Arbeitnehmerin müsste sie zudem auf Sonderrechte verzichten, etwa beim Kündigungsschutz.
Doch das alles überzeugt Krämer nicht. Er findet: „Was bringt mir ein Kündigungsschutz, wenn ich nur 1,35 Euro die Stunde verdiene?“
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