Folgen des Überfalls auf die Ukraine: Verbände-Kritik an Siemens Energy
Der Energiekonzern soll keine Geschäfte mehr mit der russischen Rosatom machen, fordert etwa die Organisation Urgewald.
Gemeinsam mit seinem französischen Partner Framatome liefere Siemens Energy „Instrumentation-&-Control (I&C)-Systeme“ für russische Reaktoren, so die Umweltgruppen. Diese hochkomplexen Systeme bilden die Schaltzentrale eines Reaktors. In der neueren Reaktorgeneration von Rosatom, WWER-1200, wurde das Prozessleitsystem Teleperm XS von Siemens Energy bereits bei den russischen Reaktoren Nowoworonesch II und Leningrad II eingesetzt. Für den dritten, bereits fertiggestellten WWER-1200-Reaktor im belarussischem Ostrovets I gebe es, so die UmweltschützerInnen, ebenfalls Hinweise darauf, dass Siemens-Energy-Technologie verwendet wurde. Der russische Druckwasserreaktor WWER-1200 mit einer elektrischen Nennleistung von 1.200 Megawatt ist erstmals 2017 in Betrieb gegangen und ist eine Fortentwicklung des sowjetischen Reaktors WWER-1000.
UmweltschützerInnen kritisieren nicht nur die Zusammenarbeit von Siemens Energy mit Rosatom, sondern auch die im niedersächsischen Lingen. Die dort ansässige Brennelementefabrik gehört dem französischen Unternehmen Framatome. Und dieses erhalte, so der russische Umweltschützer und Träger des alternativen Nobelpreises, Wladimir Slivjak, Uran aus Russland. Slivjak kritisiert zudem, dass mit der Firma Nukem ein Unternehmen von Rosatom in Deutschland tätig ist. Im Dezember 2009 war die Nukem Technologies GmbH vom russischen Kernkraftwerkhersteller Atomstroiexport für 23,5 Millionen Euro übernommen worden und sitzt nun im bayerischen Alzenau. Wladimir Slivjak erwartet ein entschiedeneres Nein zur Zusammenarbeit mit Rosatom. „Solange Rosatom Besitzerin von Nukem ist“, so Sliwjak, „sollte Nukem nicht in Europa tätig sein dürfen“, fordert Slivjak. Die Hauptkritik an Rosatom ist jedoch dessen militärische Komponente. Die Agentur ist keine Firma, die sich auf die sogenannte friedliche Atomenergie spezialisiert hat. Atomwirtschaft ist in Russland auch Atomwaffenwirtschaft, also militärisch.
Der Vorsitzende des Aufsichtsrats von Rosatom, Sergei Kirijenko, ein Mann Putins, hatte mit seinen Besuchen im russisch besetzten AKW Saporischschja die russische Herrschaft über dieses Atomkraftwerk demonstriert. Ein weiterer Beleg: Am 8. August 2019 ereignete sich auf dem Marine-Testgelände der russischen Streitkräfte Njonoksa bei Archangelsk ein Unfall. Die Ursache war ein fehlgeschlagener Test eines Raketenantriebssystems. Einen Tag später betrauerte Rosatom den Tod von fünf Mitarbeitern, die bei diesem tragischen Unfall ums Leben gekommen waren.
Fließende Übergänge zum Militär
Nun stellt sich die Frage, was die Mitarbeiter einer Agentur, die angeblich für die friedliche Nutzung der Atomenergie steht, auf einem militärischen Testgelände zum Zeitpunkt von Raketentests machen. Die Antwort ist einfach: Rosatom ist eben auch an der militärischen Nutzung der Atomkraft beteiligt. Die Grenzen zwischen friedlicher und militärischer Atomwirtschaft sind in Russland sehr fließend.
Von den in Russland noch immer existierenden 38 „geschlossenen Städten“ gehören 10 Rosatom. Diese zehn Städte darf man nur mit einer Genehmigung der Agentur betreten. Schwer vorstellbar, dass Greenpeace-Vertreter oder unabhängige Journalistinnen eine Zugangsberechtigung zu diesen Städten erhalten könnten. Rosatom hat ja, gerade weil es auch auf dem militärischen Sektor aktiv ist, etwas zu verbergen.
Auch der russische Überfall auf das größte Atomkraftwerk Europas, das AKW Saporischschja, wäre ohne die Mitwirkung von Rosatom nicht möglich gewesen. Nun hat sich Russland dieses profitable AKW unter den Nagel gerissen. Der neue Betreiber gehört zu 100 Prozent Rosatom. Mitte Januar berichtete die ukrainische Atombehörde Energoatom, die russischen Besatzer würden 1.500 ukrainischen Mitarbeitern des AKW Saporischschja den Zugang zu ihrem Arbeitsplatz verwehren, weil diese sich weigerten, einen Arbeitsvertrag mit Rosatom zu unterzeichnen. Sicherer wird ein AKW durch das Aussperren von 1.500 Fachleuten jedenfalls nicht.
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