Folgen des Erdbebens und Tsunamis in Japan: 2.000 Leichen an Küste gefunden

Während ein starkes Nachbeben Tokio erschüttert, wurden in der Katastrophenregion an der Küste 2.000 Leichen entdeckt. Die offizielle Zahl der Toten steigt auf 5.000.

Ein schöner Augenblick inmitten der Katastrophe: Ein Soldat hat in Ishimaki im Norden des Landes ein vier Monate altes Mädchen gerettet. Bild: ap

TOKIO dpa/afp/dapd/rtr | Die offiziell bestätigte Zahl der Toten und Vermissten nach dem Erdbeben und dem Tsunami ist in Japan auf 5.000 gestiegen. Das teilte die japanischen Polizei mit. Lokale Behörden befürchten jedoch, dass die tatsächliche Opferzahl weit darüber liegt. Allein in der Präfektur Miyagi werden nach wie vor mehr als 10.000 Menschen vermisst. Die Region war am schwersten von dem Erdbeben der Stärke 9,0 und dem verheerenden Tsunami getroffen worden.

Rettungskräfte haben an der Küste der Präfektur Miyagi etwa 2.000 Leichen entdeckt, berichtete der japanische Sender NHK am Montag unter Berufung auf die Polizei. Die Hälfte der Leichen seien an Stränden auf der Halbinsel Ojika gefunden worden, die andere Hälfte in der Stadt Minamisanriku.

Ein neues Nachbeben mit der Stärke 6,2 hat am Montag den Bahnverkehr in der japanischen Hauptstadt zum erliegen gebracht. Japan Rail, der größte Verkehrsbetrieb des Landes, stellte bis auf vier alle Stadtlinien ein. Und auch diese sind teilweise unterbrochen. Nur 10 Prozent der Züge auf der wichtigsten Ost-West Bahnlinie durch Tokio würden verkehren, berichtete das japanische Fernsehen. Reisende drängten sich in den Stationen und warteten geduldig doch noch einen Platz in einem Zug zu ergattern. Die Warteschlangen reichten oft bis in die Bahnhofshallen. Zugverbindungen zum Flughafen Narita wurden ebenfalls eingestellt.

Die japanische Regierung sagte unterdessen eine für Montag geplante dreistündige Stromabschaltung in Tokio und anderen Städten ab. Regierungssprecher Edano rief alle Bürger stattdessen zum Energiesparen auf. Sollte das nicht reichen, werde die angekündigte Stromrationierung in acht Präfekturen doch noch umgesetzt. Japan muss nach dem Ausfall einiger Atomkraftwerke Ausfälle bei der Stromproduktion kompensieren.

Nur mit Wasser und wenigen Lebensmitteln überleben

Die Bevölkerung an der Nordostküste wurde von Militär und Polizei aufgefordert, sich wegen einer Tsunami-Gefahr an höher gelegene Orte zu begeben. Die meteorologische Behörde teilte jedoch mit, Gefahr einer weiteren tödlichen Welle bestehe nicht. Japan wurde seit Freitag von mehr als 150 Nachbeben erschüttert; das jüngste mit einer Stärke von 6,2 löste am Montag Tsunami-Alarm aus.

Unterdessen kämpften sich Bergungstrupps in den vom Beben der Stärke 9,0 und dem folgenden Tsunami verwüsteten Orten an der Nordostküste mit Kettensägen und Spitzhacken durch Trümmer vor. Oft fanden sie nur noch Leichen.

"Die Menschen überleben mit nur wenig Lebensmitteln und Wasser", sagte ein Beamter der Präfektur Iwata, eine der drei am härtesten getroffenen. "Wir haben die Regierung (in Tokio) um Hilfe gebeten, aber die Regierung ist vom Ausmaß der Schäden und der enormen Nachfrage nach Lebensmitteln und Wasser überwältigt", sagte der Beamte Hajime Sato. "Wir bekommen nur zehn Prozent von dem, was wir erbeten haben. Wir sind aber geduldig, weil alle im Bebengebiet leiden." Zu den knappen Gütern gehörten auch Leichensäcke und Särge, sagte Sato.

Wegen der Erdbebenkatastrophe hat der japanische Aktienmarkt derweil am Montag starke Kursverluste verzeichnet. Der Nikkei-Index stürzte 6,2 Prozent ab und schloss bei 9620 Punkten. Der breiter gefasste Topix-Index brach 7,5 Prozent auf 847 Punkte ein und verzeichnete damit den größten Tagesverlust seit der Lehman-Brothers-Pleite im Oktober 2008. Die Angst vor schweren Nachbeben und weiteren Atomunfällen ließ die Kurse zahlreicher Unternehmen in die Tiefe stürzen. Die Sorge vor langfristigen Engpässen bei der Stromversorgung verschärfte den Ausverkauf.

Investoren verkaufen aggressiv

Mit knapp 4,9 Milliarden Papieren wechselten so viele Anteilsscheine wie nie zuvor ihren Besitzer in der Geschichte der Tokioter Börse. Die Betreiberfirma mehrerer havarierter Reaktoren, Tepco, wurde wegen einer Fülle von Verkaufsaufträgen vom Handel ausgesetzt.

"Investoren verkaufen aggressiv, weil sie kein Risiko eingehen wollen", sagte der Berater Hiroshi Arano von Mizuho Asset Management. Man könne den Umfang des Ausverkaufs nicht absehen. Der Analyst Shinichi Ichikawa von Credit Suisse in Tokio sagte: "Es wird schwer werden für Japan, seine Abhängigkeit vom Atomstrom zu beenden, denn solche Energie ist nötig, um das stabile Wirtschaftswachstum der Volkswirtschaft zu halten." Wenn die Inspektionen an den beschädigten Atomreaktoren negativ ausfallen sollten, dürfte dies langfristige Auswirkungen auf die japanische Wirtschaftsentwicklung haben.

Von den Kursrückgängen waren besonders Hersteller von Autos und Elektronik sowie Betreiber von Ölraffinerien betroffen. Viele Unternehmen mussten wegen der Zerstörungen die Produktion in wichtigen Fabriken einstellen. So blieben alle Toyota-Werke in Japan am Montag geschlossen, die Produktion soll bis Mittwoch ruhen.

Notenbank pumpt Geld in den Markt

Die japanische Notenbank pumpt weiteres Geld in den Markt und weitet wegen der Erdbebenkatastrophe ihr Programm zum Wertpapierkauf aus. Der Umfang werde auf 40 Billionen Yen (knapp 350 Milliarden Euro) von zuvor 35 Billionen Yen erhöht, teilte die Bank of Japan kurz vor Handelsschluss in Tokio mit. Mit der weiteren Lockerung der Geldpolitik solle verhindert werden, dass sich die Wirtschaftsstimmung verschlechtere. Die Notenbank hielt an ihrem Wirtschaftsausblick fest. Die Industrieproduktion werde wegen der Erdbebenkatastrophe aber wahrscheinlich bis auf Weiteres zurückgehen.

Derweil will Singapur wegen der Probleme in den japanischen Atomanlagen die Einfuhr von Nahrungsmitteln aus Japan auf mögliche Verstrahlungen untersuchen. Es handele sich dabei um eine Vorsichtsmaßnahme und es würden Proben der importierten Ware genommen, erklärte die Nahrungsmittelbehörde des Stadtstaates am Montag. Bei der Untersuchung auf eine mögliche radioaktive Verstrahlung hätten frische Produkte wie Fisch Vorrang. In Singapur gibt es zahlreiche japanische Restaurants, besonders Sushi ist bei den Menschen sehr beliebt. Im Reaktor 3 des Atomkraftwerks Fukushima 1 in Japan hatte es am Montagvormittag (Ortszeit) zwei Explosionen gegeben.

Das Erdbeben in Japan dürfte nach einer ersten Branchenschätzung alleine an Gebäuden versicherte Schäden von bis zu 35 Milliarden US-Dollar angerichtet haben. Darin seien die Folgen des Tsunami noch nicht enthalten, teilte der auf Risikoanalysen spezialisierte Versicherungsdienstleister AIR Worldwide am Wochenende in Boston mit.

70 Länder erklären Solidarität

Auch Schäden an der Infrastruktur oder Produktionsausfälle haben die Experten noch nicht eingerechnet. Vorläufig beziffern sie die erwarteten, versicherten Gebäudeschäden auf 15 bis 35 Milliarden Dollar. Die Unsicherheit ist den Angaben zufolge noch groß, weil wichtige Daten zur Ausbreitung der Erdbebenwellen noch nicht bekannt sind.

Die internationale Erdbebenhilfe für Japan nimmt unterdessen Fahrt auf: Rettungsmannschaften aus den USA begannen am Montag mit der Suche nach Vermissten im vom Beben und Tsunami zerstörten Nordosten des Landes. Zudem beraten die USA Japan in Fragen der atomaren Sicherheit. Ein chinesisches Rettungsteam nahm ebenfalls seine Arbeit auf. "Wir werden Japan weitere Hilfe zur Verfügung stellen, wenn dies nötig ist", sagte der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao. Südkorea schickte am Montag 102 Helfer nach Japan. Mehr als 70 Länder erklärten, dem asiatischen Land beistehen zu wollen und boten Unterstützung an. Aus mindestens zwölf Ländern sind bereits Hilfsteams in Japan eingetroffen. Aus Deutschland sind beispielsweise Spezialisten des Technischen Hilfswerkes im Einsatz.

Nach Einschätzung der japanischen Regierung handelt es sich um die schwerste Krise des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg. Bei dem Erdbeben und dem anschließenden Tsunami kamen vermutlich mehr als 10.000 Menschen ums Leben. Millionen Menschen sind ohne Strom und Wasser. Heftige Nachbeben erschütterten am Montag das Land. Zudem kam es erneut zu einer Wasserstoffexplosion in einem Atomkraftwerk.

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