Folgen des Dauer-Lockdowns: „Nur Mama ist langweilig“

Die Nerven im Lockdown liegen oft blank. Abwechslung bei der Kinderbespaßung fällt schwer und immer die gleichen Menschen zu sehen zermürbt.

Eine Mutter sitzt genervt in einem Wohnzimmer zwischen Speilszeug - ihre Mutter läuft um sie herum

Nach monatelangem Lockdown sind Kinder wie Eltern immer mehr genervt Foto: Katharina Mikhrin/imago

So langsam sind alle vom Dauer-Lockdown zermürbt. Meine Tochter, die sich zunächst gefreut hat, nicht mehr in die Schule zu müssen und wie im letzten Frühjahr ganz viel Zeit mit mir zu Hause verbringen zu können, ist es nach einem Monat, in dem sie ganz mit ihren Kuscheltieren beschäftigt war, mittlerweile so leid, sich den ganzen Tag selbst beschäftigen zu müssen, dass sie meint: „Ich fände langsam auch okay, mal wieder zur Schule zu gehen. Nur Mama ist doch irgendwie langweilig.“

Ich selbst bin mittlerweile schon genervt, wenn meine Tochter mit ihrem Faultierkuscheltier spielt, weil seine schrille Stimme mich auch am anderen Ende der Wohnung aus allem rausreißt. Meine Nerven liegen immer öfter blank. Ich träume ständig davon, die Wohnung einfach nur für mich alleine zu haben, und hasse mich gleichzeitig dafür, alleine schon von der Anwesenheit meiner Tochter genervt zu sein.

Auch mein 71-jähriger Vater, der seit März letzten Jahres von gelegentlichen Spaziergängen abgesehen nur zu Hause sitzt und da ihm seine Einkäufe abgenommen werden, nicht einmal mehr im Supermarkt unter Menschen kommt, ist in den letzten Wochen dünnhäutig geworden. Heute hat er die Nerven verloren, weil seine Deckenlampe nicht mehr funktioniert.

Ich kann ihn verstehen: So sehr ich bisweilen verfluche, in diesem Lockdown nicht alleine zu sein und frei über meine Zeit verfügen zu können, so wenig kann ich mir vorstellen, ein ganzes Jahr lang so gut wie keine Außenkontakte mehr zu haben. Ohne eine Aussicht auf baldige Änderung. Denn selbst für Risikopatienten kann es mit der Impfung ja noch eine Weile dauern. So lange trifft mein Vater niemanden außer mir. Seit etwas mehr als einem halben Jahr komme ich jeden Donnerstag bei ihm vorbei, um für ihn einzukaufen.

Eine Win-win-win-Situation

Doch durch den Ausnahmezustand entstehen auch ganz neue Synergien: Während ich monatelang lediglich zu meinem Vater gefahren bin, um ihm zu helfen, habe ich seit der Schließung der Cafés im November neben vielen sehr guten Gesprächen mit einem Mal auch noch einen ganz praktischen Nutzen von meinen Besuchen bei ihm: Da ich in meiner kleinen Wohnung nicht zum Schreiben komme, habe ich mir, seit die Cafés geschlossen sind und es für stundenlanges Arbeiten auf Parkbänken zu kalt geworden ist, in meinem ehemaligen Zimmer in seiner Wohnung ein Schreiblager eingerichtet.

Er hat es seit meinem Auszug vor 20 Jahren nie genutzt. Nun ist es ein Refugium, in dem ich jederzeit in Ruhe meiner Arbeit nachgehen kann, wenn meine Tochter anderweitig versorgt ist.

Die wiederum muss nicht mehr jeden Tag mit ihrer „genervten Mama“ rumhängen, die „in diesem blöden Lockdown die ganze Zeit immer nur an ihre Arbeit“ denkt „und gar keine Lust zu spielen“ hat, wie sie zu Recht klagt: Eine liebe Nachbarin, die meint, sie sei unterfordert vom Nichtstun in der Kurzarbeit, hat sich angeboten, ein paar Stunden in der Woche mit ihr zu spielen: Ihre zwei ältesten Kinder sind erwachsen und die jüngste, die noch bei ihr wohnt, ist bereits ein Teenie und so selbstständig, dass sie ihre Mutter nicht mehr braucht.

Bereits zwei Mal war meine Tochter nun dort zu Besuch, hat neue Gesellschaftsspiele kennengelernt, mit unserer Nachbarin gemalt und Spaß im Schnee gehabt. Beide Male kam sie beglückt zurück.

Eine Win-win-win-Situation: Die Nachbarin hat mit der Kinderbespaßung der isolierten Siebenjährigen eine anspruchsvolle temporäre Aufgabe, mein Vater ist froh, nicht mehr jeden Tag alleine zu sein, und die „genervte, langweilige Mama“ freut sich nach getaner Arbeit, ihre Tochter wiederzusehen, und hat auch wieder Elan und Ideen für Spiele.

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Jahrgang 1983, studierte nach Auslandsaufenthalten in Oxford, Montpellier, Glasgow und Buenos Aires in Hildesheim Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus. Schreibt seit 2012 für die taz. Hauptsächlich Berliner Szenen, aber auch Reportagen, Hausbesuche und Kolumnen für Berlin Viral.

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