Folgen der Klimaerhitzung: Im Hochrisikoland
Deutschland hatte in den vergangenen 20 Jahren mit die größten Klimaschäden zu verzeichnen. Vor Ort beginnt man sich darauf einzustellen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das extreme Wetter – hohe Temperaturen, Dürre, Starkregen – mit dem Klimawandel zu tun hat, ist hoch, denn es geht einher mit einer deutlichen Veränderung klimatischer Parameter in den vergangenen Jahrzehnten. Im Detail befasst sich damit die Attributionsforschung – ein junger Zweig der Klimawissenschaften. Eine Hitzewelle wie jüngst in den USA sei durch den Klimawandel 150-mal wahrscheinlicher geworden, ermittelte ein Team um die Klimatologin Friederike Otto von der Oxford-Universität.
Nachgezeichnet werden die Veränderungen in den Monitoring-Berichten der Bundesregierung, die alle vier Jahre erscheinen, der letzte von ihnen 2019. Der vom Umweltbundesamt herausgegebene Bericht verfolgt 56 Indikatoren auf 15 Handlungsfeldern und soll eine Basis liefern für die deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel.
Laut dem Bericht verzeichnete der Deutsche Wetterdienst (DWD) in den Jahren 2003, 2018 und 2019 die wärmsten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Lufttemperatur in Deutschland ist von 1881 bis 2018 im Schnitt um 1,5 Grad Celsius angestiegen – für Niedersachsen gilt der gleiche Wert, in Schleswig-Holstein waren es 1,3 Grad.
Hitze nimmt zu
Im Zuge dieser Entwicklung ist es immer häufiger extrem heiß geworden. Insbesondere die Zahl der heißen Tage pro Jahr mit 30 Grad oder mehr hat deutlich zugenommen. Das hat Folgen: Im Jahr 2003 sind etwa 7.500 Menschen mehr gestorben, als ohne Hitzewelle zu erwarten gewesen wäre. Für die Jahre 2006 und 2015 vermerkt das Monitoring jeweils etwa 6.000 zusätzliche Todesfälle.
Die Hitzetoten tragen wesentlich dazu bei, dass das in einer gemäßigten Klimazone liegende Deutschland im Risikoindex von Germanwatch in der Spitzengruppe auftaucht. „Andere Länder haben gelernt, mit dem Thema Hitze umzugehen“, sagt David Eckstein von Germanwatch mit Blick auf tropische und subtropische Länder. Außerdem sei die Datenlage nicht in allen Ländern gleich gut, sodass sich eine Übersterblichkeit nicht immer so gut feststellen lasse.
Im Übrigen erfasse der Index Extremwetterereignisse und deren Folgen. Daraus ergebe sich nicht direkt eine Rangfolge der vom Klimawandel am stärksten betroffen Länder. Allerdings lasse sich ein Zusammenhang mit dem Klimawandel nicht verneinen, insbesondere bei der Hitze sei er eindeutig.
Die zunehmende Temperatur bildet sich auch im Monitoring der Bundesregierung ab. Es stellt fest, dass es in ganz Deutschland vermehrt zu trockenen Phasen gekommen ist mit unterdurchschnittlichen Grundwasserständen. Im Sommer sei der Wasserstand der Flüsse gesunken. Bei Ganzjahresbetrachtungen stellte der DWD in seinen Reports allerdings fest, dass es zumindest in Niedersachsen und Schleswig-Holstein feuchter geworden ist. Ganz am Ostrand Niedersachsens verdunstet dagegen mehr Feuchtigkeit als an Regen, Tau und Schnee fällt.
Der Regen fällt in Niedersachsen immer häufiger im Zuge von Wolkenbrüchen, wenn man die Zeiträume von 1981 bis 2020 und 1961 bis 1990 miteinander vergleicht. Der Zuwachs von 3,3, auf 3,9 Tage mit Starkregen sei aber so gering, dass „Vorsicht bei der Interpretation geboten“ sei, warnt der DWD. Für Schleswig-Holstein gilt Ähnliches.
Beim Flusshochwasser erkennt das Monitoring keinen Trend. Ein einzelnes Hochwasserereignis lasse sich nicht mit dem Klimawandel erklären. „Die Entstehung des Hochwassers hängt stets mit besonderen Witterungskonstellationen zusammen, die aber bisher nicht systematisch und regelmäßig wiederkehrend auftreten“, heißt es in dem Bericht.
Allerdings könne eine wärmere Atmosphäre grundsätzlich mehr Feuchtigkeit aufnehmen, sodass es bei bestimmten Wetterlagen zu Wolkenbrüchen kommen könne. Ein Beispiel dafür ist ein Tief, das aus der Biskaya übers Mittelmeer nach Mitteleuropa zieht, dort auf kalte Luft trifft, die Feuchtigkeit in Form heftigen Regens kondensieren lässt.
Klarer sieht das Bild beim Meeresspiegel aus. Die Pegel an der Nord- und Ostsee sind messbar gestiegen. „Die Erhöhung der Intensität von Sturmfluten ist weitgehend auf den Meeresspiegelanstieg zurückzuführen“, heißt es im Monitoring. Der Meeresspiegel ist im Schnitt der vergangenen 120 Jahre um knapp zwei Millimeter pro Jahr gestiegen. Dadurch starten die Sturmfluten heute auf einem höheren Ausgangsniveau. Verschärft werden sie durch Eindeichungen und das Absperren von Nebenflüssen, die dem Wasser den Raum nehmen.
Frühling immer früher
Dafür, dass sich das Klima geändert hat, sprechen auch die Blühzeiten der Pflanzen. Die Entwicklung zeige seit Jahren „eindeutig in die eine Richtung: Die Winter werden wärmer und kürzer, der Frühling setzt schneller ein“, sagt Claus von Hoerschelmann vom Multimar-Wattforum im nordfriesischen Tönning.
Das dortige Meeresmuseum dokumentiert die Klimaveränderungen im Wattenmeer. So findet sich dort neuerdings der Diogenes-Einsiedler, ein aus dem Mittelmeer stammender Krebs. Und die Dänen können vor ihre Küste Sardellen, Sardinen und Meeräschen fangen. Die fühlen sich dort jetzt wohl, weil Nord- und Ostsee seit 1985 an die 1,4 Grad wärmer geworden sind.
Doch lässt sich aus der Statistik der vergangenen rund 150 Jahre tatsächlich ableiten, dass sich dass Erdklima ändert? Unbedingt, sagt der Hamburger Klimaforscher Mojib Latif. „Das ist völlig aus der Art geschlagen, wenn man die vergangenen Jahrtausende betrachtet.“ Durch die Untersuchung von Kohlendioxidgehalten in Eisbohrkernen oder Pollendaten aus der Erdvergangenheit versuchten Klimaforscher die natürliche Variabilität abzuschätzen. Ergebnis: Einen so rasanten Temperaturanstieg wie heute habe es noch nie gegeben.
Der Übergang von der letzten Eiszeit zur jetzigen Warmzeit habe 10.000 Jahre gedauert, die Temperaturerhöhung habe vier Grad betragen, sagt Latif. Heute sprächen wir von einem Grad in 100 Jahren. „Das wäre alles kein Problem“, sagt der Klimaforscher, „wenn es langsam passieren würde“. Aber danach sieht es nicht aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid