Fördergeld-Missbrauch in Griechenland: „Sie täuschen soziale Ziele vor“
Soziale Unternehmen müssen in Griechenland weniger Abgaben zahlen. Doch das wird missbraucht, sagt der Soziologe Ioannis Nasioulas.
taz: Herr Nasioulas, halten die Griechen nach fünf Jahren Dauerkrise zusammen oder verhalten sie sich unsolidarisch?
Ioannis Nasioulas: Wegen der Krise beginnen sich die Menschen neu zu organisieren. Sie verfolgen dabei weder einen guten noch einen schlechten Ansatz, sondern suchen funktionale Lösungen. Die Krise erfasst unser gesamtes Finanz- und Wirtschaftssystem und hat vor allem negative Effekte auf Unternehmensgründungen. Die Leute orientieren sich um und versuchen es mit solidarischen Wirtschaftsformen wie Genossenschaften und sozialen Unternehmen. Oft geht es aber auch bei diesen Formen weniger um Solidarität, sondern um Bereicherung.
Inwiefern?
Der ehemals prosperierende Sektor griechischer Nichtregierungsunternehmen finanzierte sich vor allem mit europäischen Subventionen. Allerdings wurden dabei sehr viele Gelder falsch verwendet. Ein großer Teil der Unternehmen war darauf ausgerichtet, die EU-Gelder regelrecht zu veruntreuen. Diese Leute versuchen, im Bereich der sozialen Unternehmen das Spiel fortzusetzen. Sie sind vernetzt und wissen, was sie tun.
Wie sieht der Missbrauch aus?
Diese Organisationen tun so, als würden sie den Anforderungen der EU-Kommission nachkommen. Sie täuschen soziale Ziele vor, haben eine schöne Webseite. Aber in Wirklichkeit machen sie etwas ganz anderes mit den Geldern. Der Missbrauch von EU-Geldern ist mittlerweile eine richtige Industrie geworden.
ist promovierter Soziologe und Direktor des Sozial-ökonomischen Instituts in Thessaloniki. Er berät die EU-Kommission u.a. als Experte für soziales Unternehmertum.
Ist das solidarische Wirtschaften komplett korrumpiert?
Nein, das nicht, aber leider sind nur rund 20 Prozent wirklich soziale Unternehmen, die ihren Anspruch ernst nehmen. Die Krise hat vor allem soziale Dienstleistungen und Bereiche wie die Forschung, Kultur und Medien getroffen. Was aber immer noch relativ gut funktioniert, ist der Export. Deshalb versuchen viele Unternehmen in diesem Sektor, auf soziale Unternehmensmodelle umzusteigen.
Welche Vorteile haben denn diese sozialen Unternehmen?
Vor vier Jahren hat die Regierung auf europäischen Druck hin ein neues Gesetz für soziale Unternehmen erlassen. Sie müssen nachweisen, dass sie einen solidarischen Anspruch verfolgen – das kann die Organisation betreffen, aber auch eine Leistung für die Gesellschaft. Dafür bekommen sie einen Sonderstatus, der ihnen weniger Bürokratie und Abgaben zugesteht. Das war eine gute Idee. Leider sind aber viele der 750 angemeldeten Firmen normale Mainstream-Geschäftemacher. Durch den Status als soziales Unternehmen können sie europäische Hilfen abfassen. Nach außen sind sie sozial, aber in Wahrheit nur von privatem Interessen geleitet.
Da gibt es keine Kontrollen?
Leider nicht genug. Wir brauchen von europäischer und griechischer Seite ein neues Prüf- und Kontrollsystem, um diese pseudo-sozialen Initiativen aufzudecken. Die neue Regierung will dem nun gesetzlich einen Riegel vorschieben, noch ist jedoch nichts geschehen. Es muss aufhören, dass wirklich solidarische Organisationen durch diese Misswirtschaft einen schlechten Ruf bekommen.
Soziales Wirtschaften entsteht in Griechenland gerade noch?
Ja, wir stehen noch am Anfang. Das hängt aber auch damit zusammen, dass der Staat ein wirklich solidarisches System gar nicht zulässt oder es gar fördert.
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