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Flüsse in bayerischer LandesverfassungAch, Loisach!

Ein Volksbegehren will Flussrechte in der bayerischen Verfassung verankern. Die Loisach soll als Präzedenzfall dienen. Eine Erkundungsfahrt.

Die Loisach beim Kochelsee, Bayern Foto: Wilfried Feder/Westend61/imago

Mit sanftem Nachdruck quillt es aus dem Hang heraus, ein Tümpel hier, ein Rinnsal da, und so füllt sich ein langgestreckter Weiher, waldumsäumt und schilfbestanden: die Loisachquellen. Forellen kreuzen über dem sandigen Grund, darüber Libellentanz, Schmetterlingstaumel, Käfergesums. Am östlichen Ende tritt ein Bach aus. Doch schon nach wenigen Schritten versperrt ihm eine Doppelstaustufe den Weg, und hinter der nächsten Biegung folgt eine ausgewachsene Talsperre. Wer setzt der Loisach schon in zartem Alter derart zu? Die Biber sind’s. Mit armdicken Ästen, Laub und Matsch verbarrikadieren diese gewieften Öko-Ingenieure den Bach und fluten den Wald. Das nächste Dorf heißt denn auch Biberwier.

Wenn die Loisach dort hinaus ins Ehrwalder Becken tritt, ragt die Zugspitze vor ihr auf. Hier auf Tiroler Gebiet präsentiert sie sich von ihrer Schokoladenseite, während sie Bayern nur die kalte Schulter zeigt. Mag sie mit ihren 2.962 Metern auch Deutschlands Nonplusultra bilden, in Österreich wird sie von mehr als siebenhundert anderen Gipfeln überragt. Sie kann froh sein, dass sie überhaupt einen Namen bekommen hat. Den Grund des Talkessels füllt ein verlandeter See, das erste von vielen Moorgebieten, das die Loisach auf ihrem gut hundert Kilometer langen Weg speist. Hier stockt sie mehr, als dass sie vorwärts flösse, zusätzlich entschleunigt durch weitere Bollwerke der Biber, dieser schlammbraunen Nixen, die selbst am Fußballplatz noch ihrer Bauwut frönen.

Noch ist sie ein einfacher Bach, kalt und klar und leise plätschernd. Noch ahnt die Loisach nicht, dass sie drüben in Bayern zum Politikum werden wird, dass ihr dort, stellvertretend für alle Wasserläufe, eine eigene Rechtspersönlichkeit zugesprochen werden soll, und dass sie im Begriff steht, einem exklusiven Klub beizutreten, auf Augenhöhe mit dem neuseeländischen Whanganui, dem indischen Ganges oder dem kolumbianischen Atrato.

Moore sind nicht nur Wasser-, sondern auch Zeitspeicher, und so kommen hier entlang der alten Route über den Fernpass immer wieder stumme Zeugen versunkener Epochen zum Vorschein. Nach den römischen Alpenfeldzügen wurde die Via Claudia Augusta zu einer der wichtigsten Heer- und Handelsstraßen des Imperiums ausgebaut. Sie führte vom Po bis an die Donau, und die Reste eines Teilstückes kann man hier heute noch bestaunen: den Prügelweg, einen Damm aus tausenden von Knüppeln, die Direttissima durchs Moos. Besser hätten ihn die Biber auch nicht bauen können.

Die Loisach

Anfahrt Mit dem Zug von München über Murnau und Garmisch Patenkirchen nach Lermoos

Volksbegehren Initiative für Eigenrechte der Natur, https://gibdernaturrecht.muc-mib.de

Einkehr Gasthaus Wechner, Mitteregg 5, A – 6622 Berwang, https://www.mitteregg.at. Jausenstation „am schönsten Ende der Welt“; Ähndl, Ramsach 2, 82418 Murnau, https://aehndl.de. Gasthof mit vorzüglicher Küche und weitem Blick übers Moos in die Berge. Promberger Hof, Stern 2, 82439 Großweil, https://promberger-hof.de. Ausflugslokal hoch über dem Loisachtal, mit klassischem Blick auf die Voralpen.

Radverleih STS Murnau, Untermarkt 6, 82418 Murnau. Tel.: 08841 627203, tuimurnau@aol.com, www.sts-murnau.com

Information Tourismus Oberbayern, Prinzregentenstr. 89, 81675 München www.oberbayern.de

Früh schon wurde das Außerfern, also von Tirol aus gesehen das Land jenseits des Fernpasses, auch selbst zum Ziel – der Fremdenverkehr begann. Das Hotel Mohr in Lermoos etwa blickt auf eine über zweihundertjährige Geschichte zurück. Während Tina Mantl-Künstner die Anlage mittlerweile zum schicken „life resort“ umgestaltet hat – mondän, amerikanisch, spektakulär –, hütet ihre Mutter Brigitte im hauseigenen Museum „lauter schöne Dinge aus einer anderen Welt“, von der nostalgischen Espressomaschine bis zum Grammophon.

Das Geschiebe des Wassers

Hinab in Richtung Garmisch rauschend, sucht die Loisach einen Ausweg aus dem alpinen Labyrinth. Zahlreiche Wasserläufe eilen von allen Seiten herbei, einer stürzt in einer schäumenden Kaskade sechzig Meter tief herab. Wanderer und Radfahrer, die nichtsahnend daran vorbeikommen, bleiben wie angewurzelt stehen – einen solch erhabenen Anblick würde man eher im Yosemite-Park vermuten.

Als Leiter der Wildbach- und Lawinenverbauung im Bezirk Reutte ist Christian Ihrenberger für diese Zubringer mit zuständig. „Meine Bäche nähren alle die Loisach“, erklärt er mit glucksender Stimme, ganz wie ein Lehrer, der befriedigt feststellt, dass seine Schützlinge es zu etwas gebracht haben. Auch wenn die Arbeit seines Teams primär dem Schutz von Siedlungsraum dient, so werden ökologische Maßnahmen doch immer wichtiger. Wenn er auf Kongressen vom Rückbau der Sperranlagen drüben am Lech berichtet, so hängen die Zuhörer an seinen Lippen, denn bisher hat man damit in Europa kaum Erfahrung.

Nach schweren Hochwassern waren diese Barrikaden vor gut hundert Jahren errichtet worden, um das Geschiebe zurückzuhalten und die Sohle einzutiefen. Nun werden sie nach und nach abgesenkt, so dass der Lech wieder mehr Schotter und Steine mitführen kann. Doch wozu braucht so ein Fluss das Geschiebe? „Zum Bremsen. Sonst wär das Wasser viel zu schnell.“ So entstehen vielfältige Lebensräume, ruhige Laichgewässer etwa, so reguliert er seinen Energiehaushalt: „Das Geschiebe ist das Brot des Baches.“

In Garmisch ist die Loisach dann zum ersten Mal befestigt und begradigt worden, hier speist sie auch das erste Kraftwerk. Während der Abschnitt bis Eschenlohe zuletzt mehrfach mit Hochwassern zu kämpfen hatte, säumen danach großflächige Moore ihren Lauf. Sie wirken wie Schwämme und saugen noch die stärksten Fluten stoisch auf.

Der Loisach eine Stimme geben

Das Ramsachkircherl am Nordrand des Murnauer Mooses bietet einen Logenplatz im Naturtheater des Alpenvorlands. Das Moor bildet die Bühne, die Vorberge die Kulissen. Claus Biegert, Initiator der Loisach-Kampagne, erzählt, was ihn mit dieser Landschaft verbindet. „Ich hatte das Glück, Ingeborg Haeckel als Biologielehrerin zu haben.“ Eine Enkelin des großen Naturforschers Ernst Haeckel, der auch den Begriff der Ökologie geprägt hat. Sie unternahm mit ihren Schülern nicht nur Exkursionen durchs Moos, sie kämpfte auch zu einer Zeit für dessen Erhalt, als man es allenthalben trockenlegen oder zweckentfremden wollte. „Nach dem Unterricht fuhr sie oft nach München ins Ministerium. Sie war eine Aktivistin, bevor das Wort erfunden wurde.“

Als Filmemacher, Radiojournalist und Autor hat Biegert viel über indigene Völker gearbeitet, insbesondere in Nordamerika. Irgendwann übertrug er deren ganzheitliche Weltanschauung auf seine Heimat: Besaß nicht auch das Oberland schützenswerte Naturgüter? Waren nicht auch die bajuwarischen Indigenen aufs Engste damit verbunden? So entstand die Initiative „Der Loisach eine Stimme geben“, die ihrerseits einmündete in ein gleichzeitig anlaufendes Volksbegehren für „Rechte der Natur“, das „die natürliche Um- und Mitwelt als juristische Person“ in die Bayerische Verfassung einschreiben lassen will. Als Vorbilder dienen das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ sowie ähnliche Bestrebungen für Eigenrechte der Natur in anderen Ländern. So sollen die Interessen von Landwirtschaft und Industrie eingeschränkt, die der Umwelt gestärkt werden. Als dynamische Systeme eignen Flüsse sich dafür besser als Berge oder Seen.

Freilich ergeben erst alle Komponenten zusammen jene beglückende Ganzheit, die wir Landschaft nennen. Die des Murnauer Mooses hat sogar Kunstgeschichte geschrieben. Um die Jahrhundertwende verhalfen Wassily Kandinsky, Franz Marc und Gabriele Münter der Poesie zum Sieg über die bloße Wirklichkeit. Wobei die Sumpfgräser hier tatsächlich rot und die Berge blau erscheinen können, umglänzt von einem magischen Schimmer. Liegt es am Föhn? Am Ozon? An den Moorgasen? An den vielen Wasserflächen? Über der Welt schwebt ein irisierendes Licht, das paradoxe Empfindungen von Fernweh und Heimat, Weite und Geborgenheit hervorruft.

Marcs Tierstudien gerieten zu Stillleben im Freien. Pferde malte er obsessiv. Sie waren im Murnauer Land allgegenwärtig, auch weil das spätere Staatsgestüt Schwaiganger im weiten Umkreis Pferde stehen hatte. Bis heute prägen sie das Landschaftsbild. Hier rauscht ein Zweispänner durch die Felder, dort schleift ein Kaltblüter einen Fichtenstamm aus dem Wald – nostalgische Szenen, wie man sie sonst eher bei den Amischen erwarten würde. Doch hier sind sie Teil der Ausbildung für Mensch und Tier, und seit das Gestüt ökologisch bewirtschaftet wird, hat naturschonende Arbeit weiter an Wert gewonnen.

Ein weiß-blaues Ökotopia

Mit seinen 860 Hektar dürfte es einer der größten Bio-Betriebe in Bayern sein. „Wir als Staatsgestüt müssen vormachen, dass es auch mit solchen Flächen geht“, erklärt Cornelia Back, die Leiterin. „Indem wir jungen Leuten diese Grundlagen mitgeben, investieren wir in zukunftsträchtige Landwirtschaft.“ Manche Parzellen liegen direkt an der Loisach, andere an ihren Zubringern oder im Moos. „Dank ihr haben wir hier noch keine Probleme mit der Trockenheit. Sie bettet sich so schön ins Gelände ein, dass sie gar nicht wegzudenken ist.“

Wächst da an den Gestaden der Loisach ein weiß-blaues Ökotopia heran? Ist Bayern unterwegs in eine bessere Welt? In der die Flüsse eine Stimme bekommen und dazu noch Geschiebe nach Herzenslust, in der Nachhaltigkeit regiert und „Habgier und Hetze“ in die Schranken gewiesen werden? Ein weiteres Glied in dieser Kette ist Nantesbuch, ein gut 300 Hektar großes Landgut unweit von Bad Heilbrunn. Seit die Stiftung Kunst und Natur es vor zehn Jahren übernommen hat, werden auch hier Renaturierung und Ökolandbau großgeschrieben. Dazu widmet sich ein umfangreiches Programm den Künsten und der Umweltbildung.

Anhand napoleonischer Karten wurde kürzlich der alte Lauf des Haselbachs wiederhergestellt. Dadurch fließt er nun langsamer, die Biodiversität hat sich erhöht, Überschwemmungsflächen sind hinzugekommen. Parallel werden Moore wieder vernässt. „Je mehr davon in der Region renaturiert werden, desto weniger tritt die Loisach über die Ufer“, meint Sinan von Stietencron, Philosoph und Kurator des Programmbereiches Natur. Auch hier gehen handfeste Erdarbeiten mit utopischen Idealen Hand in Hand. „Wir sind ein Ort, der immer wieder versucht, darauf hinzuweisen, dass es doch schön wäre, wenn es schön wäre.“

Bei Führungen und Veranstaltungen baut Stietencron stets auch einen der kostbarsten Rohstoffe unserer Zeit ein: Stille. Zuletzt bei der spätsommerlichen Nacht der Perseiden, diesem Gala-Feuerwerk der Sternschnuppen, zu dem sich alljährlich eine bunte Pilgerschar auf der weltabgeschiedenen Kuppe einfindet und in Liegestühlen den Wundern der Nacht überlässt. Mit solchen Veranstaltungen wirkt Nantesbuch als ein geistiges Kraftwerk, sind doch „auch Natur- und Kunsterlebnisse eine Form der Energiegewinnung“.

Hinter Wolfratshausen mündet die Loisach dann in die Isar; bis ins Schwarze Meer haben ihre Wasser nun noch 2.500 Kilometer vor sich. Erklimmt man eine verschwiegene Stelle des Hochufers, so reicht der Blick bis tief hinein nach Montana. Oder vielleicht auch Alberta. Jedenfalls würde niemand diese Urlandschaft in Mitteleuropa verorten, ein Panorama, das seit Ende der Eiszeit unverändert scheint. Von Südosten her kriecht die Isar in weiten Schleifen heran, tritschelt zwischen den Inseln und Kiesbänken der Pupplinger Au herum. Die Loisach hingegen rauscht mit voller Wucht in sie ein, blaugrün, mächtig, tatendurstig. Wälder erstrecken sich bis zum Horizont, der Himmel erstrahlt in obligatorischem weiß-blau. Eine solch archaische Szenerie wäre es wert, weitere zehntausend Jahre bewahrt zu werden.

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2 Kommentare

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  • Find ich gut, die zerstörerischen Wasserkraftanlagen, auch als Fischhäxler bekannt , sind dann wohl so etwas wie Körperverletzung. Was ja auch stimmt. Bevor wir keinen Sand mehr am Meer haben, muss den Verbauungen und Begradigungen unbedingt Einhalt geboten werden. Vielleicht sollten dann, nach der nächsten Flut Wasserbauingenieure vor Gericht kommen wegen Totschlags...

    • @Dodoist:

      Es ist ein unbewiesener Mythos, dass Wasserkraftanlagen Fischhäxler seien. Gestreut von Kräften, denen eine funktionierende Energiewende ein Dorn im Auge ist. Denn für eine solche braucht es neben Windenergie und Photovoltaik auch die antizyklischen Elemente Biogas und Wasserkraft.



      Die Wasserkraftturbinen auch an der Loisach sind durch Rechen mit 20 mm Stababstand geschützt.



      Vielleicht haben Sie ja die Geist-Studie (Müller et al. 2016 bzw. 2022) im Hinterkopf. Dort allerdings wurden Fische HINTER dem Rechen eingesetzt. Die Aussagefähigkeit einer solchen Studie gegenüber der Mortalität von ungeschützten Turbinen ist gegeben, aber irrelevant. Die Aussagefähigkeit gegenüber Wasserkraftanlagen, also durch Rechen geschützten Turbinen ist gleich Null.



      Fische sind sensible und gar nicht mal unintelligente Lebewesen, die durch anthropogenen Einfluss einem immensen Stress ausgesetzt sind. Da sind in erster Linie die Quecksilberverseuchung unserer Gewässer, Reifenabrieb und Medikamentenrückstände zu nennen. Dem kommt man mit millionenschweren "Renaturierungsaktionen" überhaupt nicht bei. Aber auch das Freizeit-Angeln fordert hohe Tribute (auch aus der Loisach werden durchschnittlich 34 Kg Fisch pro Jahr UND FLUSSKILOMETER geangelt - und für Fische ist Angeln in etwa das, was für Menschen Ertrinken ist).



      Die anthropogen verursachte Mortalität durch Wasserkraftanlagen ist gegen diese Stressoren vernachlässigbar. Bei Aalen wurde diese - sogar von fischfreundlichen Studien - auf unter 1% berechnet (darin enthalten waren sogar sämtliche Kühleinläufe von Industrieanlagen inklusive jener von Kohlekraftwerken und Atommeilern) Zum vergleich: Die Angelfischerei liegt da bei 2%, also doppelt so hoch.



      Bei kleinen Wasserkraftanlagen mit 20mm-Rechen kommt sie überhaupt nicht vor.