Flüchtlingsschiff sinkt im Mittelmeer: Und wieder sterben Hunderte
Vor der Küste Libyens sinkt ein überladenes Flüchtlingsschiff, etwa 230 Menschen sterben. Vertreter der EU geben sich betroffen.
Das stark überladene Fischerboot kenterte am Mittwoch etwa 15 Seemeilen vor der Küste Libyens. Die Menschen hatten sich auf eine Seite bewegt, als ihnen der irische Marine-Aufklärer „LE Niamh“ zu Hilfe kam, nachdem die Fahrt schon nach Stunden gestoppt hatte, weil Wasser in den Frachtraum eingedrungen war. Nach Angaben von Geretteten waren etwa 100 Migranten im Frachtraum des Schiffes, als es kenterte. Das Schiff sei „binnen zwei Minuten“ gesunken, sagte der irische Verteidigungsminister Simon Coveney.
Die meisten Menschen an Bord stammten nach Angaben der italienischen Behörden aus Syrien. Erst war von rund 700 Flüchtlingen die Rede, nach der Befragung von Überlebenden senkten die Behörden am Donnerstag ihre Schätzung auf etwa 600. Etwa 230 Menschen wären demnach gestorben, 25 Leichen wurden geborgen.
Das Schiff „Dignity I“ der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) traf unmittelbar nach dem Unglück ein, die MSF-Schiffe „Bourbon Argos“ und „MY Phoenix“ fuhren zum Unglücksort. Gemeinsam mit der italienischen und irischen Marine suchten sie in der Nacht zum Donnerstag vergeblich nach weiteren Leichen, sichteten aber am Donnerstagmorgen zwei weitere Flüchtlingsboote in dem Gebiet.
Lieber ertrinken, als in Libyen bleiben
„Es war ein grauenhafter Anblick,“ sagte Juan Matías, MSF-Projektkoordinator auf der „Dignity I“. Menschen hätten sich „verzweifelt an Rettungsringe, Boote und allem, was sie erreichen konnten, geklammert und um ihr Leben gekämpft, inmitten von Menschen, die ertranken, und jenen, die schon gestorben waren.“
MSF-Mitarbeiter berichten, sie hätten Überlebende gefragt, warum sie die lebensgefährliche Überfahrt gewagt hätten. „Wir haben immer die gleiche Antwort bekommen: Es gab keine Alternative.“ Die Migranten hätten erklärt, lieber zu ertrinken, als in Libyen zu bleiben oder wieder nach Syrien zu gehen.
Die Organisation kritisierte die unzureichende Präsenz der internationalen Gemeinschaft in dem Seegebiet: „Die Tatsache, dass wir als Erste zu Hilfe gerufen und dann gleich zu einem anderen Notfall weiter geschickt wurden, zeigt die schweren Mängel an Ressourcen für Rettungseinsätze“, sagte Matías.
Ähnlich äußerte sich Amnesty International (AI): „Dieses furchtbare Schiffsunglück macht erneut deutlich, dass die europäischen Regierungen umgehend sichere und legale Routen für schutzbedürftige Menschen einrichten müssen“, sagte Denis Krivosheev, stellvertretender Europa-Direktor von AI. Es sei „zwingend erforderlich, den Rettungsmissionen auf See höchste Priorität zu geben“.
Vertreter der Brüsseler EU-Kommission schrieben am Donnerstag von „großer Trauer“. „Schon ein einziges verlorenes Leben ist eines zu viel“, schrieben die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans und EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos in einer gemeinsamen Erklärung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich