Flüchtlingspolitik in Österreich: Wien bereitet mal den Notstand vor
Die Versuche der Regierung, Flüchtlinge abzuwehren, grenzen an ein Possenspiel: Die Koalition hat eine Sonderverordung verabschiedet.
Ein Mehr an Asylanträgen stelle eine Gefahr für die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit“ dar, heißt es in dem Entwurf. Und, so die originelle Formulierung: Bei den Asylbehörden würden „die personellen Ressourcen zum Erliegen kommen“.
Während das Innenministerium in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der FPÖ zu Straftaten von Asylwerbern jeden Alarmismus vermied und nur geringe Zuwächse auswies, wird das Sicherheitsproblem für die Notverordnung durch Statistiken untermauert.
Neben Diebstählen und Suchtgiftdelikten seien „auch Vergewaltigungen und ein Mord“ begangen worden. Angesichts der zunehmenden Radikalisierung unter den Gefängnisinsassen sei aus Kapazitätsgründen „ein an den Zielen der Resozialisierung orientierter Strafvollzug kaum mehr möglich“. Dazu kämen Engpässe bei der Unterbringung und bei der Integration von Kindern in den Regelunterricht, Belastungen für das Sozialsystem und den Haushalt.
Asylanträge würden nach Erreichen der Obergrenze nur mehr von Flüchtlingen entgegengenommen, die enge Verwandte im Land haben oder bei Abschiebung von Folter bedroht wären. Ungeklärt ist, wie mit Asylsuchenden verfahren werden soll, die dann an der Grenze anklopfen. Denn Ungarns Regierung hat wiederholt klargemacht, man werde keine Flüchtlinge zurücknehmen.
Bisher herrscht auch keine Einigkeit, wann die Sonderverordnung in Kraft treten soll: Wenn die Obergrenze erreicht ist oder schon vorher. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) will „die Feuerwehr nicht erst dann rufen, wenn es brennt“. Er konnte aber Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) zustimmen, der davon sprach, das Erreichen der magischen Zahl müsse „in Reichweite“ sein. Der Angabe konkreter Details entzogen sich alle von den Medien befragten Minister durch den Wunsch, der Ernstfall werde nie eintreten.
Erwartungsgemäß übten nicht nur die Grünen Kritik am bevorstehenden Aussetzen einer menschenrechtlichen Verpflichtung. Für Christoph Pinter, Leiter des UN-Flüchtlingshochkommissariats in Österreich, begeht die Regierung einen „Tabubruch“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers