Flüchtlingspolitik in Deutschland: 475 Stimmen für schärferes Asylrecht
Der Bundestag hat die Asylregeln verschärft und Asylverfahren beschleunigt. Seehofer forderte zuvor im Landtag Taten. Merkel blieb bei ihrem Kurs.
In den Erstaufnahmeeinrichtungen sollen Bargeldzahlungen wie das Taschengeld durch Sachleistungen ersetzt werden. Wer aus wirtschaftlichen Gründen, aber nicht wegen politischer Verfolgung oder Krieg einreist, soll schneller abgeschoben werden. Für abgelehnte und ausreisepflichtige Personen, die einen Termin zur freiwilligen Ausreise haben verstreichen lassen, sind Leistungskürzungen geplant.
Menschen, die in Deutschland bleiben dürfen, erhalten aber schneller Zugang zu Integrationskursen sowie zum Arbeitsmarkt. Darüber hinaus werden mit dem Asylgesetz die Westbalkanstaaten Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten eingestuft, um die Asylverfahren zu beschleunigen.
„Politische Äußerung für die Weltöffentlichkeit“
Zuvor hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer in Regierungserklärungen sehr unterschiedliche Akzente in der Flüchtlingspolitik gesetzt. Die CDU-Vorsitzende warb am Donnerstag im Bundestag für Asylverschärfungen einerseits und eine grundsätzliche Aufnahmebereitschaft andererseits. Der CSU-Chef verlangte dagegen von Merkel eine „politische Äußerung für die Weltöffentlichkeit“, damit der Andrang von Migranten abebbt.
Die Kanzlerin müsse klarmachen, „dass auch für ein reiches Land wie Deutschland Grenzen der Zuwanderung bestehen und wir nicht alles bei uns aufnehmen können, was zu uns kommt“, sagte Seehofer im Landtag in München. Er forderte die Regierung zum Handeln auf: „Was die Menschen jetzt brauchen, sind Taten.“ Statt schlauer Sprüche oder „warmer Worte“ brauche man einen klugen Kompass und klares Handeln – vor allem eine Begrenzung der Zuwanderungszahlen. „Ohne Begrenzung der Zuwanderung werden wir als staatliche Gemeinschaft in Deutschland und Europa grandios scheitern“, betonte Seehofer. „Ohne Begrenzung der Zuwanderung werden wir unabsehbare Sicherheitsprobleme bekommen.“
Die Regierungserklärungen in Berlin und München waren auch angesichts der großen Unruhe in den Unionsparteien mit Spannung erwartet worden. Erst am Mittwochabend war Merkel bei einer CDU-Veranstaltung im sächsischen Schkeuditz Unverständnis und Unmut der Parteibasis über ihre großzügige Flüchtlingspolitik entgegengeschlagen. In der Wählergunst sind CDU und CSU nach einer aktuellen Umfrage auf den tiefsten Stand seit der Bundestagswahl 2013 gefallen. Wäre am Sonntag Bundestagswahl, käme die Union im neuen Insa-Meinungstrend auf nur noch 38 Prozent. Bei der Bundestagswahl hatten CDU/CSU zusammen 41,5 Prozent der Wählerstimmen geholt.
Im Bundestag warb Merkel vor diesem Hintergrund auch vehement für Asylverschärfungen, die das Parlament möglichst breit beschließen solle. Menschen ohne Asylanspruch müssten das Land schneller verlassen, Schutzbedürftige bekämen durch die Gesetzespläne dagegen effizientere Hilfe, sagte sie. Die Kanzlerin mahnte ein „gemeinsames Handeln aller Ebenen“ an. Doch betonte sie auch: „Abschottung im 21. Jahrhundert des Internets ist auch eine Illusion.“ Dies sagte sie offenkundig in Richtung parteiinterner Kritiker, die Grenzschließungen fordern. Kriege und Krisen gelangten „immer häufiger direkt vor unsere Haustür“.
Seehofer: Bund ist allein an allem schuld
Der CSU-Chef schob Merkel und der Regierung in Berlin – an der die CSU beteiligt ist – die volle politische Verantwortung zu. „Für die Zuwanderung und ihre Grundlagen ist alleine der Bund zuständig“, sagte er. „Und wenn der Bund nicht handelt, wir aber vor Ort die realen Auswirkungen haben, dann trägt der Bund für alle Komplikationen der Gegenwart und Zukunft die politische Verantwortung.“ Der Bund müsse endlich auf die Signale hören, die vor allem aus den Kommunen kämen. Seit Anfang September bis zum 13. Oktober seien fast 300.000 Flüchtlinge in Bayern angekommen. Wenn die Politik keine Grenzen setze, würden die Menschen der Politik Grenzen setzen – „und zwar durch Entzug des Vertrauens“.
Merkel räumte ein, so wichtig die am Freitag auch dem Bundesrat vorliegenden Asylgesetzänderungen seien – zur Lösung der Flüchtlingskrise reichten die Schritte nicht aus. „Dafür braucht es mehr.“ Weitere Gesetzesänderungen müssten folgen, so die Kanzlerin.
Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht hat der Bundesregierung „eklatantes Staatsversagen“ in der Flüchtlingskrise vorgeworfen. Nicht erst seit der hohen Zahl von Flüchtlingen fehle es an Wohnraum und an Lehrern in Deutschland, sagte Wagenknecht am Donnerstag im Bundestag. Die Kommunen bräuchten mehr Geld. „Die 100. Wiederholung des ‚Wir schaffen das‘ hilft dem Bürgermeister mit Haushaltsnotstand nicht“, sagte Wagenknecht in ihrer ersten Rede als Fraktionsvorsitzende.
„Natürlich können wir es schaffen, Deutschland ist ein reiches Land“, fügte Wagenknecht hinzu. „Aber dann muss man auch den Mut haben, das Geld bei den Reichen zu holen und nicht nur bei den Armen.“ Sie verwies zugleich darauf, dass es auch Einheimische in Notlagen gebe – etwa Alleinerziehende, die auf die Lebensmittel der Tafeln angewiesen seien oder Menschen, die unter Altersarmut litten. „All diese Notsituationen lassen Sie zu, seit vielen Jahren mit einem ziemlich ungerührten Gesicht“, warf Wagenknecht der Kanzlerin vor.
Wer selbst von Zukunftsangst gequält sei, sei selten bereit, anderen mit offenen Armen eine Perspektive zu geben, fügte Wagenknecht hinzu. „Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung wahr, statt zuzulassen, dass AfD, Pegida und Co dort ernten gehen, wo sie Spannungen und Überforderung gesät haben.“
Göring-Eckardt kritisiert Uneinigkeit der Union
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt rief die Union auf, die Flüchtlingskrise beherzter anzugehen. Es wundere sie, dass die Union ausgerechnet jetzt „in eine Identitätskrise gerät“, sagte sie in der Debatte mit Blick auf die unionsinterne Kritik am Kurs Merkels. „Kommen Sie raus aus der Angstecke“, appellierte Göring-Eckardt an die Union. Wenn sich die Politik zum „Anwalt der Angst“ mache, „haben wir in der Tat ein großes Problem“.
Es gelte, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern, „und nicht den einen gegen den anderen aufzubringen“, sagte Göring-Eckardt. Sie kritisierte in diesem Zusammenhang auch Wagenknechts Äußerungen zum möglichen Auftrieb rechter Kräfte wie Pegida. Sie verurteilte aber zugleich Äußerungen der Bundesminister für Inneres und Finanzen, Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble (beide CDU), als „Diffamierung“. De Maizière hatte beklagt, dass Flüchtlinge in Deutschland das Geld für weite Taxifahrten hätten, Schäuble hatte eine Kürzung des Hartz-IV-Satzes für Flüchtlinge ins Gespräch gebracht.
Der Bundestag sollte im Anschluss über das Asyl-und Flüchtlingspaket der Bundesregierung entscheiden. Dieses sieht eine Reihe von Verschärfungen und Leistungskürzungen im Asylrecht sowie eine Beschleunigung der Verfahren vor. Auf der anderen Seite werden Integrationsangebote für Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive ausgebaut. Der Bund will Ländern und Kommunen zudem mehr Geld für die Versorgung der Flüchtlinge geben.
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