Flüchtlingspolitik auf Malta: Europas Zukunft
Das European Asylum Support Office ist eine Behörde auf Malta. Hier könnte der Schlüssel zur Lösung der Flüchtlingskrise liegen.
Zur selben Zeit wurde der Ton zwischen Serbien und Ungarn schärfer: „Die EU hätte nicht die Augen verschließen dürfen bei Stacheldraht und Zäunen, aber sie hat absichtlich weggeschaut“, sagte der serbische Regierungschef Aleksandar Vučić beim Besuch Hunderter Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Pakistan, die in Belgrad auf der Straße zelten. Er sprach von dem Zaun, den Ungarn wegen dieser Menschen derzeit an der Grenze zu Serbien baut. Es fehle „nur noch, dass man Strom einleitet und die Sache beendet“, sagte Vučić.
Wie in eine Kettenreaktion eskaliert dieser Tage die Flüchtlingskrise: auf den überforderten griechischen Inseln, an Mazedoniens Grenze, auf dem Balkan und in den Schlangen vor den Erstaufnahmeeinrichtungen in Städten wie Berlin.
Nicht Griechenland oder Finanzkrisen gefährden Europa, sagte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD). „Wenn etwas die Europäische Union in Gefahr bringt, dann diese Art der nicht vorhandenen Flüchtlingspolitik.“ Auch de Maizière befand, das Schengen-System könne ohne „eine wirkliche europäische Asylpolitik keinen Bestand haben“. Das Asyl der Zukunft soll also europäischer sein. Die Frage ist, was das genau bedeutet.
Bescheidene Größe, gewaltige Aufgabe
Seit vier Jahren wird darüber in einem etwas düsteren Betonbau am Hafen der maltesischen Hauptstadt Valletta nachgedacht. Hier sitzt das European Asylum Support Office (EASO): eine EU-Behörde, deren bescheidene Größe und noch bescheidenerer Bekanntheitsgrad in eigentümlichem Gegensatz zu ihrer Aufgabe steht. Ein „Instrument auf dem Weg zu einem umfassenden und schützenderen gemeinsamen europäischen Asylsystem“ soll sie sein, sagte EU-Kommissarin Cecilia Malmström 2011 bei der Eröffnung.
Das letzte Mal war von der Behörde die Rede, als im April über 1.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken waren. Der Handlungsdruck auf die EU-Kommission wuchs. Brüssel schlug vor, Beamte aus anderen Mitgliedsstaaten nach Italien und Griechenland zu schicken, damit diese dort Asylanträge bearbeiten, um die enormen Wartezeiten zu verringern.
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„Joint Processing“ nennt die EU das. Gleichzeitig wollte sie prüfen lassen, ob und wie Flüchtlinge erstmals im großen Stil innerhalb der EU umverteilt werden könnten, um die Mittelmeerstaaten zu entlasten. „Relocation“ sagt man dazu in Brüssel. Doch die übrigen Mitgliedstaaten blieben zurückhaltend. Keiner wollte noch mehr Flüchtlinge aufnehmen.
So kehrte der EASO-Beamte Jean Pierre Schembri kurz darauf etwas unbefriedigt vom Rapport bei der EU-Kommission nach Valletta zurück. „Beim Relocation und Joint Processing könnten wir schon einiges tun“, sagt er. Doch nichts sei bislang geklärt. „Wir müssen abwarten, was der Rat will.“
Das Dublin-Dogma infrage stellen
Lange hatte man in Valletta auf diese Gelegenheit gewartet. Umverteilung und gemeinsame Bearbeitung von Anträgen – genau dies hatte das EASO in den Jahren zuvor in winzigen Testläufen erprobt. Da wurden etwa Asylbeamte aus Schweden, Deutschland oder Polen nach Südeuropa geschickt, wenn die Länder darum baten. Sie beziehen weiter ihr Gehalt, das EASO bezahlt Reisekosten und Auslandszuschlag mit EU-Geld. Zwei Tage werden sie im Asylrecht des Gastlandes geschult. „Die Unterschiede sind nicht so groß“, sagt Schembri.
Teils bilden die Entsandten danach aus, meist helfen sie, Anträge abzuarbeiten. 2014 schickte das deutsche BAMF acht Mitarbeiter nach Bulgarien und einen nach Italien. Dieses Jahr gingen drei Deutsche nach Bulgarien, einer kam nach Ungarn. Meist, so das BAMF, waren sie als Entscheider tätig.
2011 und 2012 hat das EASO erstmals insgesamt 600 Flüchtlinge aus Malta in die übrige EU verteilt. Zu der Zeit waren die Internierungslager dort völlig überfüllt, die Menschen saßen selbst nach der Anerkennung auf der Insel fest. Es war ein Tropfen auf den heißen Stein, aber es war ein Anfang, das Dublin-Dogma, nach dem jeder Mitgliedstaat allein für alle Flüchtlinge zuständig ist, die über seine Grenzen in die EU kommen, infrage zu stellen.
Labor für gemeinsames Asylsystem
Im letzten Jahr hat das EASO etwa 2.500 Asylentscheider aus 19 EU-Staaten darin geschult, Minderjährige zu interviewen und dabei die geltenden Vorschriften einzuhalten. Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit, doch angesichts der Brutalität, mit der in manchen EU-Staaten noch immer mit Flüchtlingen umgegangen wird, ist es das keineswegs.
Kurzum: Die Behörde ist ein kleines Labor für ein gemeinsames europäisches Asylsystem. Dass es das geben soll, darauf hatte sich der Europäische Rat schon 1999 geeinigt. Die Bedingungen für Flüchtlinge sollten EU-weit so geregelt werden wie die für die Entsorgung von Kühlschränken: penibel und verbindlich durchgesetzt.
Viele Jahre wurde verhandelt, seit 2013 ist das gemeinsame Asylsystem in Kraft. Es handelt sich um insgesamt fünf Verordnungen und Richtlinien. Sie rühren nicht daran, dass jeder Staat allein entscheidet, wem er Asyl gibt. Sie legen aber fest, wie die Verfahren ablaufen sollen. Auch wenn etwa die flächendeckende Internierung von Flüchtlingen weiterhin erlaubt blieb, war das System im Prinzip ein Fortschritt. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich viele EU-Staaten noch weniger um Menschenrechte scheren, wenn sie freie Hand haben.
Keine Sanktionen möglich
Das Problem ist: Viele Länder halten sich nicht daran. Tschechien weist 80 Prozent aller Syrer ab, in Kroatien gibt es keine Gesundheitsversorgung, in Irland muss ein Flüchtlingskind von 9,60 Euro pro Woche leben. Das sollte das EASO verhindern. Doch es hat nichts zu sagen. Es schreibt Berichte, bietet Schulungen an. „Wir dürfen nichts entscheiden“, sagt Schembri.
Am Ende durfte die Behörde auch keine Flüchtlinge aus Italien und Griechenland weiterverteilen. Die EU einigte sich im Juni lediglich auf freiwillige Übernahme von 40.000 Menschen bis 2017, die Auswahl übernehmen Italien und Griechenland. Nehmen die anderen Länder die Flüchtlinge doch nicht, passiert nichts.
Nichts, was das EASO in der Vergangenheit getan hat, wäre für sich genommen eine Lösung der europäischen Flüchtlingskrise. Aber es ist ein Anfang. Es kommt nicht von ungefähr, dass zwar alle eine gemeinsame EU-Asylpolitik fordern, aber niemand etwas dafür tut. Auf wohl keinem Politikfeld ist die Neigung, Kompetenzen an die EU abzugeben, geringer als bei der Migration. Von der Lebensmittelsicherheit bis zur Versicherungsaufsicht können auf EU-Ebene Entscheidungen getroffen werden. Wenn es aber um Asyl geht, ist jeder Staat faktisch frei, Flüchtlinge so schlecht zu behandeln, dass sie möglichst anderswohin verschwinden.
Schlechte Aussichten
Der einzige Mechanismus, den die EU stattdessen durchsetzt, ist das Dublin-System. Die katastrophale Lage an mittlerweile jedem Punkt der Migrationsroute zwischen Nordafrika oder dem Nahen Osten und Mitteleuropa ist dessen Folge. Ein Asylregime, das die Fehler des Dublin-Systems überwindet, muss Befugnisse der Nationalstaaten übertragen bekommen. Damit würde es auch wahrscheinlicher, dass endlich legale Zugänge nach Europa eingeführt werden.
Eine echte EU-Asylbehörde müsste nicht das Recht bekommen, die Asylanträge zentral zu bearbeiten. Mit einer echten Harmonisierung der Asylverfahren, der Aufnahmestandards und Integrationshilfen wäre viel gewonnen. Und jede Regelung jenseits von Dublin bräuchte eine Instanz, die finanziellen Lastenausgleich schafft.
Die Aussichten dafür aber stehen schlecht. Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaitė sagte es kürzlich rundheraus: Ihr Land wolle „die Möglichkeit haben, unsere Solidarität selbst zu zeigen, ohne dazu gezwungen zu werden“. Im letzten Jahr haben in Litauen 370 Flüchtlinge einen Asylantrag gestellt. 75 wurden anerkannt.
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