Flüchtlingscamps in Griechenland: Im Bau und doch umstritten
Die Arbeiten an neuen, abgeriegelten Unterkünften auf den griechischen Inseln schreiten voran. Wie finden das die Inselbewohner*innen?
Der Ort ist von der Inselhauptstadt Vathy etwa sechs Kilometer entfernt. Eine Viertelstunde Fahrt mit dem Auto. Hinter doppeltem Nato-Stacheldraht sollen 3.000 Geflüchtete Platz haben – mitten in den Bergen, weit weg von bewohnten Gegenden.
Das neue Lager soll im Sommer fertig sein und das überfüllte Zeltlager von Vathy ersetzen. Ähnliche Lager will die konservative griechische Regierung unter Premier Kyriakos Mitsotakis mit EU-Mitteln auch auf den Inseln Lesbos, Chios, Leros und Kos bauen – geschlossen, mit Einlasskontrollen und doppelter Umzäunung. Auch auf Leros und Kos haben die Arbeiten zum Bau neuer Camps begonnen. Nur Lesbos und Chios hinken noch hinterher; da waren die Proteste der Bewohner*innen und Bürgermeister gegen die Pläne am stärksten.
Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis hat die Insel am Dienstag zusammen mit Beate Gminder besucht, der stellvertretenden EU-Generalsekretärin für Migration und Inneres (DG Home). Sie wollten dort auch mit Lokalpolitiker*innen sprechen.
Mitarakis, selbst aus Chios stammend, versucht das Vorhaben umzusetzen, ohne dass sich die Insulaner*innen komplett von ihm abwenden. „Die Menschen sind misstrauisch“, hatte er in einem Interview gesagt. Das könne er verstehen: „Sie haben all die Jahre die Last des europäischen Flüchtlingsproblems geschultert.“
Geschäft mit Touristen läuft schlecht
Und sie tun es weiterhin. Auch auf Samos. 6.500 Einwohner hat die Inselhauptstadt Vathy, 33.000 Einwohner*innen die gesamte Insel. Hinzu kommen die zurzeit 3.200 Geflüchteten und Migrant*innen, die unter katastrophalen Bedingungen im Zeltlager von Vathy leben – das eigentlich für weniger als 650 Personen Platz hat.
Dimitris Kasmirlis, Inhaber eines Reisebüros in Vathy, fühlt sich von Athen verraten und von der EU im Stich gelassen. Schließlich lebe die Insel vom Tourismus, sagt er. „Und Flüchtlinge und Tourismus passen einfach nicht zusammen. Ich bin mir sicher, dass sogar Personen, die sich Flüchtlingen gegenüber solidarisch zeigen (er sagt „Solidarians“), einen anderen Urlaubsort auswählen – nicht Samos.“ Die „Favela am Rande der Inselhauptstadt“, wie er das aktuelle Zeltlager in Vathy nennt, müsse schließen – das stehe außer Frage, sagt der 51-Jährige.
Von der EU habe man sich aber etwas anderes gewünscht als nur für den Bau neuer Lager. „Das ist keine echte europäische Solidarität. Was das wäre? Es kommt ein Flüchtlingsboot auf Samos an. Sofort werden die Menschen auf andere EU-Staaten verteilt. Das wäre echte europäische Solidarität.“
Trotzdem hat der Bürgermeister der Inselhauptstadt, Giorgos Stantzos, dem Bauvorhaben zugestimmt – auch wenn er sich eine kleinere Kapazität von 1.500 statt der jetzt geplanten 3.000 Campbewohner*innen gewünscht hätte, sagt er. Ein klarer Kompromiss: „Die Inselbewohner wollen keine Lager mehr auf Samos. Ich als Bürgermeister auch nicht. Wir mussten aber eine mutige Entscheidung treffen und haben deshalb als Stadt grünes Licht für den Bau des neuen Lagers gegeben.“ Bis 2010 war Giorgos Stantzos Mitglied der sozialistischen Pasok; jetzt ist der Lokalpolitiker unabhängig.
Angst vor Erdoğan
Dass das neue Lager auswärts liegen soll, findet der Bürgermeister gut. „Die Flüchtlinge und Migranten werden dort Einkaufsmöglichkeiten haben, ausreichende ärztliche Versorgung; einfach alles, was sie brauchen. Sie werden somit nicht mehr unsere Infrastruktur belasten, etwa unser Krankenhaus oder das Abfallmanagement.“ Gerade für eine kleine Urlaubsinsel sei das sehr wichtig.
Während auf der Insel tätige Hilfsorganisationen wie etwa die Ärzte ohne Grenzen den Bau des abgeschotteten neuen Lagers scharf kritisieren und stattdessen Integrationsmaßnahmen fordern, glaubt Stantzos nicht, dass die Integration der überwiegend muslimischen Flüchtlinge auf Samos Erfolg haben könnte. Seine Bedenken sind vor allem geopolitischer Natur. „Dass die Türkei so nah liegt, spielt eine sehr große Rolle. Wir haben es im März 2020 gesehen: Erdoğan kann jederzeit die Lage destabilisieren und Flüchtlinge instrumentalisieren.“
Damals hatte die Türkei die Grenzen für Flüchtlinge aufgemacht und sie ermutigt, nach Griechenland zu gelangen, obwohl das Land sich mit dem EU-Türkei-Abkommen von 2016 dazu verpflichtet hatte, die Grenzen besser zu schützen. Griechenland hatte mit extremem Grenzschutz durch Militär und Polizei reagiert – unterstützt von Frontex.
Flüchtlinge als eine Art Trojanisches Pferd für die Machtspiele des türkischen Präsidenten? Das klingt übertrieben. Stantzos kontert: „Aus der sicheren Entfernung Zentraleuropas ist es leicht, solche Schlüsse zu ziehen. Wir aber sind am Rande Europas, an vorderster Front und wissen, wie gefährlich Erdoğan sein kann.“
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