Flüchtlings-Türsteher in Hamburg: „Mit Politik hat das nichts zu tun“
Horst „Hotte“ Kriegel beschützt die Flüchtlinge in der St. Pauli-Kirche. Mit ihm, sagt er, werde es garantiert kein zweites Mölln geben.
taz: Herr Kriegel, Sie werden „der Türsteher Gottes“ genannt.
Horst „Hotte“ Kriegel: Ach, das ist ein Ausdruck, den die Medien geschaffen haben. Das sollte man nicht an die große Glocke hängen, es ist alles nicht so wichtig, was wir hier machen.
Nicht wichtig?
Ich will nur sagen, dass man hier keinen Helden glorifizieren sollte. Wichtig ist die Arbeit natürlich schon.
Das Hamburger Abendblatt, die Zeit, die Mopo, alle haben über Ihre ehrenamtliche Arbeit berichtet. Gefällt Ihnen das?
Ich finde es eine traurige Form von Berühmtheit. Bedauerlich ist, dass Leute wie ich hier sitzen müssen.
55, hat eine kaufmännische Ausbildung und eine Sicherheitsausbildung absolviert, war laut eigenen Aussagen aber nie ein Typ für einseitige Tätigkeiten.
Geburtsort, Wohnort, Ort des Herzens ist für ihn Hamburg-St. Pauli. Hotte fährt seine BMW 1100 GS gerne in Cargohosen.
Er stand an der Tür diverser Hamburger Clubs wie Übel & Gefährlich, Aftershave und Tiefenrausch, für die ersten Konzerte von Westbam in Hamburg hat er das Sicherheitskonzept entwickelt. Sein eigener DJ-Name: "Hotte der Surfer" - weil er gerne durch die Sounds der letzten 30 Jahre surft.
Nach seiner Tätigkeit an der St. Pauli-Kirche wünscht sich Hotte eine Lebensgefährtin. Und einen neuen Job.
Warum müssen Sie jetzt hier sitzen?
Ich habe in den Medien mitbekommen, dass rechte Burschenschaftler die Kirche ausgekundschaftet haben, und war entsetzt, dass sie sich hierhin trauen. Das war der Tropfen, der das Fass bei mir zum Überlaufen gebracht hat. Ich kann nicht akzeptieren, dass in der Kirche, in der ich getauft worden bin – hier nebenan bin ich in den Kindergarten gegangen – irgendwelche Nazis irgendwelche Menschen bedrohen. Die haben sowieso schon genug durchgemacht.
Und dann?
Bin ich zum Pastor gegangen und hab’ gesagt: „Hallo erstmal; ich bin zwar nicht in der Kirche, aber ich glaube Sie brauchen Hilfe.“
Aber im Endeffekt mussten Sie bisher nicht eingreifen.
Ja, aber wir haben andere Betätigungsfelder. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir hier auf St. Pauli sind und der Park Fiction nebenan ein Hotspot ist. Die Kirche steht an der Verbindungsstraße zur Reeperbahn.
Was sind denn die Betätigungsfelder?
Ich habe koksende Menschen aus dem Zelt geschmissen, hier waren Leute auf dem Hof, die nur zum Pinkeln über den Zaun geklettert sind, ich habe Pfandsammler gehabt, die uns um zehn Kisten beklaut haben – all solche Geschichten. Wir haben hier morgens Leute mit zwei, drei Promille stehen, die einfach nur noch „Toilette“ sagen.
Also weniger Tätigkeiten gegen die Flüchtlinge.
Erstmal: Wir nennen sie unsere Gäste und nicht „die Flüchtlinge“. Dadurch, dass wir sie hier haben und sie schon genug drangsaliert wurden, müssen sie auch in Ruhe schlafen können. Nun muss ich noch dazu sagen, dass ich nicht alleine bin, sondern mir Bekannte aus dem FC St. Pauli-Umfeld helfen. Die Ultras haben mir sogar in einer Dreitagesaktion diese Holzhütte gebaut, in der wir gerade sitzen. Wir alle lieben unseren Stadtteil und sind der Meinung, dass es hier anders laufen muss als beispielsweise in Berlin-Hellersdorf.
Und warum sind dann nur Sie im Mittelpunkt der Berichterstattung?
Die anderen haben da keine Lust drauf.
Haben Sie auch schon bei einem Fußballspiel des FC St. Pauli Tür gestanden?
Nein, nein. Ich habe früher Clubs und Großveranstaltungen gemacht. Aber ich war nicht nur Türsteher. Ich habe Autos, Schmuck und Herrenkonfektion verkauft, einen Kunstverein gegründet, bin DJ und war Betreiber eine Cafés.
Würde Sie Ihre Tätigkeit hier jemals gegen Geld machen?
Ich habe kein Problem damit, wenn mir Leute Spenden geben; so toll geht’s mir auch nicht. Aber wenn mir jemand anbietet, ich solle alternativ irgendein Objekt bewachen, würde ich definitiv Nein sagen. Das ist mir zu langweilig, ich passe auf Menschen auf. Vor ein paar Jahren habe ich noch eine Sicherheitsausbildung gemacht und kann ganz andere Sachen machen als bloßen Objektschutz. Das hier ist eine besondere Tür für mich und extrem sensibel. Emotional gesehen ist es seit jeher meine härteste Tür.
Und wie lange sind Sie immer hier?
Das sage ich nicht. Und zwar aus demselben Grund, warum du niemandem sagst, was du für Waffen bei dir trägst: Weil du kein Idiot bist. Deswegen mache ich auch niemals geregelte Rundgänge.
Was war Ihr brenzligster Fall?
Was heißt denn bitteschön brenzlig? Wenn du da oben zwei Kokser im Zelt hast, die der Meinung sind, ich störe sie bei ihrer Wohnzimmertätigkeit und ich erst einmal einen Plastikstuhl gegen die Decke schmeißen muss, bis sie merken, dass Feierabend ist – na, dann stell dir mal vor, solche Jungs gehen einfach so in die Kirche.
Ihre Aufgabe besteht also darin, dass die Gäste in Ruhe schlafen können?
Genau. Und das hat für mich mit Politik überhaupt nichts zu tun, das ist eine Sache von Zivilcourage. Solange ich hier bin, wird es garantiert kein zweites Mölln geben. Davor habe ich nämlich am meisten Angst. Als ich das damals gesehen habe, habe ich mir auch gesagt: Hätten wir da mal was getan. Ich stehe schon darauf, nicht im Nachhinein hinterher zu jammern, sondern im Vorhinein etwas zu tun.
Wie kommen Sie jetzt auf die Brandanschläge von Mölln?
Das war ein Impuls von früher. Als ich die Berichte über die Auskundschaftung der Burschenschaftler in der Kirche gehört habe, musste ich denken: Mölln. Ich stehe einfach nicht auf diese scheiß Denke, dass immer erst etwas passieren muss, bevor man Geld ausgibt.
Die Medien stellen Sie als großen, gut gebauten Beschützer der Flüchtlinge dar. In welcher Rolle sehen Sie sich?
In derselben Rolle.
Gibt es mit den Gästen eine Zusammenarbeit in Sachen Schutz oder machen Sie das alleine mit Ihren Kollegen?
Meine Kollegen haben am Wochenende wenig Zeit. Agyei, der sowieso schon den Nachtblues am Laufen hat, hilft mir dabei. Wir lieben beide Reggae, haben ein gutes Verständnis zueinander und ich kenne seine gesamte Story. Er hat sich dazu bereit erklärt, seine Landsleute zusammen mit mir zu beschützen.
In welchem Verhältnis sehen Sie sich zu den Gästen?
Ich habe zu den Gästen ein freundschaftliches Verhältnis und bin dennoch eine Art neutrale Instanz. Zu mir kann man mit seinen Problemen herantreten. Dass ich hier niemanden bevorzuge, haben sie ganz schnell gemerkt. Ich behandle jeden mit Respekt und Zuneigung – das steht im Gegensatz zu ihrem Alltag auf der Straße. Verlassen sie das Kirchengelände, verhalten sie sich wie Schattenkrieger und werden nicht wahrgenommen. Dem möchte ich mit meiner Hilfe etwas entgegensetzen.
Können Sie uns von einem Schicksal der Gäste erzählen, das die Tür für Sie außergewöhnlich macht?
Agyei hat mir ein Video vom sogenannten Sahara-Express gezeigt. Damit wurden sie zur Arbeit gefahren, knapp vier Wochen durch die Wüste. Ich brauchte erstmal 30 Sekunden, um zu merken, dass das ein LKW ist. An den Seiten nur mit Säcken beladen und oben drauf 350 Menschen. Davon kommen etwa 150 an, die meisten sind runtergefallen. Und wer runterfällt, der hat verloren, denn es wird nicht gebremst. Da gibt es noch viel mehr Storys, da fällt dir gar nichts mehr ein. Jeder Tag, den ich hier verbringe, ist eine absolute Lektion in Sachen Demut. Zuhause habe ich meine Dusche, mein Bettchen, mein Fernsehen und hier liegen 80 Jungs auf dem Fußboden.
Was sagen Sie zur Diskussion, ob im Zuge des Winters Wohncontainer aufgestellt werden dürfen?
Ich kann diesen Herren Politikern einfach nur empfehlen, sich auf so eine Isomatte in einem nicht beheizten Raum zu legen, das zwei Tage zu machen, und dann kann man mal weiterreden. Wir nehmen es hin, dass die Elbphilharmonie – ein Götzenbild vor dem Herrn – jeden Monat 10.000 Euro teurer wird, und auf der anderen Seite geht jedes fünfte Kind mit Hunger in den Kindergarten. Wir haben hier 80 Flüchtlinge in der Kirche, deren Integration verhindert wird, obwohl sie locker zu integrieren wären. Das ist eine Frechheit und liegt an einer falschen Form der Umverteilung oder was auch immer. Das ist einer der Gründe, warum ich der Politik schon lange nicht mehr glaube.
Sie wollten den taz-Lesern noch was sagen.
Ja: Es wäre doch mal interessant, herauszufinden, wer sich von den taz-Lesern bereit erklären würde, eine Patenschaft mit einem Flüchtling einzugehen, ein Zimmer zur Verfügung zu stellen oder was auch immer.
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