Flüchtlinge in Ungarn: Orbán will ein Exempel statuieren
Der Syrer Ahmed H. steht am Mittwoch in Budapest vor Gericht. Er ist wegen illegalen Grenzübertrittes angeklagt. Ihm drohen 20 Jahre Haft.
An den offenbar willkürlich heraus gegriffenen elf Personen will die Orbán-Regierung ein Exempel statuieren. Im Juli wurden zehn von ihnen wegen „illegaler Einreise“ zu Haft von ein bis drei Jahren, teils auf Bewährung, verurteilt. Übrig bleibt H.: Ihm drohen als angeblichem Rädelsführer 20 Jahre Haft.
Als damals die Zahl der Flüchtlinge auf der Balkanroute auf einen Höchststand stieg, schlug Ungarn einen harten Kurs ein: Die Regierung begann mit dem Bau eines Zauns, am 15. September 2015 trat ein Gesetz in Kraft, das „illegale Einwanderung“ als Straftat mit bis zu drei Jahren Haft bedroht.
H. selbst ist kein Flüchtling. Er zog 2006 nach Zypern. Dort heiratete er die Zypriotin Nadia Philipides, sie bekamen zwei Töchter, die 5 und 7 Jahre alt sind.
Knüppel und Wasserwerfer
Der größte Teil von H.s Familie aber lebte in Idlib nahe Aleppo. Im Sommer 2015 wurde die Lage dort schlimmer, Bombardierungen nahmen zu. H.s Eltern, ein Bruder, dessen Frau, ihre drei Kinder sowie ein Neffe, verließen die Stadt. In Istanbul stieß H. zu ihnen. „Er wollte sie nicht allein reisen lassen,“ sagt Philipides. Die Gruppe setzte mit dem Boot über nach Lesbos, mit der Fähre ging es weiter nach Thessaloniki, über Mazedonien und Serbien kamen sie am 16. September in Röszke an. „Ahmed war immer bei ihnen.“
Tausende Flüchtlinge sitzen an diesem Tag in Röszke fest – und öffnen schließlich den Zaun. Die ungarischen Grenzer ziehen sich zunächst zurück, dann gehen sie mit Knüppeln, Wasserwerfer und Tränengas gegen die Menschen vor. Als H. sich das nächste Mal bei seiner Frau meldet, ist er in einem serbischen Krankenhaus. Die ungarischen Polizisten hatten ihn schwer geschlagen.
Frau des Angeklagten H.
Es war der letzte Anruf, den sie von ihm bekam. H. sagte, seine Familie sei schon in Ungarn, er werde am nächsten Tag mit dem Bus über Kroatien folgen. Drei Tage später meldet sich H.s Bruder. Auf dem Bahnhof von Budapest hatten Polizisten H. festgenommen.
Elf Personen werden wegen „illegalen Grenzübertritts“ und „Teilnahme an Massenunruhen“ in Röszke angeklagt, unter ihnen Faisal F., ein irakischer Mann im Rollstuhl und ein altes syrisches Ehepaar in Begleitung zweier Söhne, die Frau ist halb blind und schwer krank.
Polizeivideo als Beweis
Philippides reist nach Budapest, darf ihren Mann einmal besuchen, danach herrscht monatelange Kontaktsperre. Die Staatsanwaltschaft wirft H. vor, Anführer der „Unruhen“ gewesen zu sein. Beweis soll ein Polizeivideo sein. Es zeigt H. mit einem Megafon, was er ruft, ist nicht zu hören. H. sagt, er habe das Megafon vom Boden aufgehoben. Er wird von einem Pflichtverteidiger vertreten.
Auf dessen Bitte schickt Philippides Geburtsurkunden, Zeugnisse, Lohnzettel. „Es ist unerträglich, vor allem für die Kinder“, sagt sie der taz. „Ich hoffe, dass es ein Urteil gibt, wenn wir in Berufung gehen müssen, dauert das noch viele Monate, das halte ich nicht aus.“ Ihr Mann habe nichts getan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“