Flüchtlinge in Deutschland: Als Kind in Abschiebehaft
Deutschland ignoriert die Rechte von Flüchtlingskindern. Die Bundespolizei behandelt sie zu oft wie Erwachsene und widerspricht damit der UN-Kinderrechtskonvention.
BERLIN taz | Amar hat Glück gehabt. Der 18jährige Palästinenser ist vor anderthalb Jahren in Berlin angekommen, ganz allein. Jetzt wird er dort vom Verein "Evin" betreut, der sich um Flüchtlingskinder kümmert. Amar hilft dort in der Küche mit, besucht einen Deutschkurs und überlegt, nach der Schule eine Ausbildung zum Erzieher zu machen. Seine kräftigen Oberarme zeugen davon, dass er in seiner Freizeit außerdem viel Fitness betreibt.
Nicht alle haben so viel Glück. Im vergangenen Jahr hat die Bundespolizei 282 Flüchtlingskinder, die ohne erwachsene Begleitung unterwegs waren, aufgegriffen - vor allem auf Flughäfen und an der Grenze zu Frankreich. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linkspartei hervor.
Die allermeisten dieser Kinder kamen, wie schon in den Jahren zuvor, aus Afghanistan. Doch nur 197 von ihnen wurden an Jugendämter überstellt, die sie an Vereine wie "Evin" weiter vermittelten. Die anderen "sind zurück gewiesen oder zurück geschoben oder sorgeberechtigten Personen im Bundesgebiet übergeben worden", erklärt ein Sprecher des Innenministeriums auf Nachfrage.
Die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen
Das aber widerspricht eindeutig der UN-Kinderrechtskonvention, zu der sich die Bundesrepublik klar bekannt hat. Demnach wären die Jugendämter verpflichtet, einen Vormund zu bestellen, wenn Kinder in ihr Herkunftsland abgeschoben oder in ein anderes Land zurück gewiesen werden sollen. Doch wenn die Bundespolizei die Jugendämter gar nicht erst informiert, wie das Innenministerium zugibt, können diese auch nicht aktiv werden.
Die Dunkelziffer der Minderjährigen, die von der Bundespolizei wie Erwachsene behandelt werden, dürfte noch um einiges höher liegen. Denn 17- und 18-jährige werden gar nicht erst gesondert erfasst. Sie stellen aber erfahrungsgemäß die Mehrheit der auf eigene Faust eingereisten, minderjährigen Flüchtlinge.
Thomas Berthold vom "Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge" in München fordert deshalb eine spezielle Dienstanweisung, die den Umgang der Bundespolizei mit Flüchtlingskindern regelt. Das Innenministerium sieht das anders. "Ein Recht auf Einreise nach Deutschland allein wegen Minderjährigkeit" gebe es nicht, erklärt der Sprecher des Ministeriums kategorisch. Ansonsten würden "die besonderen Belange minderjähriger Alleinreisender" in die Entscheidungen und Maßnahmen der Bundespolizei einfließen.
Kampagne von mehr als 40 Verbänden
Die UN-Kinderrechtskonvention verlangt, diesen Belangen Vorrang einzuräumen. Erst vor einem Jahr hat Deutschland diese Konvention akzeptiert und seine ausländerrechtlichen Vorbehalte aufgegeben. Doch geändert hat sich in der Praxis seitdem nur wenig. Mit einer Kampagne machen deshalb über 40 Verbände - von Amnesty International über Pro Asyl bis zum Roten Kreuz - seit diesem Sommer für die Rechte von Flüchtlingsindern mobil.
Sie fordern ein Verbot, Kinder in Abschiebehaft zu stecken, sowie ein Asylverfahren, das Kindern entspricht. Und sie stellen in Frage, warum Asylbewerber bereits ab 16 Jahren als voll "verfahrensmündig" gelten und ihren Antrag alleine stellen müssen. Denn sogar Erwachsene sind mit den Tücken des deutschen Asylrechts oft überfordert.
"Die Migrationskontrolle hat offenbar Vorrang vor dem Kindeswohl", meint dazu die Linke-Abgeordnete Ulla Jelpke, aus deren Feder die kleine Anfrage an die Bundesregierungs stammt, welche die Misstände offenbarte. Sie wirft der Bundesregierung eine Missachtung der UN-Kinderrechtskonvention vor. "Die Praxis muss dringend geändert werden", fordert sie.
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