Flüchtlinge aus Krisengebieten: Härter als die Hardliner
Selbst Hardliner von Union und SPD wollen mehr Flüchtlinge aus dem Nordirak aufnehmen. Doch Innenminister de Maizière ist dagegen.

Will Flüchtlinge lieber im Irak lassen: Innenminister de Maizière. Bild: dpa
BERLIN taz | In der Debatte um die Lage im Nordirak rücken jetzt auch die humanitären Aspekte in den Vordergrund. Und angesichts des Leids der Jesiden und anderer bedrängter Minderheiten geben sich selbst manche Hardliner plötzlich ganz weich. Unionsfraktionschef Volker Kauder versprach bei einer Stippvisite in der nordirakischen Stadt Erbil „wirksame und schnelle Hilfe“ für die rund eine Million Flüchtlinge im Kurdengebiet. Dabei beschränkte er sich bewusst nicht nur auf eine Unterstützung vor Ort: „Ich bin der Meinung, dass wir noch einmal eine Zusage machen müssen, zusätzlich Flüchtlinge aufzunehmen“, erklärte Kauder.
Auch andere Unionspolitiker pflichten ihm bei. „Angesichts der humanitären Katastrophe muss der Bund mit den Ländern rasch prüfen, ob wir verstärkt Flüchtlinge aus dem Nordirak aufnehmen können“, sagte der Innenausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) gegenüber der Bild am Sonntag.
Der Koalitionspartner ist da nicht abgeneigt. Die EU-Länder sollten sich auf ein Flüchtlingskontingent verständigen, „an dem sich Deutschland selbstverständlich beteiligt“, schlug die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Gabriele Fograscher, vor. Der SPD-Vize Ralf Stegner sprang ihr zur Seite: „In Deutschland können wir mehr tun“, befand er am Montag.
Im Fall von Syrien wurde bereits mehrmals ein solches Kontingent beschlossen, Bislang hat sich Deutschland bereit erklärt, 20.000 Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland aufzunehmen, ein Teil davon ist bereits eingetroffen. Grünen-Parteichefin Simone Peter forderte die Bundesregierung jetzt auf, zusammen mit den anderen EU-Ländern zügig ein solches Aufnahmeprogramm auch für irakische Flüchtlinge zu beschließen. Die Große Koalition dürfe jetzt aber „nicht so lange zaudern wie in Syrien“, erklärte Peter. „Was im Nordirak passiert, ist eine menschliche Tragödie.“
„Unerträglicher Triumph“
Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt brachte konkrete Zahlen ins Spiel. Europa müsse „im Rahmen eines Sofortprogramms mindestens 500.000 Flüchtlinge aufnehmen“, sagte sie. Auch Pro Asyl sprach sich dafür aus, ein Aufnahmekontingent für Verletzte und besondere Notfälle zu beschließen. Daneben forderte Günther Burkhardt, der Geschäftsführer von Pro Asyl, gegenüber der taz aber auch, den Nachzug von Flüchtlingen aus dem Irak zu Verwandten nach Deutschland zu erleichtern. Allein mehr als 60.000 Angehörige von in Deutschland lebenden Syrern warteten noch immer darauf, dass ihre Anträge bewilligt werden, so Burkhardt.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) möchte dagegen lieber einen Schlussstrich unter diese Debatte ziehen, noch bevor sie richtig begonnen hat. Es gehe jetzt nicht darum, „Flüchtlinge aus dem Irak nach Deutschland zu holen, sondern dafür zu sorgen, dass sie im Land bleiben können“, sagte der Minister der Bild am Sonntag. Es wäre ein „unerträglicher Triumph“ für die Terroristen“, wenn die Christen aus dem Irak vertrieben wären. „Den Satz, dass die Jesiden oder die Christen im Irak keine Zukunft haben, will ich nicht akzeptieren.“
Die Bundesregierung geht davon aus, dass in diesem Jahr insgesamt 200.000 Anträge gestellt werden – das wären circa 70.000 mehr als im vergangenen Jahr. De Maizière regte stattdessen eine Diskussion darüber an, wie viele Flüchtlinge Deutschland „auch als reiches Land“ aufnehmen könne, und plädierte dafür, nur die „wirklich Hilfsbedürftigen“ aufzunehmen. Menschen aus dem Westbalkan gehörten „in der Regel“ nicht dazu und dürften „das Asylsystem deshalb nicht weiter belasten“, erklärte de Maizière kategorisch. Der Innenminister möchte Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina pauschal zu „sicheren Herkunftsländern“ erklären.
Leser*innenkommentare
Wouter Venken
Da versteckt de Maizière sich schon hinter einer tollen Gedanke, den Terroristen kein Gefallen tun zu wollen. Das dabei erst mal Menschen bei ermordet werden, sollte man im Kauf nehmen. Er soll aber auch wissen, dass die Jesiden nicht erst neuerdings Verfolgung und Ausgrenzung ausgesetzt sind, aber schon in Saddam Hoesseins Zeiten und danach. Es sind halt keine Muslims und die haben für einige keine Rechte.
Im Netz laufen im Moment zwei Petitionen von jesidischen Jugendlichen, die man gerne unterschreiben kann. Sie plädieren für die Aufnahme von Flüchtlingen und finden zum Glück langsam auch Unterstützung bei manchem Politiker.
Eine geht an de Maizière, die zweite an Steinmeyer:
http://www.change.org/p/herr-demaiziere-sehr-geehrter-herr-de-maizi%C3%A8re-n%C3%BCtzen-sie-bitte-ihre-macht-um-was-gutes-f%C3%BCr-die-yesiden-zu-tun?utm_campaign=petition_created&utm_medium=email&utm_source=guides,
https://www.change.org/p/herr-steinmeier-bitte-setzen-sie-sich-f%C3%BCr-die-einreise-der-jesiden-im-nord-irak-nach-deutschland-ein?alert_id=CfFyQZPpYP_1jKRSBbKsKzn4fL1Kb0voSP6HN6NMcAKatZUj21Fi7Bwq5Pg6MM3CL9EJGa2CT3g&utm_campaign=124955&utm_medium=email&utm_source=action_alert
antares56
571 (Profil gelöscht)
Gast
@antares56 Dazu noch ein unerträglich arrogantes.
Rainer B.
Wenn ich de Maizière richtig verstanden habe, sollte man jetzt erstmal eine große Käseglocke über Deutschland stülpen und solange warten, bis sich intelligentes Leben darunter entwickelt hat. Glück auf!
D.J.
Gast
Da es mir wichtig erscheint, wiederhole ich, wass ich kürzlich zu einem verwandten Beitrag schrieb:
Zwei Dinge sind dringend nötig:
1. Die sehr notwendige Aufnahme von Flüchtlingen darf nicht mit einer Akzeptanz ethnischer Säuberungen einhergehen. Niemals. Der ethnische Säuberungswahn des 20. Jh. muss ein Ende haben.
2. Es muss mit allen Mitteln verhindert werden, dass statt Verfolgter auch Verfolger hier Unterschlupf finden. Da mögen die Käßmanns dieser Welt wegschauen wollen, doch dies sind wir vor allem den Verfolgten schuldig.