Flüchtlinge auf der Westbalkanroute: Österreich baut auch einen Zaun
Täglich kommen auf Lesbos 3.300 Flüchtling an. Ihre Weiterreise wird fraglicher. Im Norden der Balkanroute entstehen neue Grenzsperrungen.
Als am Freitag Vormittag nun die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Kanzleramtsminister Josef Ostermayer und Verteidigungsminister Gerald Klug (beide SPÖ) vor die Presse traten, konnten sie nach wochenlangem Streit eine Einigung über Grenzsicherungsmaßnahmen zu Slowenien verkünden. Hatte Mikl-Leitner in den vergangenen Wochen mit ihren Gedankenspielen zu Zäunen und einer „Festung Europa“ wiederholt in der Kritik des sozialdemokratischen Koalitionspartners gestanden, ist man nun übereingekommen, in Spielfeld einen knapp vier Kilometer langen Zaun zu bauen.
Die nun geplante Anlage, ein mehr als zwei Meter hoher Maschendrahtzaun, wird von den Behörden als „Leitsystem“ bezeichnet. Ähnlich wie die slowenische Regierung nach den Sperrmaßnahmen zu Kroatien in den Tagen zuvor, besteht auch Wien darauf, dass es sich nicht um eine Schließung der Grenze handele. Die Zäune sollen nur dazu dienen, die ankommenden Flüchtlinge geregelt über die vorhandenen Grenzübergänge zu führen. „Es handelt sich nicht um eine Abschottung, sondern um eine Absicherung“, betonte Mikl-Leitner.
Auf die Errichtung von Stacheldrahtsperren verzichtet Österreich zwar vorerst, die entsprechenden Materialien werden aber direkt vor Ort in gesonderten Containern gelagert und könnten im Bedarfsfall innerhalb kürzester Zeit aufgerichtet werden. Daneben wird auf 25 Kilometern entlang der grünen Grenze durch die Steiermark eine Verlängerung des Zaunes vorbereitet. Nach Auskunft der österreichischen Regierung kann diese Erweiterung innerhalb von 48 Stunden aufgestellt werden, sollten die Maßnahmen zur Regulierung des Grenzübertritts nicht greifen.
Kein Dublin für Slowenien
Auf slowenischer Seite wird derweil das Durchgangslager Šentilj ausgebaut. Seit der Schließung der ungarischen Grenze Mitte Oktober haben bereits 200.000 Menschen Slowenien auf dem Weg nach Norden durchquert, die meisten von ihnen über Šentilj/Spielfeld. Östlich davon wird eine geringere Zahl von Flüchtlingen nach Österreich geleitet. Zwischen den Grenzübergängen in Spielfeld und Bad Radkersburg bildet der Fluss Mura eine natürliche Barriere.
Was macht die Bewegung vor Ort? Termine wie Infoabende, Diskussionsveranstaltungen, Demonstrationen und Versuche der praktischen Solidarität sammeln wir im Terminfeed zum Schwerpunkt Flucht und Migration auf bewegung.taz.de.
Die deutschen Pläne, Flüchtlinge wieder in jene Länder zurückzuschicken, in denen sie zuerst den Boden der EU betreten haben, sorgt vor allem in Slowenien für Nervosität. Das Land hatte im Gegensatz zu seinen Nachbarn zumindest versucht, große Teile der durchreisenden Flüchtlinge zu registrieren. Premierminister Miro Cerar lehnte inzwischen eine Wiederaufnahme von Flüchtlingen über die von der EU-Kommission abgestimmten Quoten hinaus kategorisch ab.
Am Anfangspunkt der Balkanroute, der griechischen Insel Lesbos bleibt die Lage derweil dramatisch. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) beklagt, dass es für derzeit 12.000 Menschen nur 2.800 befestigte Übernachtungsplätze gebe. Täglich erreichen rund 3.300 Menschen die Insel über die Ägäis aus der Türkei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles