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Flüchtlinge auf AmrumAus dem Sturm auf die Insel

Als Familie Ansary nach einer Odyssee auf die Ferieninsel Amrum kam, empfingen Nachbarn sie mit Kuchen. Nun wartet sie auf den Asylbescheid.

Leuchtturm von Amrum. Foto: L. Koch/blickwinkel/picture alliance

Amrum taz | Uthlande, Außenlande, heißen die Inseln, die das nordfriesische Festland säumen. Sie schützen es vor Sturm und Flut. Besonders Amrum ist den Gezeiten ausgeliefert. Am westlichen Rand der Uthlande gelegen, pusten dort die alljährlichen Herbststürme über Nacht ganze Dünen davon. Im Sommer fegt der Sand über den kilometerlangen Strand und kneift die unzähligen Touristen, die Schutz in den Kolonien von Strandkörben suchen.

90 Minuten trennen die Insel vom Festland. Sechsmal täglich fahren die Fähren der Wyker Dampfschiffs-Reederei hin und her. In der Hochsaison transportieren sie 1.000 Feriengäste – pro Fahrt.

Auf Amrum selbst leben nur 2.300 Menschen. An einem kalten Tag im Februar 2015 nimmt eine der Fähren auch die Familie Ansary* mit ins Außenlande nach Amrum. Doch die vier kommen nicht als Gäste. Sie kommen, um zu bleiben.

Eine zweijährige Odyssee hat die Familie von Rashid und seiner Frau Ayla da hinter sich. Start: Kabul in Afghanistan. Ziel: Unbekannt, bis die Fähre auf Amrum anlegt – und die Familie mit selbst gebackenem Kuchen in der kleinen Flüchtlingswohnung empfangen wird.

12.000 Gästebetten bietet Amrum urlaubsreifen Fremden. Seit Februar sind zwölf weitere hinzugekommen, für Flüchtlinge und Asylbewerber. In diesem Jahr feiert die Insel sein 125-jähriges Jubiläum als Bade- und Kurort.

Sprachunterricht, Fahrten aufs Festland oder zum Arzt übernehmen die Freiwilligen. Und sie organisieren Fahrräder. Das ist das Erste, wonach viele Flüchtlinge hier fragen.

Dazu wurde es erst viel später als seine Nachbarn Sylt und Föhr – aus Sorge um den Verfall der „sittlichen Verhältnisse“ durch die Fremden, wie der Inselchronist Georg Quedens die damaligen Debatten beschreibt. Doch seit 1890 lebt die Insel von nichts anderem mehr als von – teurer – Gastfreundschaft.

Die ersten Flüchtlinge seit zwanzig Jahren

Nun kommen noch die Flüchtlinge. Schon in den 1990er Jahren wurden Asylsuchende in dem Gewerbegebiet untergebracht. Drei Flüchtlingswohnungen befinden sich Tür an Tür mit drei Wohnungen für sozial Bedürftige.

„Die Ansarys waren die ersten Flüchtlinge, die Amrum nach zwanzig Jahren wieder aufgenommen hat“, sagt Gabi Paulsen. Die 59-Jährige wohnt nur zwei Häuser weiter. Die Witwe hat den Ansarys den Begrüßungskuchen gebacken. Genauso, wie sie es schon vor zwanzig Jahren für die damaligen Flüchtlinge gemacht hat. Die Ansarys werden nicht bloß neue Nachbarn, sie werden Teil ihres Lebens.

Gabi Paulsen gehört zu einem Netzwerk von gut einem Dutzend freiwilligen Helfern, die sich um die Flüchtlinge und Asylbewerber auf Amrum kümmern.

Neben den Ansarys lebt hier derzeit noch eine Familie aus dem Balkan. Auf der größeren Nachbarinsel Föhr, dem Sitz der Gemeindeverwaltung, sind es weitere 55 Flüchtlinge – und weitere 90 Helfer.

„Ohne die Ehrenamtlichen würde nichts laufen“, sagt Marco Christiansen vom Amt Föhr-Amrum. Sprachunterricht, Fahrten aufs Festland oder zum Arzt übernehmen die Freiwilligen. Und sie organisieren Fahrräder. „Das ist das Erste, wonach viele Flüchtlinge hier fragen“, sagt Christiansen.

Er selbst kümmert sich eigentlich um Themen wie Tierschutz, Straßenverkehr oder das Bürgerbüro. Seit die Flüchtlinge da sind, kommt er dazu nicht mehr.

Auf der Flucht zur Welt gekommen

Der kleine Amin* tobt durch das Wohnzimmer. Aus einer Kiste mit Spielsachen tönt das Kinderlied „Alle meine Entchen“, sein Bruder Jamil* hat auf eine singende Stoffente gedrückt. Jamil ist erst ein Jahr alt. Er ist auf der Flucht zur Welt gekommen, Amin hat die Hälfte seines Lebens auf der Flucht verbracht.

„Als er hier ankam, war er schüchtern und verängstigt“, erzählt Gabi Paulsen. „Er hat immer den Arm vor die Augen gehalten, wenn ich kam.“ Heute nennt er sie Oma. Rashid und Ayla nennen sie Mum. Sie sehen sich fast täglich.

Für Amin hat Gabi Paulsen einen Kita-Platz organisiert. Dort ist er jetzt jeden Vormittag – und lernt spielend Deutsch. „Er wird uns allen die Sprache beibringen“, sagt sein Vater Rashid in fließendem Englisch. Dass er Englisch kann, hat hier vieles erleichtert.

Nachmittags, wenn das Wetter schön ist, geht die Familie an den Strand. Amin wird, wenn die Ansarys in Deutschland bleiben dürfen, der Erste seiner Familie sein, der schwimmen lernt. „In Kabul gibt es momentan noch nicht einmal ein Schwimmbad“, sagt Rashid.

Kabul. Das einst so quirlige, weltoffene Kabul. Rashid schaut sich jeden Tag im Internet die News aus der Stadt an. Er erfährt von neuen Anschlägen und steigenden Arbeitslosenzahlen – und alles, weil sich die Schutztruppen aus Afghanistan zurückziehen, sagt er.

„Wer das Geld hat, flieht.“ Die Familie seiner Frau hat das Geld nicht. Deswegen telefoniert die 23-Jährige via Skype jeden Tag mit ihren Eltern. Vormittags, nachmittags, beim Kochen.

Grafik: taz.Grafik: infotext-berlin.de

Die Wohnungen sind knapp, die Preise gesalzen

Ihre Kabuler Wohnung mussten die Ansarys damals fluchtartig verlassen. Sein Zuhause war groß, 120 Quadratmeter, mit zwei Bädern. Er habe gut verdient als Ingenieur bei den Amerikanern, sagt Rashid. Das wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Er und seine Familie seien bedroht worden.

Jetzt, zwei Jahre später, sitzt der 29-Jährige in der 1,5-Zimmer-Flüchtlingswohnung auf Amrum, die für ihn ein kleines Paradies ist, ein geschützter Raum, in dem die Familie zur Ruhe kommen kann. „Hier fühle ich mich sicher“, sagt er. Und frei.

Draußen regnet es wieder. Ein kräftiger Wind peitscht die Tropfen gegen die Fensterscheibe. Tage-, ja wochenlang kann das so gehen auf Amrum, auch im Sommer. Die Touristen harren dann in ihren Ferienwohnungen und Hotelzimmern aus in der Hoffnung, dass die nächste Windböe die Regenwolken wegbläst.

Scheint die Sonne, gleicht der Fahrradweg, der den Süden mit dem Norden der Insel verbindet, einer Autobahn für Zweiräder. Zur Hochsaison sind die Preise für Fischbrötchen dann so gesalzen wie der Hering selbst.

Wer ein Zimmer, eine Wohnung oder ein Haus frei hat, vermietet es an Touristen. Bezahlbarer Wohnraum ist daher knapp. „Die Wohnungssituation auf Föhr und Amrum war bereits vor der Flüchtlingsproblematik angespannt“, sagt Marco Christiansen von der Gemeindeverwaltung.

Und nun kommen noch die Flüchtlinge dazu. Aber Bilder von armseligen Zeltlagern und dürftig zusammengezimmerten Blechhütten neben Reet bedeckten Friesenhäusern sind hier unvorstellbar. Zwischen Amrum und Kos liegt halb Europa.

„In ihrer Gastfreundschaft ähneln sie den Afghanen“

In dem Zimmer, das Küche und Wohnzimmer zugleich ist, serviert Ayla Friesentee, den sie mit Kardamom würzt. Im Hintergrund läuft ein indischer Musiksender im Fernsehen. Auf einem Teller liegen grüne Rosinen und Walnüsse. In einem Glasschälchen türmen sich afghanische Mandeln in schneeweißem Zuckerguss.

Alle zwei Wochen macht sich Rashid mit zwei großen leeren Taschen auf den Weg zur Fähre, fährt 90 Minuten rüber ans Festland nach Dagebüll, setzt sich dort in den Zug mit nur zwei Waggons gen Niebüll, der kleinen Stadt vor dem Damm nach Sylt.

Hierhin sind viele Sylter wegen der horrenden Wohnungspreise auf ihrer Insel geflüchtet. Hier gibt es einen Laden, der Lebensmittel aus allen Teilen der Welt verkauft. Einen ganzen Tag braucht Rashid für solche Touren.

„Wir haben schon öfter Amrumer zu uns zum Essen eingeladen“, sagt er. „Sie sind neugierig auf unsere Gerichte.“ Rashid verliert kein schlechtes Wort über das Leben hier auf der Insel und die Leute. Ein Gartenfest haben sie zusammen gefeiert. Und ein Fahrrad mit Kinderanhänger haben sie ihm geschenkt.

Auch könnte Rashid jeden Tag das Auto von Gabi Paulsen nutzen. Der Schlüssel liegt immer griffbereit in ihrem Eingangsbereich. „In ihrer Gastfreundschaft ähneln sie den Afghanen“, sagt er. Und: „Es ist für mich eine Ehre, hier auf Amrum zu sein.“

„Ich möchte arbeiten für mein Geld“

Noch läuft das Asylverfahren der Familie Ansary. Vorerst dürfen sie bis Anfang nächsten Jahres bleiben. Ein Jobangebot hat Rashid bereits beim örtlichen Elektrofachgeschäft als Installateur. Ungeduldig wartet er auf die Arbeitserlaubnis.

Ist die bewilligt, soll er Hausbesuche machen, Fernsehanschlüsse reparieren und Satellitenschüsseln installieren. „Ich möchte arbeiten für mein Geld, ein richtiges Leben führen“, sagt Rashid. Auf Amrum könne er sich dieses Leben vorstellen.

Gabi Paulsen hat bereits eine Wohnung für die Familie in der Genossenschaftssiedlung reserviert, die nächstes Jahr fertig werden soll. „Üüs Aran“ heißt das Bauprojekt, „Unser Zuhause“. Noch gibt es genug Platz für Neuankömmlinge auf Amrum. Eine Flüchtlingswohnung steht derzeit leer.

Bis jetzt sind in Schleswig-Holstein 11.000 Flüchtlinge angekommen. Nach der neuen Prognose der Bundesregierung, die sich mittlerweile auf 800.000 Flüchtlinge für 2015 beläuft, muss Schleswig-Holstein neu rechnen: Das Landesamt für Ausländerangelegenheiten geht nun von bis zu 27.000 Neuzugängen an Asylbewerbern für 2015 aus. Das wären knapp viermal so viele wie vor einem Jahr. „Um die neuen Flüchtlinge müssen sich dann andere kümmern“, sagt Gabi Paulsen. „Ich habe schon eine Familie. Meine Familie.“

* Name geändert.

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