Flucht: Gestrandet im Industriegebiet
Hamburg ist bei der Schaffung neuer Flüchtlingsplätze im Plan, doch es hagelt Kritik. Dabei geht es um die Standortauswahl und um die Größe der Unterkünfte.
HAMBURG taz | Zielzahl erreicht. Nach Auskunft der Sozialbehörde hat Hamburg im vergangenen Jahr mit Hilfe des Trägers „Fördern & Wohnen“ 4.600 neue Plätze zur langfristigen Unterbringung von Flüchtlingen geschaffen. Bereits im Jahr zuvor konnte das Kontingent um 3.100 Plätze aufgestockt werden. Auch bei der Erstaufnahme gab es laut Innenbehörden-Sprecher Frank Reschreiter mit 3.600 am Jahresende zur Verfügung stehenden Plätzen eine Punktlandung.
Dieser Kapazität standen 3.500 Flüchtlinge gegenüber, die in der Erstaufnahme untergebracht waren, teils aber deutlich länger als die vorgesehene Höchstdauer von drei Monaten. „Wir haben hier noch immer einen Stau“, räumt Reschreiter ein, doch zumindest die „vorübergehende Unterbringung der Neuankömmlinge in Zelten“ gäbe es nun nicht mehr. Zum Jahreswechsel hätten noch vereinzelt Asylsuchende „für ein bis zwei Nächte“ in Zelten untergebracht werden müssen, bis sie in einer der über die Stadt verteilten Erstaufnahmeeinrichtungen einen Platz zugewiesen bekamen.
Doch diese Erfolgsmeldungen sind kein Grund zur Entwarnung: Die Zahl sich auf der Flucht befindender Menschen nahm im vergangenen Jahr stetig zu. Heute leben knapp 22.000 Flüchtlinge in Hamburg – Tendenz steigend. „Wir hatten am Jahresanfang 2014 rund 300 Neuankömmlinge pro Monat, im November waren es schon 700“, weiß Reschreiter.
Dementsprechend müssen die Kapazitäten weiter aufgestockt werden. So sind in den nächsten Tagen 168 Erstaufnahme-Plätze auf einem ehemaligen Parkplatz der Internationalen Gartenschau bezugsbereit; weitere 448 Plätze in der Schlachthofstraße (Harburg) und 320 in der Niendorfer Straße (Eimsbüttel) sollen im März folgen.
Knapp 22.000 Flüchtlinge leben derzeit in Hamburg - ihre Zahl nimmt seit 2011 stetig zu. Im vergangenen Jahr meldeten sich laut Sozialbehörde rund 70 Prozent mehr Asylsuchende als noch 2013.
Aus Syrien (14,7 Prozent) erreichen Hamburg gegenwärtig die meisten Flüchtlinge, gefolgt von MigrantInnen aus Serbien (14 Prozent), Afghanistan (6,6 Prozent), Albanien (6,2 Prozent), Mazedonien (6 Prozent) und Bosnien/Herzegowina (5,1 Prozent).
Die meisten Flüchtlinge - jeweils knapp 2.800 - sind derzeit in Hamburg-Mitte und Altona untergebracht, die wenigsten in Eimsbüttel (1.100). Auch im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl bringt Eimsbüttel bislang die wenigsten Asylsuchenden unter; Spitzenreiter sind hier Bergedorf und Altona, wo mehr als jeder 1.000 Einwohner ein Flüchtling ist.
Und auch bei der Folgeaufnahme wird kräftig zugelegt. Am gestrigen Dienstag zogen die ersten von insgesamt 600 Flüchtlingen in die Berzeliusstraße mitten im Industriegebiet von Hamburg-Billbrook ein. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien, Eritrea, Tschetschenien und den Balkan-Staaten. Doch der Standort ist umstritten: Wegen seiner unwirtlichen Lage abseits einer vernünftigen Infrastruktur und einer benachbarten Einrichtung, die ebenfalls 700 Menschen beherbergt, bezweifelt die vereinte politische Opposition des Bezirks Hamburg-Mitte, dass hier eine vernünftige Integration möglich ist. „Wir versuchen, kleinere Unterkünfte zu errichten. Aber dann brauchen wir noch mehr Flächen“, verteidigt Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) die angelaufene Zusammenballung der Asylsuchenden.
Probleme gibt es auch bei der Belegung der „Transit“, dem einzigen „Wohnschiff“, das in Zukunft Flüchtlinge beherbergen soll. Nicht wie geplant im Januar, sondern frühestens Anfang Februar ist hier eine Belegung mit gut 220 Asylsuchenden möglich. Zudem streiten die Sozialbehörde, die das Schiff im Harburger Binnenhafen andocken will, und der Bezirk, der es lieber im Ziegelwiesenkanal vertäuen würde, noch immer heftig über einen geeigneten Liegeplatz.
Insgesamt aber will die Sozialbehörde im laufenden Jahr noch einmal 5.000 neue Folgeunterbringungsplätze schaffen, um den Stau in den Erstaufnahmeunterkünften abzubauen und auf den ungebremsten Flüchtlingszuzug zu reagieren.
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