Flix' Comic „Held“: Der ganz lange Bogen
Felix Görmann alias Flix erzählt in „Held“ aus dem Leben seines Alter Ego. Zum zwanzigjährigen Jubiläum erscheint eine Gesamtausgabe des Comics.
Etwas weiter draußen in Pankow, dort, wo man die hippen Kneipen vom nahegelegenen Prenzlauer Berg nur noch erahnen kann, hat der Comicautor Felix Görmann, besser bekannt als Flix, sein Atelier. Es ist direkt an einer Straße gelegen und sieht von außen aus wie ein kleiner Comicladen, der sich aus Versehen in diese unbelebte Ecke verirrt hat. In einer Art Schaufenster liegen allerlei Comics aus, viele von Flix, und im von außen gut einsehbaren Atelier ist alles vollgestellt mit Graphic Novels.
Dabei ist das, so stellt sich bald heraus, noch nicht einmal das Atelier von Flix selbst, sondern das des Comicautora Marvin Clifford, mit dem er befreundet ist. Das Atelier von Flix befindet sich gleich nebenan. An der Wand hängt dort ein Druck von Picassos „Guernica“, daneben eine von einem Mitglied der Band die Ärzte unterschriebene Gitarre, außerdem ein gezeichnetes Flix-Porträt in einem überdimensionierten Bilderrahmen. Wirkt unaufgeräumter, chaotischer als nebenan. Vielleicht auch deswegen lädt Flix zum Gespräch in das Atelier seines Nachbarn.
Am Anfang zeichnete er Cartoons
Flix ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Comicautoren Deutschlands. Nur Ralf König, der zeichnende Chronist des schwulen Milieus, ist wahrscheinlich ein noch geläufigerer Name. Seit etwa 20 Jahren zeichnet Flix wöchentlich erscheinende Comicstrips für Publikationen wie den Tagesspiegel, die FAZ oder für den Spiegel. Sein Strip „Glückskind“ erscheint seit acht Jahren ununterbrochen jeden Montag in der FAZ.
Flix: „Held-Trilogie“. Jubiläumsausgabe. Carlsen, Hamburg 2023. 368 Seiten, 35 Euro.
Am Anfang seiner Karriere, vor etwas über zwanzig Jahren, hat er auch noch Cartoons gezeichnet, also Bilderwitze. Ein paar davon, gedruckt auf Postkarten, liegen im Atelier von Marvin Clifford herum. „So schwer kann es ja nicht sein, ein Bild zu zeichnen, das lustig ist“, habe er sich damals gedacht. Irgendwann wurde ihm das aber zu kurz. Flix wollte in längeren Bögen erzählen.
Ein echter Ziegelstein von einem Buch
So entstand der Comic „Held“, der nun zum zwanzigjährigen Jubiläum in einer neuen Gesamtausgabe erscheint und ein echter Ziegelstein von einem Buch ist. Da war der Künstler gerade mal Mitte 20 und erzählte nun in einem wirklich langen Bogen. Der stark autobiographisch gefärbte Comic berichtet von der Geburt des Helden Felix, von dessen Beziehung mit Sophie und sogar vom Tod der Hauptfigur, was dann eindeutig nicht mehr autobiographisch ist.
„Held“ erschien, ungewöhnlich genug für einen damals noch relativ unbekannten Comicautoren, gleich bei dem Branchenriesen Carlsen. Er bekam den renommierten Max-und-Moritz-Preis verliehen und wurde in mehrere Sprachen übersetzt, darunter ins Koreanische.
Allein die deutschsprachige Ausgabe habe sich bis heute 50.000 Mal verkauft, sagt Flix. Was für eine Graphic Novel, immer noch ein Nischenprodukt im Buchhandel, ziemlich ordentlich ist.
Der Comic hat eine naive Kraft
Der Erfolg ist verdient. Diese Graphic Novel ist so facettenreich, so voller Witz und dabei so lebensklug, dass man kaum glauben mag, dass sie von einem jungen Mensch stammt, der gerade erst seine Teenagerjahre hinter sich gebracht hat. Schonungslos auch gegenüber sich selbst berichtet Flix von Felix’ Depressionen, seinen Selbstzweifeln, seiner Beziehungsunfähigkeit, seinen ungerechtfertigten Vorurteilen gegenüber anderen Menschen.
„Ich habe damals ja nicht damit gerechnet, dass man sich den Comic 20 Jahre später noch anguckt oder dass sich den noch meine Kinder angucken würden“, sagt Flix. Vor kurzem habe er sich sein Frühwerk selbst noch einmal durchgelesen und gedacht: „Ja, geht, geht immer noch. Der Comic hat eine naive Kraft. Er ist wie eine junge Band, die Vollgas spielt, mit 240 Beats per Minute. Keine Ahnung, ob sie das die ganze Tour durchhält oder eine ganze Karriere. Aber jetzt wirft sie einfach alles rein in ihre Musik.“
Reinhard Mey und Georg Kreisler
Musik ist übrigens auch ein großes Thema für den Comichelden Felix. Er hört ausschließlich deutschsprachige Musik. Wir sind Helden, Element of Crime, solche Sachen. Der echte Flix sagt, diesen Hang zum deutschsprachigen Pop habe er immer noch. Xavier Naidoo höre er heute nicht mehr, der sei nicht mehr erträglich. Aber er sei immer noch der weltgrößte Fan von den Ärzten. „Ich mag einfach gut erzählte Geschichten“, sagt er, „und der Zugang zu diesen fällt mir bei deutschsprachigen Texten leichter als bei englischsprachigen.“
Deswegen sei er inzwischen sogar bei Liedermachern wie Reinhard Mey und Georg Kreisler angekommen. Auch ihm würde es bei seinen Comics zuallererst um die Geschichte gehen. Und die möchte er „so niedrigschwellig wie möglich erzählen. Die Leser sollen sich in meinen Geschichten leicht zurechtfinden können.“
Der Profi setzt sich hin und arbeitet
Der Felix in „Held“ war auf der Suche nach der großen Liebe. Flix lebt inzwischen in einer Wohnung gleich neben seinem Atelier und hat eine Familie mit vier Kindern. Der Felix im Comic plagt sich mit der Frage herum, wie er das bloß hinkriegen soll, vom Comiczeichnen leben zu können. Flix sagt: „Selbstdisziplin habe ich inzwischen gelernt. Ohne die kann man das Zeichnen von Comics nicht als Beruf ausüben.“
Als Vater von vier Kindern müsse er sich die Lücken zum Arbeiten suchen und dann auch wirklich nutzen. „Der Amateur sitzt da und wartet darauf, dass ihn die Muse küsst. Der Profi setzt sich hin und arbeitet. An dieser Weisheit ist schon was dran“, sagt er. „Dadurch bist Du vielleicht nicht immer brillant. Aber für Zeitungen ist der pünktlich liefernde Zeichner besser als der brillante.“
Mit Stift, Schere und Klebstift
Am Arbeitsplatz seines Atelier-Nachbarn sind drei Computerbildschirme nebeneinander aufgestellt. „Weil Marvin auf einem zeichnet, auf dem anderen chattet und auf dem dritten einen Film guckt.“ Marvin Clifford arbeitet voll digital, Flix halb analog, halb digital. Und auf einem einzigen Bildschirm. Zuerst fertigt er Vorzeichnungen auf Papier an, diese werden dann eingescannt. Grautöne und Farben werden am Rechner erstellt und die Zeichnungen mit einer Art digitalem Stift zu Ende gebracht. Dass er den analogen Arbeitsschritt beibehalten habe, habe folgenden Grund: „Weil man auf Papier Fehler macht und die lassen die Comics lebendiger wirken.“
„Held“ freilich ist damals noch komplett analog entstanden. Flix holt einen Schuber mit Originalzeichnungen aus einem Regal. Man sieht und spürt, dass hier noch richtig mit Stift, Schere und Klebstift gearbeitet wurde. Sprechblasen wurden teilweise überklebt, die Arbeit an „Held“ war offensichtlich eine richtige Flickschusterei.
Sein Verlag bewirbt die Neuausgabe als den Comic, der den kleinen Boom der Graphic Novels erst ausgelöst habe, den es seit einer Weile auch in Deutschland gibt. An dieser Behauptung sei schon etwas dran, sagt Flix. „Ich hatte das Glück, dass 'Held’ zu einer Zeit herauskam, in der der Begriff Graphic Novel gerade erst aufkam und damit ein neues Bewusstsein, dass Comics kein Genre sind, sondern ein Medium, mit dem man alles mögliche erzählen kann.“ Der Erfolg von „Held“ und von der im selben Jahr erschienenen Graphic Novel „Wir können ja Freunde bleiben“ des Berliner Zeichners Mawil habe dann die Tür für weitere deutsche Zeichner geöffnet.
Ein Stift, ein Stapel Papier und Ideen
„Held“, „Wir können ja Freunde bleiben“, auch „Blankets“ von Craig Thompson, einer von Flix Lieblingscomics, erzählen allesamt Coming-Of-Age-Geschichten. Warum sind diese so beliebt im Medium Graphic Novel? „Weil du mit einem Comic als junger Mensch einfach Geschichten erzählen kannst“, glaubt Flix. „Einen Coming-of-Age-Film als junger Mensch zu verwirklichen, ist teuer. Du brauchst eine Kamera, Leute, Equipment, einen riesigen Apparat, der Geld kostet, das du nicht hast. Beim Comic brauchst du bloß einen Stift, einen Stapel Papier von McPaper für 5,99 Euro und deine Ideen. Das kostet dich eigentlich nichts.“
„Held“ blieb lange Zeit der größte Erfolg für Flix. Inzwischen wurde der aber weit übetroffen von „Spirou in Berlin“, der vor fünf Jahren erschienen ist. Flix lässt in diesem Werk die berühmte Comicfigur Spirou, ein Nationalheld in Belgien, ein Abenteuer in Berlin erleben. Der Band wurde in beinahe sämtliche europäische Sprachen übersetzt und kam auch in Belgien gut an. Sogar zum Empfang des belgischen Königspaars Anfang Dezember in Berlin war Flix deswegen geladen. „Wie Campino neulich beim englischen König.“ Den für einen solchen Anlass obligatorischen Smoking, klar, den musste er sich leihen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs