Flieger gegen Vögel: Vom Abschuss bedroht
Am Flughafen Hannover sollen Störche künftig ganz gezielt getötet werden können – aus Gründen der Flugsicherheit. Naturschützer sind empört.
Mit seiner Idee, unter Naturschutz stehende Weißstörche aus Sicherheitsgründen abzuschießen, hat der Flughafen in Hannover für Aufregung gesorgt. „Leider handelt es sich nicht um einen Aprilscherz“, sagt der Sprecher des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu) in Niedersachsen, Ulrich Thüre. „Über die gezielte Tötung gefährdeter Tierarten kann nicht diskutiert werden.“
Dagegen bekräftigte Flughafensprecher Sönke Jacobsen im Gespräch mit der taz, dass der Flughafen die Tötung von Störchen bei der Region Hannover beantragen will – schließlich gefährdeten die Vögel die Flugsicherheit. „Bei hohen Geschwindigkeiten können die Cockpitscheiben von Flugzeugen platzen oder Triebwerke ausfallen“, warnt Jacobsen. „Worst Case“ sei der Ausfall aller Motoren wie beim Flug 1.549 der Linie US Airways: Der war im Januar 2009 kurz nach dem Start in New York in einen Gänseschwarm geraten – in einer spektakulären Aktion konnte Kapitän Chesley B. Sullenberger seinen Airbus nach diesem „Bird Strike“ nur mit Not auf dem Hudson notwassern.
In ihrer Funktion als untere Naturschutzbehörde bestätigt auch die Region Hannover erste Gespräche mit Vertretern des Flughafens. Ein offizieller Antrag sei allerdings noch nicht eingegangen, sagt Regionssprecher Klaus Abelmann. Allerdings stünden die Fachleute seiner Behörde wie der Weißstorch-Beauftragte Reinhard Löhmer jedem gezielten Abschuss skeptisch gegenüber.
Stattdessen sollen die Vögel, deren Bestände während der Industrialisierung massiv geschrumpft waren und die damit zum einem der Symbole für bedrohte Arten wurden, aus der Nähe des Flughafens vertrieben werden: „Wir setzen auf eine Vergrämung, etwa durch Schreckschüsse oder durch Aufscheuchen“, sagt Behördensprecher Abelmann. Auch über eine „Verringerung des Nahrungsangebots in der Nähe des Flughafens“ könne geredet werden.
Auf den möglichen Abschuss von unter Naturschutz stehenden Störchen angesprochen, betont ein Sprecher von Niedersachsens grünem Umweltminister Stefan Wenzel: „Im Naturschutzrecht gibt es keine Gesetzeslücke.“
Die „streng geschützte Vogelart“ dürfe laut Bundesnaturschutzgesetz nicht getötet werden.
Bei einer „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ seien allerdings Ausnahmen zulässig.
Vorrang vor jedem Abschuss habe allerdings die Vertreibung der Störche – und die werde die Region Hannover als Naturschutzbehörde auch prüfen.
Zwar werde die Region jeden Antrag des Flughafens „vorurteilsfrei prüfen“, denkbar sei aber allenfalls einzelne, besonders an Menschen gewöhnte und deshalb angstfreie Tiere zu töten, betont Abelmann. Für den Storch-Bestand rund um Hannover sei 2015 „ein Rekordjahr“ gewesen, freut er sich stattdessen: „In der Region hatten wir 51 Brutpaare, die mehr als 100 Junge großgezogen haben – so viele wie seit den 1930er-Jahren nicht mehr.“
Skeptisch sind auch Pilotenvertreter: „Bevor ein solches Tier erschossen wird, sollte jedes andere Mittel ausgenutzt werden“, sagt Markus Wahl von der Pilotenvereinigung Cockpit. Zwar sei es durchaus denkbar, dass ein Storch, der in eine Flugzeugturbine gerate, das Triebwerk beschädige, glaubt er. Allerdings setze etwa Deutschlands größter Flughafen Frankfurt zur Vergrämung der Vögel neben Böllerschlägen auch auf unhörbare Schallwellen. „Eine Tötung der Tiere ist das allerletzte Mittel“, stellt Wahl klar: „Aber am Ende ist uns aber die Flugsicherheit natürlich wichtiger als ein Storchenleben.“
Über eine mögliche Vergrämung der Vögel könne durchaus geredet werden, betont deshalb auch Nabu-Sprecher Thüre. Dazu müssten Flughafenvertreter aber mit unseren Fachleuten oder dem Weißstorch-Beauftragten Löhmer Kontakt suchen: „Bei uns hat sich aber noch niemand gemeldet.“
Doch angesichts der massiven Kritik beginnt auch am Flughafen-Standort Langenhagen ein Umdenken: „Auch für uns ist die Tötung eines geschützten Tieres wie des Storchs die letzte Wahl“, so Sprecher Jacobsen. Allerdings habe der flughafeneigene Vogelkontrolleur, der sogenannte Bird Controller, im Umkreis des Flughafens 14 Storchennester aufgespürt, eines davon nur 380 Meter vom Flughafengelände entfernt. „Uns ist allein wichtig, dass im Radius von 13 Kilometern, also im Start- und Landebereich der Flugzeuge, keine Störche nisten“, beteuert Jacobsen – „und dass unser Bird Controller keine strafrechtlichen Konsequenzen fürchten muss, wenn er im Einzelfall doch einmal ein Tier erschießen muss“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin