Fliegendes Spaghettimonster: Parodie mit Pasta
Jeden Freitag feiert die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters in Templin „Nudelmesse“. Aus Protest gegen religiöse Ideologie – und aus Spaß.
Es gibt vermutlich zwei Menschen, die Templin weltbekannt gemacht haben: Angela Merkel, die dort aufwuchs, und Rüdiger Weida, dessen Foto vor sieben Jahren durch die Medien ging. Weißer Rauschebart, Dreispitz, neben sich ein Hinweisschild: Nudelmesse, Freitag, 10 Uhr, angebracht am Ortseingang von Templin unter den Hinweisschildern der anderen Kirchen. Weidas Pastafari-Name – so nennen sich die Anhänger seiner Kirche – ist Bruder Spaghettus, und er ist Mitbegründer und Ehrenvorsitzender der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters (FSM).
Das Hinweisschild wurde einst zum Skandal in dem 16.000-Seelen-Städtchen in der Uckermark; die etablierten Kirchen empörten sich. Schließlich verhandelte sogar das Oberlandesgericht Brandenburg den Fall und lehnte Werbung für die FSM-Kirche ab, 2021 befand die Stadtverordnetenversammlung von Templin aber knapp, dass die Nudelmesse beworben werden darf – auch, weil sie den Ort weltberühmt gemacht hätten.
Wer sind diese Menschen, die sich als Piraten kleiden und die Nudel ehren? Ihr Leben in der Satire leben? Religionskritiker, heißt es oft. Also tatsächlich ernst zu nehmen?
Die Luft riecht frisch, es regnet in Strömen, als wir mit dem Rad bei der doch ein ganzes Stück vom Bahnhof Templin entfernten Kapelle ankommen. Wir finden einen scheinbar verlassenen Hof vor. Am Eingangstor hängt eine Ukraineflagge. Schaut man genauer hin, findet man in der Mitte das kleine Bild des Spaghettimonsters: ein Knäuel aus Spaghetti, das zwei von Tomatensoße tropfende Fleischbällchen umschlingt. Es schaut uns mit seinen abstehenden Glubschaugen gütig an.
Vom offenen Brief zum weltweiten Phänomen
Vor dem Besuch haben wir das „Evangelium des Fliegenden Spaghettimonsters“ gelesen, geschrieben von Bobby Henderson, einem US-amerikanischen Physiker, den die Pastafaris als Propheten verehren. Im US-Bundesstaat Kansas beschloss die Schulbehörde 2005, dass Kreationismus gleichberechtigt zur Evolutionslehre im Biologieunterricht gelehrt werden darf. Da die fundamental-christliche Theorie nicht überprüfbar und damit nicht wissenschaftlich ist, erfand Henderson in Kansas das Fliegende Spaghettimonster. Er setzte es an die Stelle, wo die Kreationisten ihren intelligenten Urheber vermuten, und forderte in einem offenen Brief an die Schulbehörde die Aufnahme des Monsters in den Schulunterricht. Nachdem er keine Antwort bekam, veröffentlichte Henderson seinen Brief auf seiner Website – und der Pastafarianismus wurde zum Internetphänomen.
Bruder Spaghettus
Bruder Spaghettus gründete den deutschen Verein im Winter 2005, kurz nachdem er von der Strömung in den USA mitbekommen hatte. Mittlerweile wird das FSM über den gesamten Globus verehrt. Auf der Website der Kirche heißt es: „28.610.532+ Pastafari weltweit, 14.937 Pastafari in Deutschland, plus/minus 0 Götter.“ Außerdem erwarten jeden Pastafari im Jenseits ein Biervulkan und eine Stripperfabrik. Klingt vielversprechend, auch im Vergleich zur katholische Kirche, aus der in Deutschland im vergangenen Jahr über eine halbe Million Menschen ausgetreten sind – so viele wie noch nie.
In Templin gibt es keinen Handy-Empfang und wir finden keine Klingel. Nach ein paar Minuten im Regen werden wir nervös. Doch dann tritt Bruder Spaghettus aus der Tür. „Hier war noch nie ein Journalist mit dem Fahrrad da“, sagt er überrascht. Er bittet uns ins Wohnhaus, die Messe kann warten. Erst mal Kaffee und trocknen. Dann gibt es Nudeln mit Tomatensoße. Wir setzen uns ins Wohnzimmer. „Kurze Vorstellung“, sagt Spaghettus, als zwei Frauen in den Raum treten. „Tini Tortellini und Ellie Spirelli.“ Tortellini ist Schatzmeisterin, Spirelli seine Frau.
Wir merken bald: Hinter der Ichthys-Parodie (eine Gräte mit Augenklappe) und Spirellis Nudelholz-Ohrringen steckt mehr als ein „bösartiger Faschingsverein“, wie die Kirche vor nicht langer Zeit in einem lokalen Leserbrief genannt wurde. Es geht gegen Dogmen und um freies, kritisches Denken. Aber warum der satirische Weg? „Ernsthafte Aufklärung machen schon ganz viele. Die kommt aber nicht bei jedem an“, sagt Tortellini. Aber der Weg der Parodie ist anstrengend. „Acht bis zehn Stunden habe ich zwischenzeitlich jede Woche mindestens mit dem Verein zu tun gehabt“, erzählt Bruder Spaghettus. Alles ehrenamtlich natürlich.
Auch in dieser Kirche gibt es Regeln
Die FSM-Anhänger finden den Einfluss der Kirchen, sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich, falsch. „Sie tun scheinbar immer so viel Gutes“, sagt Bruder Spaghettus. Aber unter zwei Prozent von Diakonie- und Caritas-Hilfe finanziere sich durch Eigenmittel. Kirchliche Kindergärten würden zu mindestens 90 Prozent vom Staat finanziert. Trotzdem dürften sie ihre Angestellten nach Kirchenrecht aussuchen und missionieren.
Bruder Spaghettus holt einige Bücher aus dem vollgestellten Regal hervor, dabei ist ein religionskritisches Kinderbuch, das die frühere CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen auf den Index setzen wollte, ein Werk des Philosophen Epikur und Michael Schmidt-Salomons Streitschrift „Keine Macht den Doofen“. Seit fast zwanzig Jahren füllt Religionskritik das Leben der drei. Doch wie so vielen Kirchen müssen auch sie über den Nachwuchs nachdenken. Für Schülerinnen und Schüler soll es ab dem Schuljahr 2023/2024 deshalb erstmals einen mit 1.000 Euro dotierten Preis für götterlose humanistische Ethik geben – den GöthE-Preis.
Die Nudelmesse findet in der FSM-Backsteinkapelle statt, einem Gebäude, das auch eine Scheune sein könnte. Dort steht ein langer Holztisch, ein Spaghettimonster aus Plüsch thront auf einem Besenstiel. Bruder Spaghettus öffnet eine weitere Tür zu dem Raum, in dem die Heilige Messe stattfindet.
Wir laufen hinein. „Stoooopp!“, ruft Bruder Spaghettus. Seine Stimme lässt keinen Zweifel daran, dass er das ernst meint. „Ihr habt die Kopfbedeckung vergessen“, sagt er. Wir bekommen Piratenmützen gereicht. Der Raum ist klein, ein Fenster lässt ein paar Lichtstrahlen hinein. Die Wände sind bemalt, ein Monsterbild wacht über einem Schrein. Und es gibt Bier. Zunächst begrüßen sich die Teilnehmenden mit dem Monstergruß: die Hände mit den Handrücken nach außen vor die Brust halten, dann die Daumen ineinander verschränken, die Finger wackeln zum Gruße.
Die Messe beginnt. Das Oberhaupt redet vor, die Schwestern sprechen nach. Sie machen sich Satz für Satz über die Kirchen lustig. Das Monsterunser etwa ist an das Vaterunser angelehnt. Es handelt von Piraten, Fundamentalismus und Fleischklößchen. Die Pastafari ziehen auch das Judentum durch ihre Tomatensoße. Das Monsterunser wird vom Nudelholz abgelesen, in Anlehnung an die Thora. Dafür wurde der Kirche schon Antisemitismus vorgeworfen, doch Bruder Spaghettus lässt das kalt: „Wir verscheißern alle Religionen, warum sollten wir das Judentum auslassen?“ Das Abendmahl wird mit einer Nudel und Bier abgehalten. Wir saugen die Nudel kunstvoll auf, hinterher genehmigen wir uns einen kräftigen Schluck aus der Bügelflasche. Damit ist die Nudelmesse beendet.
Moral kommt nicht von Religion
Die Persiflage ist den deutschen Mitgliedern des FSM wichtig; sie wollen explizit keine eigene Religion werden. Denn „was wir brauchen, ist nicht mehr Religion, auch keine ‚gute‘, sondern weniger“, sagt Bruder Spaghettus. In Deutschland versteht sich FSM als Weltanschauungsgemeinschaft. In vielen Ländern gibt es den Begriff jedoch rechtlich nicht, sodass sich die FSM-Kirchen dort als Religionsgemeinschaft darstellen, um Gleichberechtigung mit anderen Religionen zu fordern, ohne die Parodie zu verlassen. Religion ist laut den Pastafaris nicht nötig, um Moral zu begründen, sondern sogar „absoluter Blödsinn“. Bruder Spaghettus zitiert den Physiker Steven Weinberg: „Gute Menschen tun Gutes, und böse Menschen tun Böses. Damit aber gute Menschen Böses tun, braucht es die Religion.“ Religion teile ein in Freund und Feind. Ethik hingegen erlaube einen Spielraum, jeder könne tun und machen, was er will. Jedenfalls so lange er niemand anderen verletzt.
Bei der FSM-Kirche in Neuseeland könne man mittlerweile jedoch von Religion sprechen, sagt Spaghettus. „Wenn man sich in den Wettbewerb mit anderen Religionen stellt und Glaubensinhalte danach ausrichtet, verlässt man die Parodie“, sagt er. Dort wurde zum Beispiel die Stripperfabrik im Jenseits abgeschafft, weil das frauenfeindlich sei. Bruder Spaghettus, der in der DDR einst mit politischem Kabarett Erfolg hatte, aber auch Probleme mit dem Staat, versteht das nicht: „Die Stripperfabrik stellt doch sowohl Frauen als auch Männer her!“ Gerüchteweise habe er gehört, dass es durchaus auch Frauen geben solle, die sich für Sex interessieren. Tortellini und Spirelli pfeifen frivol.
Auch die Fleischbällchen wurden dem Monster in Neuseeland genommen, wegen der Doppelbedeutung für Eier (englisch: balls) – zu männlich konnotiert. Spaghettus resümiert: „Bei denen besteht das Monster nur noch aus Spaghetti, ohne Ei und mit veganer Tomatensoße.“ Das mache ihn persönlich nervös, auch politische Korrektheit hält er für eine Ideologie. „Gendern zum Beispiel macht in der Sprache viel kaputt“, so seine persönliche Meinung, unabhängig von jeglicher FSM-Doktrin. Dogmen seien Denkverbote und schädlich, fügt Tortellini hinzu. Egal von welcher Seite diese kommen, die drei Pastafaris kritisieren sie scharf.
Bevor wir uns verabschieden, möchten uns die Pastafaris noch ihre ganz persönliche „Stripperfabrik“ zeigen. Wir laufen um eine Scheune. Sichtlich amüsiert deutet Bruder Spaghettus auf ein Schwimmbecken im Garten.
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