: „Flexibel bleiben für neue Formate“
Steigende Kosten, verändertes Ausgehverhalten, Verdrängungsprozesse: Die Clubszene leidet, immer mehr Betriebe geben auf oder geraten in Bedrängnis. Emiko Gejic, Sprecherin der Berliner Clubcommission, über die verschiedenen Ursachen und mögliche Wege aus der Krise

Interview Andreas Hergeth
taz: Frau Gejic, in Berlin haben Clubs wie das Watergate zugemacht, weil es sich finanziell nicht mehr gerechnet hat. Andere Clubs wie das SchwuZ kommen ins Trudeln. Wie ernst ist die Lage?
Emiko Gejic: Zu diesem Thema haben wir vergangenes Jahr eine Umfrage unter unseren Mitgliedern gemacht. 46 Prozent der Clubbetreibenden hat angegeben, dass die Lage finanziell und wirtschaftlich sehr schwierig ist und dass viele in Erwägung ziehen, ihren Betrieb irgendwann im nächsten Jahr zu schließen.
taz: Die Hälfte ist eine erschreckende Zahl. Was sind die Gründe für die Schwierigkeiten?
Gejic: Neben der generell angespannten wirtschaftlichen Lage spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Da sind die steigenden Mieten, die schon immer ein Hauptgrund für Clubschließungen waren. Die Energiekosten sind extrem nach oben gegangen. Dazu kommt der Anstieg des Mindestlohns, der sich auf kleinere Betriebe immer stärker auswirkt. Auch der Rückgang von Besucher:innenzahlen macht den Clubs zu schaffen. Der Tourismus ist nicht mehr auf dem Niveau von vor Corona und generell gehen Leute weniger aus und konsumieren weniger Alkohol – das hat natürlich wirtschaftliche Auswirkungen. Und dann kommen eventuell Schwierigkeiten mit der Fläche, mit der Nachbarschaft, mit dem Bezirk dazu. Und obendrauf auch noch die erhöhte Grundsteuer.
taz: Was kann man da tun?
Gejic: Das kommt auf das Problem an. Nehmen wir nur mal die Vermietungen. Manche Clubs stehen auf Privatflächen, manche auf landeseigenem Gelände. Bei Privaten kann man von außen leider kaum etwas tun, wenn sie die Miete erhöhen. Gewerbemieten sind nun mal nicht reguliert. Bei landeseigenen Flächen kann man politischen Druck ausüben. Es gibt Leute in der Politik, auch im Senat, die die Clubs unterstützen wollen. Und auch mit den Bezirken kann man über bestimmte Dinge reden. Aber ansonsten …
taz: … kämpfen die Clubs mit den sich dramatisch verändernden wirtschaftlichen Faktoren wie alle anderen Unternehmen und Privathaushalte?
Gejic: Ja, in dem Sinne ist das mit dem Eingreifen sehr beschränkt. Wir erleben grade eine Transformationszeit. Nicht nur die Clubszene, sondern generell die freie Kulturszene und Kunstlandschaft in Berlin, die sich wegen der Kürzungen teilweise neu orientieren muss, andere Mittel und Wege für die Finanzierung finden muss. Die schwierige wirtschaftliche Lage drängt zur Transformation. Man muss versuchen, flexibel zu bleiben und neue Formate zu schaffen.
taz: Wie könnten neue Ideen aussehen?
Gejic: Das ist extrem unterschiedlich, club- und szenenspezifisch. Für manche ließe sich zum Beispiel überlegen, wie man ein anderes Publikum anziehen könnte. Im Programming, Booking, bei Kommunikation und Kollaborationen kann es Änderungen geben. Man kann in neuen Partnerschaften zusammenarbeiten oder die Räumlichkeiten anderweitig vermieten. Auch Wirtschaftsförderung könnte es geben. Clubs werden derzeit nicht gefördert und durch die Kulturförderung wird aufgrund der hohen Kürzungen künftig nicht mehr so viel möglich sein. Aber man könnte zum Beispiel über die Förderung von Modernisierungs- und Digitalisierungsmaßnahmen nachdenken, die bestimmte Prozesse effizienter machen, um Kosten zu sparen.
taz: Haben Sie dazu schon etwas von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) gehört? In Grußworten ist die Politik ja stark, von wegen Aushängeschild Clubkultur. Aber gibt es auch ein Förderprogramm für Clubkultur?
Gejic: Frau Giffey hat uns tatsächlich zu einem Treffen eingeladen, da ging es um Input unsererseits und auch um mögliche Förderungen seitens der Wirtschaftsverwaltung. Welche Art von Förderung tatsächlich nützlich wäre, muss man mit den einzelnen Clubbetrieben besprechen. Da ging es zum Beispiel um Themen wie die hohen Energiekosten. Die könnten sich eventuell senken lassen, indem Clubs besser isoliert werden. Hier könnte eine Wirtschaftsförderung greifen. Viele Clubs befinden sich in uralten Gebäuden, die sehr viel Energie fressen, die schwer beheizbar sind etc.
taz: Apropos Senat. Der hat kürzlich den Bebauungsplan für ein Hotel in unmittelbarer Nähe zum Club About Blank genehmigt. Diese Entscheidung hat viele verwundert. Die Clubcommission bezeichnet das als einen „weiteren Schlag gegen die Clubkultur und bezirkliche Sozialstrukturen“ – warum?
Gejic: Der Bezirk hatte sich ja klar dagegen gestellt, deshalb ist es für uns überraschend und unverständlich, warum diese Entscheidung gegen ihn getroffen wird. In Friedrichshain-Kreuzberg wurde schon extrem viel Subkultur verdrängt. Überall, von der Rummelsburger Bucht, entlang des Spreeufers bis zum Ostkreuz, wird viel Gewerbe gebaut, viele Hotels, die nicht den Tourismus ankurbeln werden. Wenn man die Clubs und Kulturstandorte verdrängt, rechnet sich das langfristig nicht. Die Besucher:innen kommen ja wegen der Kulturlandschaft und des Nachtlebens, nicht wegen der Hotels. Das ist eine sehr kurzsichtige Stadtentwicklungsstrategie.
taz: Das About Blank ist ja auch anderweitig bedroht.
Gejic: Der Club ist in einer schwierigen Lage, auch wegen dem drohenden Weiterbau der A100, auch wenn immer noch nicht klar ist, ob die Verlängerung kommen wird oder nicht. Die Stadt wird gerne als bunte, kreative Feiermetropole vermarktet, was sie ja auch ist, aber das ist sie ja nun mal durch die Clubkultur. Und die braucht Unterstützung, damit das so bleibt. Deshalb stellen wir uns klar gegen solche Bebauungsmaßnahmen.
taz: Themenwechsel: Das veränderte Ausgehverhalten ist auch eine Generationsfrage. Junge Leute gehen anders aus als in früheren Jahrzehnten. Wie kann man dem begegnen?
Gejic: Die Feierszene verändert sich natürlich. Ein großes Thema ist, dass Clubs immer viel Geld mit dem Verkauf von Alkohol und anderen Getränke verdient haben. Nun gibt es eine jüngere Generation, die weniger oder teilweise gar keinen Alkohol trinkt. Es macht jetzt nicht viel Sinn, das einfach nur zu betrauern. Weniger Alkoholkonsum hat ja auch viel Positives, die Szene feiert viel achtsamer, es gibt mittlerweile viele „Sober-Raves“. Mit solchen Trends kann man mitgehen und überlegen, wie man neue junge Kollektive anziehen, wie man alternative Formate schaffen kann. Auch Getränkeangebote haben sich weiter entwickelt, alkoholfreie Versionen liegen im Trend, davon kann man mehr anbieten.
taz: Was lässt sich noch tun?
Gejic: Das ist wieder sehr abhängig von der jeweiligen Szene oder dem jeweiligen Club. Manche setzen vermehrt auf Community-Events und holen sich junge Kollektive als Mitveranstalter ins Boot, damit diese mitgestalten können. Ein großes Problem ist: Es gibt die alten Clubs, die vor vielleicht 20 Jahren aufgemacht haben, die ihre Standorte noch halten können. Dagegen es ist für junge Club-Kollektive und junge Kulturschaffende sehr schwierig, neue Standorte zu finden. Deshalb ist es wichtig, dass zusammengearbeitet wird, Allianzen und Kollaborationen entstehen. Kollektive haben ihre eigenen Communities, sie wissen genau, wie man diese ansprechen muss. Das heißt: Die Leute, die gerne feiern wollen, gibt es auf jeden Fall.
taz: Werden wir in Zukunft öfter außerhalb des inneren Stadtrings tanzen gehen, wo es noch erschwingliche Räume und vielleicht auch weniger Probleme mit Lärm gibt?
Gejic: Das die Clubszene wandert, ist ein ganz normaler Prozess und nichts Neues. Wer hätte gedacht, dass sich eines Tages Oberschöneweide als Clubstandort entwickelt? Mittlerweile gibt es dort Locations wie das Revier Südost, die gut funktionieren. Auch, weil viele Standorte in Kreuzberg und anderswo nicht mehr da sind. Leute, die feiern gehen wollen und ein ganz bestimmtes Programm sehen wollen, nehmen die Reise auf sich. Berlin ist eine große Stadt und hat vielseitige Bezirke, da gibt es immer noch Optionen – es ist eher die Frage, was Flächen kosten …
taz: … und allem anderen, die Bürokratie nicht zu vergessen.
Gejic: Natürlich hat sich alles professionalisiert. Früher konnte man einfach eine alte Halle bespielen, ein Soundsystem reinstellen und hatte keine großen Genehmigungsverfahren. Um heute einen Club zu eröffnen, braucht es Brand- und Schallschutz sowie Genehmigungen. Mittlerweile gibt es Anstellungsverhältnisse in den Clubs, das war früher nicht so. Alles ist viel professioneller geworden, und das hat auch mit Sicherheit zu tun. Dadurch ist es aber schwieriger, neue Formate aus dem Boden zu stampfen, wo man sich mal ausprobieren kann. Das heißt, die Konzepte müssen schon sehr viel durchdachter sein, mit einem Businessplan und dann auch funktionieren, weil es sich sonst nicht rechnet. Das heißt, dass vor allem subkulturelle, alternative und experimentelle Formate Schwierigkeiten beim Finden neuer Flächen haben.
taz: Damit sind wir wieder bei den Kosten angelangt.
Gejic: Es ist alles sehr schwierig und man sieht eher, was alles nicht funktioniert, wo Clubs am strugglen sind. Aber es gibt auch viele neue Veranstaltungen, Formate und immer wieder neue Ideen und Kollektive. Das ist sehr inspirierend, vor allem, was kleine und junge Kollektive veranstalten. Es wird sich immer weiterentwickeln. Es wird auch nicht irgendwann vorbei sein mit der Clubkultur, aber Zeiten ändern sich und was wäre Kunst- und Kultur, wenn sie sich nicht auch ändern würde?
taz: Sie blicken also optimistisch in die Zukunft?
Gejic: Ich gucke sowieso optimistisch in die Zukunft, was bleibt einem sonst? Ich bin Berlinerin, habe die ganzen Veränderungen, die Gentrifizierung und den Stadtwandel mitbekommen. Es ist auch ein Berliner Ding, sich sehr darauf zu berufen, wie viel besser alles früher war. Aber im Grunde hat sich auch vieles zum Positiven verändert. Berlin ist sehr viel internationaler, viel diverser geworden. Es gibt viele solidarische Netzwerke, Veranstalter:innen aus queeren und migrantischen Communities. Und es gibt viele neue Formate, die mehr Fokus auf Community, auf Impact, Diversität, Inklusion und Awareness legen. Das heißt, es geht sowieso weiter und es wird auch nicht vorbei sein mit der Clubkultur.
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