piwik no script img

Fleisch gewordenes ManagerspielJede Woche 1.000 Trainer

Beim FC Inter Dragon im Kreis Schleswig-Flensburg bestimmen die Internet-User über die Mannschaftsaufstellung.

Wer am Wochenende auf dem Platz steht, entscheiden beim FC Dragon allein die Fans. Foto: Screenshot: Richard C. Wolf

HAMBURG taz | Dramatischer Trailer, Anmoderation durch eine junge Frau, Sponsoreneinblendung: „Dieses Spiel wird präsentiert von Eissing-Dachtechnik aus Böklund.“ Dann: Mannschaftsaufstellung, Einlauf, Anpfiff. Jeder Fußballfan kennt diese Bildfolge, doch in diesem Fall leitet sie die Übertragung des Kreisklassenspiels FC Inter Dragon gegen die SG Nordangeln ein. Endstand 7:1.

Live-Berichterstattung mit vier Kameras ist in der Kreisklasse schon ungewöhnlich, doch der eigentliche Clou des FC Inter Dragon ist ein anderer: „Der Spieler, der drei Stunden vor Spielbeginn von den Internet-Usern die meisten Dragons, wie unsere Spielwährung heißt, auf einer Position hat, der spielt ohne Wenn und Aber“, sagt Vereinsgründer Andree Bistram, der einst Profi beim FC St. Pauli, Schalke 04 und Holstein Kiel war. „Da kann der Trainer nichts machen. Das einzige, was er machen kann, ist zur Halbzeit auszuwechseln.“

Torjäger auf die Bank

Ursprünglich hatte sich Bistram nur über seinen damaligen Arbeitgeber Schleswig 06 geärgert und suchte nach einer Idee für einen eigenen Klub. „Im Auto haben meine Kinder immer Fifa gespielt“, sagt Bistram. „Da habe ich sie gefragt: Was haltet ihr davon, wenn wir das auf den richtigen Rasen übertragen?“ Wie bei den Onlinespielen Comunio oder Kicker-Managerspiel werden die Internet-User bei Inter Dragon zu Fußballtrainern und -managern.

Zurzeit ist die Teilnahme kostenlos, ob später einmal eine Gebühr von bis zu 99 Cent pro Monat erhoben wird, ist noch nicht entschieden

Dabei sind Überraschungen jederzeit möglich. So setzten die User beim Spiel gegen Nordangeln ausgerechnet den Doppeltorschützen des vorherigen Spieltages auf die Bank. „Wahrscheinlich gingen viele davon aus, dass er sowieso genug Stimmen erhält“, mutmaßt Bistram. Dass Spieler im Vorteil sind, die ihre Fans mobilisieren, ist Teil des Konzepts. „Selbst wer beim Trainer durchgefallen ist, hat die Chance zu spielen“, sagt Bistram. Dies sei auch ein Argument, um Spieler von der Idee zu überzeugen.

Funktionäre im Verband und in anderen Vereinen reagierten dagegen zunächst skeptisch. „Einmal wegen des ungewohnten Namens“, sagt Bistram. „Einige befürchteten aber auch, dass wir ihre Spieler wegholen. Jetzt sind sie alle nett und freundlich.“

Bis dahin hätten er und sein Partner, der Bauunternehmer Robert Nadrau, eine Menge „dicker Bretter“ bohren müssen. Der Internetverein profitierte vom Rückzug eines Vereins der Kreisklasse A, der seinen Namen auf Inter Dragon umschreiben ließ, sodass der Weg nicht ganz unten, in der Kreislasse C, begann. Den ersten Kader bilden einige deutsch-polnische Mitarbeiter von Nadrau sowie eine Reihe reaktivierter Spieler.

Mitreden gegen Geld?

In der laufenden Testphase beteiligen sich auf der Website nach Angaben von Bistram jede Woche rund tausend User an der Mannschaftsaufstellung, auf der Facebook-Seite noch mehr. Zurzeit ist die Teilnahme kostenlos, ob später einmal eine Gebühr von bis zu 99 Cent pro Monat erhoben wird, ist noch nicht entschieden. Die Live-Übertragung war ebenfalls ein Testlauf. Die Premiere am vergangenen Sonntag gegen Flensburg 08 II fiel ins Wasser – wegen Dauerregen.

Bis zur Rückrunde soll die Website noch weitere Features bieten. Irgendwann sollen die User über alle Belange des Vereins mitentscheiden können, auch darüber, welche Spieler neu verpflichtet werden oder den Verein verlassen. Nur eine Entscheidung wird nicht in ihre Hände gelegt: Über den Trainer entscheidet allein der Vorstand. „Wir wollen jedes Jahr aufsteigen und mit den Usern erfolgreich sein“, sagt Bistram. Nach Anlaufschwierigkeiten hat Inter Dragon die letzten Spiele deutlich gewonnen und belegt bereits Platz 3 der Tabelle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!