Fitnesstracker und Smartwatches: Zahlen, bitte!
Jede Krankenkasse hat ihr Bonusprogramm. Wer sich bewegt, wird belohnt. Muss bald weniger zahlen, wer auch seine Daten preisgibt?
Alle machen es. Egal ob, Techniker Krankenkasse, AOK, Barmer GEK, DAK Gesundheit oder Allianz, alle Krankenkassen belohnen ihre Kunden für gesündere Lebensweise. Wer einen Rückenkurs besucht oder sich fürs Nicht-Rauchen entscheidet, bekommt eine Prämie gegen die Bestätigung eines Arztes oder Kursanbieters.
Mit dem Aufkommen von Gadgets, wie Fitness-Armbändern oder Smartwatches, eröffnet sich der Markt für Gesundheits-Apps. Diese liegen im Trend, wie eine Studie des IT-Branchenverbands Bitkom zeigt: Neun Millionen Deutsche nutzen bereits sogenannte Fitness-Tracker. Da scheint es sinnvoll, sich einmal zu erkundigen, inwieweit Krankenkassen persönliche Daten nutzen, um beispielsweise individualisierte Verträge anzubieten.
Denn es gibt einen großen Unterschied zwischen den bisherigen Bonusprogrammen und dem individuellen Anpassen von Leistungen und Beiträgen, wie es vereinzelt in den USA schon passiert. Wenn eine deutsche Kasse gesundes Verhalten eines Patienten belohnt, tut sie es unabhängig vom Ergebnis. Ich bekomme meine Prämie, wenn ich einen Fitness-Kurs besucht habe, egal, ob ich hinterher 70 oder 140 Kilo wiege.
Nun kommen Fitness-Apps und Smartwatches auf den Markt, die individuelle Daten erheben und zum Teil von den Kassen unterstützt werden. Die Frage ist: Zeichnet sich eine Wende ab?
Ein Schweizer Unternehmer will mit einer einzigen Zahl das Wohlbefinden jedes Menschen messen. Und so die maroden Krankenkassen sanieren. Wie genau das funktionieren soll und auf welche Widerstände er stößt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 18./19. April 2015. Bonjour, Israel! Wie geflohene, französische Juden in Israel ankommen. Und: Der Tocotronic-Produzent Moses Schneider. Ein Interview über Dur. Außerdem: Nackte Jungs lesen. Ein Literaturevent. Plus: Hausbesuch bei Deutschlands einzigem professionellen Nacktmodell. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die Patienten vom Sofa kriegen
Die Kassen sind angehalten, zu sparen, und das können sie nur, wenn sie vermehrt präventiv arbeiten. Kurz gesagt: Sie müssen ihre Patienten vom Sofa kriegen. Doch es gibt zwischen gesetzlichen und privaten Krankenkassen unterschiedliche Rahmenbedingungen. „Eine gesundheitsbezogene Prämienbemessung ist in der gesetzlichen Krankenversicherung verboten, weil sie eine unzulässige Risikoselektion darstellen würde“, erklärt Michael Förstermann, Pressesprecher der IKK Classic. Das Solidaritätsprinzip sei so gesichert.
Jeder hat das gleiche Recht auf Leistungen. Weil jeder für jeden zahlt. Die große Sorge: Wird in Zukunft bestraft, wer sich zu wenig um seine Gesundheit kümmert und somit die Gesellschaft zu viel kostet? Und wer bestimmt, welche Krankheiten selbstverschuldet sind und welche nicht?
Barmer macht fit
Zwar bieten alle gesetzlichen Krankenversicherer verschiedene Bonusprogramme an, mit denen sie den Einsatz der Versicherten für ihre Gesundheit prämieren, jedoch spielen digital erfasste Daten des Kunden keine Rolle, wie deren Pressesprecherinnen betonen. Solche Daten werden gar nicht erhoben.
Als einzige unter den gesetzlichen Krankenversicherungen bietet die Barmer GEK seit April 2014 eine App namens “FIT2GO” an, mit der Versicherte und Nicht-Versicherte zu mehr Bewegung motivieren werden sollen. Thorsten Jakob, Pressesprecher der Barmer GEK sagt, dass die Nutzung der App absolut anonym sei und keinerlei Daten übermittelt werden. „Für die erfolgreiche Teilnahme an der Challenge in der App, bei der sich Teilnehmer mindestens 30 Minuten an 20 Tagen bewegen müssen – und das innerhalb von 42 Tagen, gibt es Bonuspunkte gutgeschrieben“, erklärt Jakob.
Ansonsten werden Apps von den gesetzlichen Krankenkassen hauptsächlich genutzt, um die Kundenbetreuung mit Angeboten wie Geschäftsstellenverzeichnis, Ärztesuche und Pollenflugvorhersagen zu verbessern.
Die Techniker Krankenkasse arbeitet zurzeit an einem neuen, auch mobilen, Online-Gesundheitsoach, der Ende des Jahres veröffentlicht werden soll.
Bonus für ein Jahr ohne Leistungen
Bei privaten Versicherungen sieht es zurzeit ähnlich aus, obwohl sie Gesundheitsdaten aus Apps oder Smartwatches für individualisierte Verträge nutzen dürften. Die Allianz beispielsweise bietet ihren privat Versicherten Boni an, wenn sie ein Jahr lang keine Leistungen in Anspruch nehmen. Daten aus Gesundheits- oder Sport-Apps will der Konzern nach eigenen Angaben nicht nutzen, um gesonderte Tarife für Sportliche aufzusetzen.
„Es ist wenig sinnvoll immer kleinteiligere Kollektive in der privaten Krankenversicherung zu schaffen. Stabile Beiträge brauchen eine hinreichend große Anzahl von Versicherten“, sagt Birgit König, Vorstandsvorsitzende der Allianz Privaten Krankenversicherung. Daher werde das individuelle Risiko nur bei Vertragsabschluss bewertet.
AXA Deutschland, ein privater Versicherer, setzt ebenfalls auf ein Bonusprogramm, um eine gesunde Lebensweise zu belohnen. „Wir bieten derzeit keine Lösungen an, in deren Zuge digital erfasste Daten des Kunden an das Unternehmen fließen und Bonuszahlungen bewirken“, sagt Florian Amberg, Presseprecher von AXA Deutschland. Allerdings kooperiert AXA mit der App „Runtastic“, um den Spaßfaktor und die Trainingseffizienz der App für die Nutzer ihres Programms „Plus von AXA“ zu erhöhen. Hier flössen jedoch keine Daten an AXA, betont Amberg.
Und Generali? Der private Versicherer machte mit dem „Vitality“-Programm auf sich aufmerksam. Dieses soll gesundheitsbewusstes Verhalten durch Prämien belohnen. Dabei gelte das Prinzip der „eigenen Risikosituation“ des Kunden, die Auswirkung auf den Preis der Versicherung habe, wie Silvia Lorger-Michel erklärt. Die Pressesprecherin von Generali sagt: „Das Vitality-Programm wird noch nicht angeboten. Geplant ist die Markteinführung von Vitality-Produkten im ersten Halbjahr 2016.“
Unsere Titelgeschichte „Lauf oder zahl!“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 18./19. April 2015.
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