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„Fischer muss Paroli bieten“

Bei der bevorstehenden Abstimmung müssen die Grünen nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Claus Leggewie für die Würde des Parlaments stehen

Interview STEFAN REINECKE

taz: Kanzler Schröder will die Afghanistan-Abstimmung mit der Vertrauensfrage verbinden – nachdem acht Grüne ihr Nein zum Militäreinsatz angekündigt haben. Ist das das Ende der Koalition?

Claus Leggewie: Der Kanzler hat offenbar die Nerven verloren und will die Grünen in die Knie zwingen. Er braucht die Vertrauensfrage ja gar nicht zu stellen – anders als Helmut Schmidt 1982, als die Opposition im Parlament wie in der öffentlichen Meinung schon die Nase vorn hatte. Das ging einher mit dem Durchbruch der Grünen. Die Sozialdemokraten stehen selbst 20 Jahre später noch immer in der Versuchung, sie dafür abzustrafen und zu einer Fußnote der alten Bundesrepublik zu degradieren. Wenn Schröder den Bruch von Rot-Grün will, dann soll er konsequent sein und gleich sagen, dass er Neuwahlen anstrebt.

Die Grünen haben die Wahl zwischen Pest und Cholera: Folgen sie jetzt im Bundestag geschlossen Schröder, verprellen sie ihre Basis und Wähler. Verlassen sie die Koalition, droht das politische Abseits. Gibt es einen dritten Weg für die Grünen?

Wohl kaum. Sie müssen nach Lage der Dinge wohl ihrem Außenminister folgen und können dies den Wählern eigentlich auch vermitteln. Die Grünen haben sichtbar mit sich gekämpft und Schröder auch Zugeständnisse abgerungen. Damit haben sie ihren Zwiespalt als Ausdruck des Zweifels der denkfähigen Republik kommuniziert. Uneingeschränkte Solidarität leisten oder sie forsch verweigern, das können nur die alten Blockparteien CDU und PDS.

Aber den Grünen nutzen ihre Zweifel nicht viel – im Gegenteil. Warum?

In unserem Mediensystem werden Skrupel immer als „Streit“ kommuniziert. Die Grünen, die die Unsicherheit der gesamten Gesellschaft über den Sinn eines Militäreinsatzes genau spiegeln, werden noch abgestraft. Dazu hat aber auch die „Basis“ beigetragen, also die Landesverbände mit jenen an der Spitze, die gern auf die Wähler verweisen, aber vor allem das eigene Milieu im Auge haben. Hier herrscht ein von wenig Zweifeln angenagter Pazifismus vor, der sich an einer problematischen Regierungsvorlage motivieren kann. Damit leistet die Partei selbst dem Totschlagargument Vorschub, die Grünen seien jetzt „für Krieg“. Das sind sie eindeutig nicht, aber sie können in dieser Lage auch nicht – wie Christian Ströbele fordert – als „Partei der Friedensbewegung“ mit quasi-imperativem Mandat gegenüber Fraktion und Ministern auftreten. Man möchte frustrierte Anhänger inständig bitten, sich für den grausamen Verlust eines heilen Weltbildes nicht ausgerechnet an den Grünen zu rächen.

Fischer und Co. können sich keine andere grüne Partei backen. Wie lange kann eine Partei es aushalten, dass ihr Spitzenmann eine Politik macht, die sie im Grunde ablehnt?

Die Frage ist wohl eher, wie lange die Partei ohne ihren Spitzenmann existiert. Wer soll denn Fischer ablösen? Die Frage ist nicht rhetorisch gemeint.

Die grüne Lage ähnelt der vor zwei Jahren im Kosovokrieg. Welche Analogien, welche Unterschiede sehen Sie?

Die Welt hat sich schon vor dem 11. September radikal gewandelt. Argumente, die einzig auf die deutsche NS-Vergangenheit bezogen waren, fallen kaum noch ins Gewicht. Auch die von Fischer nun bemühte Westbindung ist so ein Ex-Post-Argument. Man kann das gegenwärtige Politikdilemma so umschreiben: Es gibt keine Äquidistanz, keinen gleichen Abstand zu Amerika und dem Terrorismus – genauso wenig wie in den 80er-Jahren gegenüber USA und Sowjetunion. Aber noch mehr als damals umfasst Westbindung eine Auseinandersetzung Europas mit dem US-Unilateralismus. Das wiederum setzt eine Stärkung Europas voraus – auch sicherheitspolitisch. Soll man diese Relativierung der „uneingeschränkten Solidarität“ etwa den Nationalkonservativen überlassen? Fischer stand schon im Kosovo-Konflikt und steht auch jetzt nicht „für Krieg“, sondern für eine multilaterale Konfliktlösung, allgemeiner für den Primat der Politik. Die Grünen müssen nun auch für die Würde eines Parlaments stehen, das nicht einfach machtopportunistisch Regierungsvorlagen durchwinkt. Und da ist jetzt auch Fischer gefordert, dem Kanzler Paroli zu bieten.

Die Kriegslage hat sich gestern dramatisch verändert. Die Taliban ziehen sich zurück. Wird das den rot-grünen Konflikt entscheidend beeinflussen?

Taktisch möglicherweise. Und hier zeichnet sich immerhin der Schimmer einer Hoffnung auf eine Afghanistan-Lösung ab, die nicht allein auf militärische Mittel setzt – sondern auch die politische und humanitäre Dimension zur Geltung bringt, auf die Fischer ja immer gesetzt hat. Ob man dem Rückzug trauen darf, weiß ich nicht, ebenso wenig, was die Amerikaner daraus politisch machen. Und das abstrakte Motto, dass Krieg zu gar nichts führt, ist partiell widerlegt – man kann jetzt helfen. Doch für die Grünen bleibt die Situation weiterhin kritisch, denn eine Ende aller Kampfhandlungen bedeutet die jüngste Entwicklung wohl kaum, und so bleiben alle prinzipiellen Fragen weiterhin offen.

Selbst wenn die Koalition die Vertrauensabstimmung überlebt: Wäre Rot-Grün am Ende, wenn der grüne Parteitag eine Woche später den Fischer-Kurs ablehnt?

Auch wenn es sich paradox anhört: Nicht der Militäreinsatz markiert jetzt die kritische Grenze – sondern Schröders Versuch, die Grünen abzuservieren, indem er die transatlantische Bündnisfalle zur Berliner Koalitionsfalle dramatisiert hat. Wie auch immer die Abstimmung am Freitag ausgeht, als glänzende Bestätigung für Rot-Grün wird man sie kaum verkaufen können.

Kann die Partei in der Opposition überleben?

Totgesagte leben lange, siehe FDP. Die Oppositionsbänke würden allerdings sehr hart für die Grünen. Sie würden ihre Prominenz verlieren, nachdem sie schon den Nachwuchs verloren haben – und als „Friedenspartei“ hat sich schon die PDS profiliert. Trotzdem halten die Grünen für die Zeit nach dem Krieg, für eine alternative Globalisierung die besseren sozial-, entwicklungs- und umweltpolitischen Konzepte bereit. Ironischerweise bekämen wir jetzt ohne die Grünen „eine andere Republik“.

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