Finanzierung von Projekten für Arme: Ohne Zinsen keine Mikrokredite
Mit niedrigen Kreditsummen hilft Oikocredit Menschen im globalen Süden. Doch das Geschäft wird wegen der Niedrigzinsen schwierig.
Heute investieren weltweit über 50.000 Menschen und Organisationen bei der früheren „Ecumenical Development Cooperative Society“ (EDCS), die Hälfte davon aus Deutschland. „Ihnen sind nachhaltige, positive Veränderungen wichtiger als eine kurzfristige Rendite“, hoffen die GenossInnen.
Dabei reicht der Horizont der Hilfe über die Landwirtschaft hinaus. So investierte Oikocredit kürzlich rund drei Millionen Euro in den mexikanischen Studienkreditanbieter Laudex, der Kindern aus Haushalten mit mittlerem und niedrigem Einkommen ein Studium ermöglicht. „Bafög“ ist in Mexiko unbekannt. Insgesamt fördert der in Deutschland größte private Akteur in der globalen Entwicklungsfinanzierung mit rund einer Milliarde Euro soziale Unternehmen wie Mikrofinanzinstitute, die 36 Millionen Menschen in 70 Ländern helfen.
Deutschland-Chef Matthias Lehnert sieht Oikocredit aktuell von zwei besonderen „Herausforderungen“ geprüft. Da ist zunächst das allgemeine Niedrigzinsumfeld, welches eine „Herausforderung für den gesamten Finanzsektor, aber besonders für das Kreditgeschäft darstellt“. Das habe mittlerweile auch den globalen Süden erreicht.
Oikocredit finanziert sich hauptsächlich über Eigenkapital
Kredite machen jedoch 85 Prozent des Geschäftsvolumens von Oikocredit aus. Während Banken die niedrigen Kreditzinssätze an ihre Sparer weiterreichen können, finanziert sich Oikocredit hauptsächlich über Eigenkapital. Dieses stammte früher fast ausschließlich von Kirchen, heute zu über 80 Prozent von privaten Anlegern. Auf diese Zwickmühle reagierte Oikocredit im vergangenen Jahr und senkte die Dividende der Genossenschaftsanteile von 2 auf 1 Prozent. Nicht alle fanden dies gut.
Die allgemein niedrigen Zinssätze führen auch zu niedrigen Zinssätzen für Mikrokredite. Lehnert findet dies zwar grundsätzlich gut: „Sie helfen unseren Partnern.“ Dies erschwere aber Oikocredit unter anderem die Finanzierung ihrer 21 regionalen Büros in Ländern des globalen Südens, von Ghana bis Peru. Diese wählen die Unternehmen, in die Oikocredit investiert, nach vergleichsweise strengen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien aus. „Die entstehenden Kosten müssen wir aus den Zinserträgen decken“, betont Geschäftsführer Lehnert.
Mit den fallenden Zinsen seit der Finanzkrise stieg gleichzeitig das Angebot: Lokale Banken im globalen Süden, aber auch Global Player wie Schweizer Großbanken drängen in das Geschäft mit Mikrofinanzierungen. So will beispielsweise die Responsability Investments aus Zürich eine „positive Entwicklungswirkung“ erzielen und zugleich attraktive neue Märkte für Investoren erschließen. Die Aktiengesellschaft verwaltet mittlerweile ein Fondsvermögen von fast drei Milliarden Euro. Am anderen Ende der Hilfeskala wirken Altruisten wie Give Directly. Über die Wohltätigkeitsorganisation aus New York kann Geld direkt an bedürftige Menschen gespendet werden.
Oikocredit-Chef Lehnert
Die wachsende kommerzielle und nichtkommerzielle Konkurrenz fordere seine in dieser Form einzigartige Organisation zusätzlich heraus, meint Oikocredit-Chef Lehnert. „Was ist der Mehrwert, den wir den Menschen bieten?“ Günstige Kredite alleine sind es offenkundig nicht mehr.
Lehnert will keinen Preis-, sondern einen Qualitätswettbewerb mit der Konkurrenz. Neben Finanzierung trainiert Oikocredit Menschen vor Ort. Solchen Mehrwert bieten konventionelle Finanzinstitute oder Spendenorganisationen meist nicht. So schult Oikocredit beispielsweise in Mittel- und Südamerika Genossenschaftsbauern, damit sie besser mit dem Auf und Ab der Weltmarktpreise für Kaffee klarkommen.
Unumstritten ist der Nutzen von Mikrokrediten, für die Muhammad Yunus noch 2006 den Friedensnobelpreis erhielt, heute unter Fachleuten nicht mehr. Oikocredit bekommt allerdings für seinen umfassenderen Ansatz Lob von ganz oben gespendet: Kleinbauern in Lateinamerika, Asien und Afrika fänden dadurch eine berufliche Existenz und könnten in Würde leben, lobte der bayerische Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm kürzlich auf einer Veranstaltung in Nürnberg.
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