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Filmbiografie über Brian WilsonElektrisch verstärkter Joghurt

„Love & Mercy“ von Bill Pohlad widmet sich Brian Wilson, dem Kopf der Beach Boys. Schön: Die Arbeit im Tonstudio erhält viel Raum.

Der dreifache Wilson: Das Orginal ist eingerahmt von den Schauspielern Paul Dano (li.) und John Cusack. Foto: casey curry/invision/ap

Braucht irgendwer noch ein Biopic? Ein Biopic über einen Musiker darüber hinaus, über dessen weitgehend trostloses Leben eh schon viel zu viel, über dessen Kunst dagegen viel zu wenig geredet worden ist?

Um Brian Wilson, Kopf der Beach Boys, deren Meisterwerk „Pet Sounds“ seit vielen Jahren zuverlässig zur besten Pop-Platte aller Zeiten gewählt wird, und seinen physischen und psychischen Zusammenbruch in den folgenden Jahren sind ja zahllose Meinungen, Mythen und Genie-Spekulationen im Umlauf; wenige reden darüber, welche ausgetüftelten konstruktiven Ideen ihn dazu brachten, Joghurtbecher elektrisch zu verstärken. Und überraschenderweise, ja, „Love and Mercy“ von Bill Pohlad hat durchaus etwas zu bieten, was man von einer aus dem Inner Circle um das gezeichnete Genie in Auftrag gegebenen Arbeit nicht unbedingt erwarten durfte: relevante und stimmig erzählte Momente aus der Studioarbeit der Beach Boys in den mittleren 1960ern.

Die Erzählung, an der auch Oren Moverman beteiligt war, der mit Todd Haynes an dem vorbildlichen Dylan-Theorypic „I’m Not There“ gearbeitet hat, läuft auf zwei Ebenen. Ebene eins erzählt von den späten 80er und frühen 90er Jahren.

Wilson wird seit über einem Jahrzehnt von dem ihn nach Strich und Faden, finanziell und psychologisch ausbeutenden Psycho-Guru Eugene Landy nahezu gefangen gehalten. Dafür wurde er zwar physisch etwas stabiler und psychisch so berechenbar, dass er wieder arbeiten konnte, doch der diabolische Dr. Landy sicherte sich Tantiemen und Songwriterrechte.

John Cusack als glaubwürdiges Pharmaopfer

Wilson leidet noch heute unter den Folgen der überdosierten Psychodrogen. Wäre nicht die aufopferungsvoll liebende Melinda Ledbetter in sein Leben getreten und hätte es dem Doctor mit ihrem dermaßen auf dem rechten Fleck sitzenden Herzen gezeigt! Sie alarmiert Brians Bruder Carl, und schließlich werden in – im Film aber nur fürs Happy End erwähnten und nicht gezeigten – Prozessschlachten die Copyrights zurückgewonnen, und Landys Patientenmissbrauch wird so genau dokumentiert, dass er seine Zulassung als Psychiater verliert. Dieses all American beauty vs. Evil-shrink-Drama wäre unerträglich ohne den Erfindungsreichtum, mit dem sich John Cusack als Pharmaopfer immer neue Tics und Manierismen ausdenkt.

Die zweite Ebene schildert die Mid-Sixties: der musikalische Abenteurer im Kampf gegen den Republikaner-Cousin Mike Love, der die Beach Boys auf ewig als Surf- und Fun-Kapelle fixieren will, und den Prügel-Vater, der dasselbe und Schlimmeres will. Die Tatsache, dass das zweite Meisterwerk ("Smile“), auch wegen dieser Konstellation nie vollendet werden konnte, hat schon in den frühen Tagen des CD-Zeitalters dazu geführt, dass den mittlerweile geschichtsbewussten Fans jede Menge Outtakes, Varianten, angefangene Stücke und anderes Material aus den Sessions zu „Pet Sounds“ und „Smile“ angeboten wurden und immer neue, „vollständigere“ historisch-kritische Editionen der Beach-Boys-Klassiker auf den Markt kamen: Im Extremfall wurden aus einer LP fünf CDs.

Feinste Details

Aus diesem Material wurden nun die Bausteine der großartigen Studioszenen gewonnen. Als hätte man um die verschiedenen Versionen herum die Arbeitsschritte rekonstruiert, die in immer tieferen Verfeinerungen den Berg von weniger musikalischer als vor allem konzeptueller Komplexität hervorgebracht haben, von dem Brian dann irgendwann nicht mehr herunterkam.

Feine Details wie ein Arbeitsgespräch mit einem der zahllosen Sessionprofis, dem Schlagzeuger Hal Blaine, der mit jedem von Elvis bis Sinatra und Steely Dan gespielt hat und Brian für seine Ideen lobt, oder ein Plot, der um den Song „I Know There’s An Answer“ und dessen ursprünglichen, von Mike Love als zu intellektuell abgelehnten Text „Hang On Tor Your Ego“ kreist, vervollständigen eine Schilderung von Pop-Musik-Produktion, die sich mal nicht an Hits und Heroin aufhängt, sondern Arbeitsprozesse transparent macht. Es hilft, dass Paul Dano ein großartiger junger Brian ist und es genügend Vorbildmaterial aus Werbung und TV-Clips rund um die alten Beach Boys gibt, um ein variantenreiches, aber dennoch typisches Californian-Dream-Outdoor-Set zu bauen, von dem sich die Arbeitsphasen klar abheben.

Mithilfe der zahllosen charakteristischen Soundschnipsel aus den Session-Outtakes ist es sogar gelungen, die akustischen Halluzinationen und Soundalbträume einigermaßen plausibel und klanglich anregend zu gestalten, über die Wilson damals geklagt hat und die seiner brillanten Studiokunst schließlich eine Grenze gesetzt haben. So könnte man sich hier über ein zum Leben erwecktes, längst verstorbenes Genre freuen, wenn da nicht auch der offizielle Teil wäre: Die von ihr selbst koproduzierte Heiligsprechung der Frau Wilson, die man sich irgendwie als Nachfolgerin von Dr. Landy vorzustellen nicht umhinkann.

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1 Kommentar

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  • Wenns nicht gerade um Politik geht, findet man in der Taz gelegentlich solch wirklich gut geschriebene Artikel!