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Film „Dahomey“ über RaubkunstKönig Ghezo spricht

Berlinale-Gewinner: Mati Diops Film „Dahomey“ nimmt sich Restitutionsfragen mit magischem Dokumentarismus an.

Filmszene aus „Dahomey“ Foto: Mubi

Mati Diop arbeitet mit ihren Filmen daran, eurozentrische Vorstellungen und Perspektiven zu sprengen. In ihrem in Cannes mit dem großen Jurypreis ausgezeichneten ersten Spielfilm „Atlantique“ verlassen senegalesische Bauarbeiter, die monatelang keinen Lohn bekommen haben, ihre Heimat, um sich über das Meer auf die Suche nach einem besseren Leben zu machen.

Doch entwickelt sich der Film nicht zu einem klassischen Fluchtdrama, sondern bleibt bei den zurückgebliebenen Frauen in dem Vorort von Dakar. Ein brennendes Ehebett, eine Fieberwelle und plötzlich grätscht in den dokumentarisch anmutenden Stil die senegalesische Geisterwelt, in der sich die Angst der Hinterbliebenen und die globalen Ungerechtigkeiten materialisieren.

Eröffnete die französisch-senegalesische Regisseurin in „Atlantique“ durch den Einbruch des Übernatürlichen einen Assoziationsraum, begleitet ihren neuen Film „Dahomey“ eine Art magischer Dokumentarismus. Diop folgt darin 26 Kunstschätzen aus dem Königreich Dahomey, die 1892 zusammen mit Tausenden anderen Gegenständen von den französischen Kolonialtruppen geplündert wurden, zurück in ihr Herkunftsland, die heutige Republik Benin – eine Initiative von Emmanuel Macron im Jahr 2021.

Magisch macht den experimentellen Dokumentarfilm, dass Diop der Statue des Königs Ghezo, einen 220 Kilogramm schweren Koloss aus bemaltem Holz, Metall und Fasern mit der Restitutionsnummer 26, Leben einhaucht.

Der Film

„Dahomey“. Regie: Mati Diop. Frankreich/Senegal/Benin 2024, 67 Min.

Das Befinden der Statue

König Ghezos Abbild sinniert im Film zwischendurch immer wieder in Fon, einer der wichtigsten Sprachen Westafrikas, über sich, seine Situation, über Träume und die Heimreise. Seine Worte stammen von Makenzy Orcel, einem Schriftsteller aus dem karibischen Staat Haiti, der von Nach­fah­r:in­nen aus Afrika Verschleppter bevölkert ist.

Das imaginierte Befinden der Statue in der lange dem Englischen und Französischen untergeordneten Landessprache ist eine kulturelle Rückeroberung, zugleich macht Diop spielerisch einen Erfahrungs- und Gefühlshorizont auf: Was macht die Entwurzelung mit einem, welche Ängste sind damit verbunden? Was bedeutet Identität und wie verändert sie sich?

Im ersten Teil zeigt „Dahomey“, wie die Gegenstände in einem Pariser Museum für die Reise präpariert und verpackt werden. „130 Jahre Gefangenschaft gehen zu Ende“, sagt Ghezo, wie auf französischem Boden durchweg, vor komplett schwarzem Hintergrund – quasi aus der Dunkelheit der (auch sklavischen) Entwurzelung. Museumsmitarbeiter mit Coronamasken packen die Kunstschätze mit größter Sorgfalt und Akribie in große Holzkisten.

In Benin angekommen, werden die Kunstwerke mit Gesang und Straßentanz empfangen. Es sind stimmungsvolle Aufnahmen, mit denen Diop die Menschen in der Stadt Cotonou einfängt, dem ökonomischen und kulturellen Zentrum Benins, in dem ein Museum für die Schätze errichtet wurde.

Wesentlich dazu beiträgt auch der experimentelle, teils mit dem Sakralen liebäugelnde Soundtrack, den Wally Badarou und der Experimentalmusiker Dean Blunt komponiert haben. Auf eine politische Entourage, die das Museum besucht, folgen Bilder von vor allem auch jungen Menschen und Kindern, die staunend vor der buchstäblich wiedergekehrten Landesgeschichte stehen.

Teilnehmer nach Positionen gecastet

Bereits im musealen Kontext klingt die westliche Arroganz durch jene Diskussion an, ob denn Länder des Globalen Südens bei Restitutionen überhaupt in der Lage seien, für die nötigen Bedingungen zu sorgen. Die Breite der Debatte fängt Diop schließlich während einer Diskussion von Studierenden an der Université d’Abomey-Calavi ein. Auch hier reizt die Regisseurin die Grenzen des Dokumentarischen bewusst aus, denn die Diskussionsrunde wurde von ihr ins Leben gerufen und die Teilnehmenden aufgrund ihrer diskursiven Positionen gecastet.

Eine Studentin sagt, die Kunstfertigkeit ihrer Vorfahren hätte ihr die Tränen in die Augen getrieben. Ein anderer meint, es sei eine Beleidigung, dass nur 26 von über 7.000 Werken zurückgegeben wurden und dass Frankreich das nicht für Benin, sondern für die eigene Publicity getan habe. Die hitzige Diskussion wendet sich vom Materiellen immer stärker dem Immateriellen zu, wenn vom kolonialen „Seelenraub“ die Rede ist oder davon, dass die eigene Kultur in fremden Sprachen gelehrt wurde.

In sportlichen 67 Minuten gelingt es „Dahomey“ so konzentriert wie experimentell, die Folgen des Kolonialismus und die Komplexität der Restitutionsdebatten vor Augen zu führen. Auf der Berlinale gab es dafür im Februar den Goldenen Bären.

„Dahomey“ kapert den in eurozentrischer Schieflage befindlichen Diskurs um Restitutionen, indem er nicht über Menschen aus der ehemaligen französischen Kolonie spricht, sondern mit ihnen, ja: indem er genau das vielschichtig auf die Spitze treibt, wenn er kulturelle Erzeugnisse zum Sprechen bringt, anstatt westliche Politiker. Wenn Ghezos brummende Stimme in Benin ertönt, dann trotz aller Narben nicht mehr aus der Dunkelheit.

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