Film „Babylon“ über frühes Hollywood: Tonfilm essen Kinoseele auf
Mit dem Film „Babylon – Rausch der Ekstase“ beschwört Damien Chazelle die letzten Tage der Stummfilmära in Hollywood. Er zeigt sie als endlose Party.
Das Kino stirbt. Mal wieder. Mit schöner Regelmäßigkeit wird das Ende der 7. Kunst beschworen. Erst war es das Fernsehen, dann die VHS-Kassette, später DVD und Blu-Ray. Aktuell ist es das Streaming, das das Kino endgültig zerstören soll. Nimmt man die durch die Coronapandemie noch frappierender gewordenen Probleme hinzu, kann man leicht zum Schluss kommen, dass es dem Kino, zumindest dem, das eine Spur anspruchsvoller und ambitionierter ist als Marvel und DC, lange nicht so schlecht ging wie im Moment.
Vielleicht ist es diese Stimmung, die momentan viele Regisseure zu nostalgischen Blicken auf die große Zeit des Kinos verleitet und zu Beschwörungen der Magie von Filmkunst, zum Hochhalten des Kinos als besonderem Ort, an dem Dinge passieren, die auf dem eigenen Sofa, bei Netflix oder Amazon Prime nicht passieren können.
Steven Spielberg hat mit „The Fabelmans“ einen Film darüber gedreht, wie er das Kino als Flucht vor der Wirklichkeit entdeckte. In „Empire of Light“ beschwört Sam Mendes ein Kino, besser: ein Lichtspielhaus als Ort, an dem eine verbotene Liebe wachsen kann. Doch am weitesten geht Damien Chazelle in seinem überbordenden und exzessiven, aber auch naiven und nostalgischen „Babylon – Rausch der Ekstase.“
Der Titel des dreistündigen Epos verweist dabei weniger auf das antike Babylon und seine vielbeschworenen hängenden Gärten als auf Kenneth Angers Buch „Hollywood Babylon“, eine Sammlung von mehr oder eher weniger wahren Geschichten über das ausschweifende Leben der Stars der Stummfilmära. Mit einer orgiastischen Party beginnt dann auch „Babylon“, einem exzessiven Fest voller Drogen, Alkohol, Sex, Elefanten, Zwergen und was sonst dazugehört.
„Babylon – Rausch der Ekstase“. Regie: Damien Chazelle. Mit Brad Pitt, Margot Robbie u. a. USA 2022, 188 Min.
Hier treffen die drei Hauptfiguren zum ersten Mal aufeinander: Der smarte Jack Conrad (Brad Pitt), einer der großen Stars des Stummfilms, die laszive Nellie LaRoy (Margot Robbie), die unbedingt ein Star werden will, und der mexikanische Migrant Manny Torres (Diego Calva), eine Art gutes Gewissen des Films.
Kein Paradies währt ewig
In losen Episoden beschreibt Chazelle nun das Leben des Trios in der späten Stummfilmära, eine Phase des Kinos, die – zumindest in Chazelles Vision – von absoluter künstlerischer und sexueller Freiheit geprägt war. Da jedoch kein Paradies ewig währt, muss auch dieses enden, und zwar in Gestalt des Tonfilms. Plötzlich muss Ruhe auf dem Set herrschen, auf einmal reicht es nicht mehr, ein expressives Gesicht zu haben, auch eine angenehme Stimme ist nun nötig.
Nicht von ungefähr hört sich diese Geschichte sehr bekannt an, und Chazelle macht auch keinen Hehl daraus, dass er sich deutlich an einen der großen Hollywood-Klassiker anlehnt: „Singin’ in the Rain / Du sollst mein Glücksstern sein“ diente als Blaupause für „Babylon“, fast könnte man Chazelles Film ein Remake des Musicals nennen, nur in Form einer Tragödie: Jack Conrads Stern sinkt, Nellies Exzesse fordern ihren Tribut, selbst Manny lässt sich zum Spielball des Systems machen und nimmt bald Reißaus.
Den Untergang einer Ära will Chazelle beschwören, stellt das Stummfilmsystem gegen die Anfänge des Tonfilms, Freiheit gegen Zwang. Doch mit dieser Dichotomie macht er es sich zu einfach, unterschlägt den Rassismus und Sexismus, der nicht nur in Hollywood immer mitschwang, idealisiert eine Welt, in der zwar großes Kino entstand, aber zu einem hohen Preis.
Das Kino mit dem Blick zurück retten?
Zum Ende von „Babylon“ führt eine Montagesequenz ins Kino der Gegenwart, evoziert Chazelle auf fraglos berührende Weise die Magie des Kinos als Ort, an dem Menschen zusammenkommen und gemeinsam atemberaubende Bilder sehen und erleben. Chazelle liebt das Kino, glaubt an seine Kunst, hofft vielleicht sogar darauf, das Kino mit einem Film wie „Babylon“ retten zu können, aber sein Blick scheint weniger in die Zukunft dieser Kunstform gerichtet zu sein als in ihre Vergangenheit.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Babylon“
In seinem größten Erfolg, „La La Land“, gibt es eine Szene, in der der von Ryan Gosling gespielte Jazzmusiker gefragt wird, wie er denn gedenkt, den Jazz zu retten: „Wie kann jemand ein Revolutionär sein, der so traditionell denkt?“
Ähnliches ließe sich über Chazelle selbst sagen, der nun schon seinen dritten Film in Folge gedreht hat, der entweder wie „La La Land“ in einer hyperstiliserten Fantasiewelt spielt oder wie „First Man – Aufbruch zum Mond“ und nun „Babylon“ gleich in der Vergangenheit. Und vor allem in Phasen der Vergangenheit, in denen Dinge geschahen, die in der Erinnerung idealisiert und verklärt wurden. Im einen Fall die Eroberung des Mondes, im anderen eine Ära Hollywoods, die längst Legende ist.
Je mehr man diese Phasen der Geschichte verehrt, je besser man sich in ihnen und mit ihren Anekdoten auskennt, desto mitreißender wirken die Filme, die Chazelle über sie gedreht hat. Ohne Nostalgie würden sie allerdings kaum funktionieren, was zur vielleicht entscheidenden Frage führt: Kann das Kino wirklich gerettet werden, indem seine Vergangenheit beschworen wird? Das wird nur die Zukunft zeigen.
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