Fifa und Weltpolitik: Gianni der Friedensengel
Die Weltfußballverband geriert sich gern als Friedensstifter. So richtig gut geklappt hat das in den vergangenen Jahren aber nicht.
B ali, 2022. Während des G20-Gipfels hat Fifa-Präsident Gianni Infantino die Gelegenheit, zu den Staatsoberhäuptern zu sprechen. Neben vieler warmer Worte über die Kraft des Fußballs, Menschen zu verbinden, macht er einen konkreten Vorschlag: ein Waffenstillstand für die Dauer des Turniers in Katar. „Der Fußball und die Weltmeisterschaft bieten Ihnen und der Welt eine einzigartige Gelegenheit für Einheit und Frieden“, sagte er. Und: „Vielleicht kann die aktuelle Weltmeisterschaft ein positiver Trigger sein.“ Da pell mir doch einer ein Ei, wird so manche*r Anwesende*r gedacht haben, dass wir da nicht selber drauf gekommen sind.
Dem selbstauferlegten Auftrag, Frieden in die Welt zu tragen, ist die Fifa unter Infantino nicht gerade näher gekommen. 2018 richtete Russland die WM aus, knapp vier Jahre später überfiel Putin die Ukraine. 2022 trug Katar den Wettbewerb aus, ein Jahr darauf beging die von Katar mitfinanzierte Hamas das Massaker an der israelischen Bevölkerung.
Gianni Infantino schrieb jüngst einen Brief an Israelis und Palästinenser*innen, in dem er in salbungsvollen Worten die Kraft des Fußballs beschwor. „Natürlich wissen wir, dass der Fußball nicht die Probleme der Welt lösen kann, aber er kann eine kleine Rolle spielen, indem er das Licht der Hoffnung bringt, auch wenn nur Dunkelheit zu warten scheint.“ Wenn Gianni Infantino nachts von sich selbst träumt, dann vermutlich als Kerze.
Die WM 2034 wird in Saudi-Arabien stattfinden. Es ist das Ergebnis eines politischen Manövers, das durch die Vergaben vorheriger Weltmeisterschaften alle Verbände bis auf Ozeanien und Asien von einer Bewerbung ausschloss. Das ist der tatsächliche Hintergrund, die WM 2030 auf drei Kontinenten stattfinden zu lassen.
Ausbaubare Vorstellungskraft
Unschwer, sich auszumalen, welche Reden Gianni Infantino schwingen wird, um diese Entscheidung zu begrüßen und zu begründen; vermutlich sitzt er schon wieder an einem seiner vielen Briefe an die einzelnen Verbände, in denen er – wie er es im Vorfeld der WM in Katar tat – gemahnt, sich auf den Sport zu konzentrieren und die Politik außen vor zu lassen. Wie es die Fifa selbst ja auch schon konsequenterweise auslebt: Angesichts der Proteste gegen die Austragung in Russland und Katar hat sie die Einhaltung von Menschenrechten zum Vergabekriterium erklärt.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf, der inzwischen Mitglied des Fifa-Councils ist, erklärte daraufhin, das zeige, „dass die Vergabe an Katar und vielleicht auch an Russland heute schwer vorstellbar wäre, so unkritisch und ohne Auflagen. Das hat sich geändert, der Sport und die Politik.“ Das ist jetzt ein Jahr her. Die Vorstellungskraft des Bernd Neuendorf hat sich in der Zwischenzeit erheblich erweitert. Fragen dazu, wie ihm das gelungen ist, hat er bisher nicht beantwortet.
Derweil wird über die Situation der Wanderarbeiter, die die Stadien in Katar gebaut haben, kaum noch gesprochen. Vor einem halben Jahr berichtete Human Rights Watch, dass Kompensationen ausstünden, Löhne noch nicht ausgezahlt seien. Die Fifa schweigt, obwohl Infantino einst klargemacht hat, er könne die Situation der Arbeitsmigranten besser verstehen als viele andere. Schließlich sei seine Familie damals von Italien in die Schweiz ausgewandert.
All das ist nichts Neues. Aber trotz dieses unglaublichen Haufens Pferdescheiße, der bei jedem neuen Statement aufgetürmt wird, ändert sich nichts. Es gibt wohl nur noch eine Hoffnung für den Fußball: Wenn Elon Musk auf die Idee käme, eine WM auf dem Mond auszutragen.
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