Fifa Technical Study Group: Den Ball immer schön flach halten
Die Fifa beschäftigt eine Expertenkommission, die die WM sportlich evaluieren soll. Doch ihre Befunde sind entweder profan oder bleiben im Dunkeln.
Es ist die höchste fußballwissenschaftliche Instanz des Weltfußballverbands, die nur wenige Tage nach Turnierbeginn in den Katakomben des Maracanã-Stadions auf die Bühne gebeten wird. Die Rahmenbedingungen für die Vorstellung der Fifa Technical Study Group (TSG) könnten kaum besser sein – der Pressekonferenzbereich nimmt sich wie ein Unihörsaal aus.
Seit 1966 gibt es diesen Turnierbeobachtertrupp zwar schon, aber niemand kennt ihn. Der Name des Co-Trainers von Honduras dürfte besessenen Fußballfans geläufiger sein. Dabei hat diese Gruppierung, wie es Fifa-Organisationseinheiten zu eigen ist, hehre Ziele. Ihr prominentester Vertreter ist Gérard Houllier. Der einstige französische Coach sagt: „Es geht um die stetige Weiterentwicklung des Fußballs.“
Zwölf weitere Experten, ehemalige Nationalspieler oder Trainer, gehören dem Team an. Sie kommen unter anderem aus Hongkong, dem Sudan, aus El Salvador und Finnland. Warum derzeit kein brasilianischer Vertreter in der Kommission sitzt? Die waren wegen anderer WM-Verpflichtungen alle verhindert, erklärt die Fifa-Sprecherin Delia Fischer bedauernd. Jedenfalls: Mit Sonderberichten über den fußballerischen Entwicklungsstand jedes Fifa-Turniers wolle man auch für ärmere Nationen allgemein zugängliches Wissen schaffen, das Trainern und Trainerausbildern weiterhelfen soll.
Ein interessanter Fortschrittsglaube, den die Fifa da im Gewande der Wissenschaft verkaufen will: Der Fußball soll wie ein technisches Produkt optimiert werden, auf dass in fünfhundert Jahren alle Drittligakicker so gut wie einst Zidane spielen können? Unweigerlich denkt man auch an die interplanetarischen Wettbewerbe der Zukunft, über die Fifa-Präsident Sepp Blatter neulich schwadroniert hat.
Prognosen nur für die Gegenwart
Aber irgendwie verfängt diese nun vorgestellte Fifa-Vision nicht recht. Denn die Fragesteller sind momentan so gnadenlos gegenwartsbezogen. Houllier wird um seine Expertise gebeten, warum bei dieser WM so viele Tore fallen. Er gibt gerne Auskunft. Schließlich lässt sich auch der bisherige Turnierverlauf vortrefflich als Fortschritt verkaufen. 15 statt 5 Treffer nach vier Spielen: beeindruckende Wachstumszahlen. Der Abschlussbericht wird indes erst einem Monat nach dem Finale vorliegen.
Aber erste Prognosen traut er sich dennoch zu. „Es wird eine WM des Offensivfußballs werden“, sagt er. „Die Mannschaften, die mehr riskieren, werden gewinnen.“ Was aber erklärt diesen Wandel? Viele Teams wie Kroatien oder Holland, sagt Houllier, würden dieses Mal mit zwei Angreifern agieren. Es zeichne sich eine Abkehr vom 1-Mann-Sturm ab. Brasilien attackiere gar mit drei Stürmern. Dass die Holländer, die bislang für das größte Torspektakel gesorgt haben, ihre Stürmerzahl von drei auf zwei reduziert haben, erwähnt er nicht.
Die Außenverteidiger, stellt Houllier fest, würden im Offensivspiel vieler Teams eine bedeutsamere Rolle einnehmen. Die Qualität der Stürmer sei zudem besser geworden. Zumal sie davon profitierten, dass die Schiedsrichtern sie besser schützen. So wie etwa der Brasilianer Fred, der beim Eröffnungsspiel nach einer sanften Berührung wie vom Schlag getroffen zu Boden fiel?
Geschwindigkeit und Geschick
Etwas schlicht ist dieses rosarote Bild, das Houllier da zeichnet. Und seine Erkenntnisse, dass die Teams im Vorteil sind, die über junge Spieler verfügen, die Geschwindigkeit und technisches Geschick miteinander verbinden können, sind nun wahrlich wenig exklusiv. Im Grunde könnte man die gegenwärtigen Entwicklungen genauso als rückschrittliches Defensivspiel interpretieren. Obendrein entkräftet er sein Lob des Systemwandels später selbst, als er dies erklärte: „Das System ist nicht entscheidend. Man muss den besten Stil finden, der für die Art der Spieler passt, die man zur Verfügung hat.“
Kurzum, die ersten Eindrücke, die Houllier als Vertreter der Technical Study Group zum Besten gab, waren recht oberflächlicher Natur und wenig instruktiv. Gut, eine fundierte Expertise wäre zu diesem Zeitpunkt gewiss auch etwas viel verlangt gewesen. Auffällig ist jedoch, dass dieses Fifa-Gremium sich stets so sehr auf die Zukunft kapriziert.
Man hätte überdies gern erfahren, was man bislang der TSG zu verdanken hat. Wo die Früchte ihrer Arbeit liegen? Mit den wesentlichen neueren Veränderungen des Spiels (Torlinienkamera) hat diese Gruppierung nichts zu tun. Diese werden mehr oder minder spontan nach Bauchgefühl von der Fifa-Spitze durchgesetzt. Die TSG scheint eher eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu sein. Wobei auch das im Falle von Houllier eigentlich nicht nötig wäre. Der Mann ist auch noch Global Sports Director für die Fußballvereine der Red Bull GmbH.
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