: Fidels liebste Troubadoure
■ „Mein Stift gibt keine Tinte mehr“: Zwischen Altersgebrechen und Unsterblichkeit dokumentiert Lágrimas Negras– Schwarze Tränen den bewegten Alltag der Salsa-Veteranen der Vieja Tova Santiaguera
„Heute gibt mein Stift keine Tinte mehr“, meint Aristoteles Limonta, Sänger der Vieja Trova Santiaguera auf die Frage, ob er tatsächlich sieben uneheliche Kinder habe. „Hauptsache, er schläft nachts zuhause“, meint die Ehefrau, mit der der 87-jährige Schwerenöter fünf Kinder hat. Inzwischen blickt der greise Kontra-bassist milde und zufrieden auf seine Vita zurück. Und auf Kuba.
Dort hat die niederländische Regisseurin Sonia Herman Dolz sechs Wochen lang das swingende Altherren-Quintett begleitet bis zu dessen ersten Auftritten in London. Das Ergebnis sind die 75 Minuten Lágrimas Negras – Schwarze Tränen, benannt nach dem tieftraurigen Bolero von Miguel Matamoros und dessen Refrain „Schwarze Tränen wie mein Leben.“ Dabei klingt das Leben der fünf Altersweisen überhaupt nicht schwarz; jedenfalls nicht das, was in ihren Erzählungen und Legenden davon übrig bleibt. „Ich bin in mein Leben verliebt“, erklingt dann auch im Falsett eine Ballade.
In Santiago de Cuba sind sie aufgewachsen, im Osten der Insel, der Brutstätte des klassischen Son. Sagt man. Und können alles erzählen, was alternde Musiker wie der Buena Vista Social Club so von sich berichten: Schon als kleine Jungs haben sie immer unter der Dusche gesungen. Und später während der Arbeit, als sie als Schaffner, Maler oder Tischler das tägliche Brot verdienten. Sie spielten in unterschiedlichsten Formationen, versuchten auf Sylvester-Feiern ein paar Pesos zu machen.
Die Revolution und Castro änderten alles: sie wurden von den Behörden als Musiker der A-Kategorie eingestuft und ihnen stand damit ein fester Lohn zu. Tanz den Fidel! Im legendären Caféhaus Casa de la Trova tummelten sie sich in Gruppen wie dem Cuarteto Patria oder dem Duo Los Compadres. Wehmütig und fast zärtlich blicken die fünf auf ihre Heimat: „Für mein Land würde ich durch die Hölle und tiefe Gewässer gehen!“. Und das obgleich sie die Insel der Revolution nie verließen, bis sie 1994 erstmals für eine TV-Dokumentation als Quintett auftraten. Als dann die Regierung Auslands-Dollar von Musikern nicht mehr einkassierte, wurde ein spanisches Label auf die agile Formation aufmerksam und produzierte ihr erstes Album. Auftritte auf der Iberischen Halbinsel werden gefeiert und die fünf Son-Helden auf ihre alten Tage zu Vielfliegern.
In Sonia Dolz Dokumentation Lágrimas Negras haben die fünf Gentleman zwar Mühe die Bühne zu besteigen, doch bei den ersten Klängen schwingen sie die Hüften und tanzen den Chachachá. Sie genießen den späten Erfolg auf der Bugwelle der allgemeinen Latino- und Salsa-Begeisterung derart, dass sie sehr milde auf ihr swinging life in Kuba zurückblicken, auf diese Melange aus großen Zigarren, schwerem Rum und wunderschönen Frauen. Diesem Blickwinkel schließt sich auch die Regisseurin Sonia Dolz an: Ein Kuba, wie es kein Klischee besser erschaffen könnte, eine charmant dahinwelkende Schönheit. Der Putz blättert, die Cadillacs rosten, das Volk tanzt. Vielleicht ist Kuba arm, aber unglaublich wahrhaftig.
Selbstzufrieden kann Sänger Reinaldo Hierrezuelo am Grab der Eltern sprechen: „Ruhet in Frieden, die Kinder ziehen um die Welt und lehren eure Traditionen.“ Und der Flieger startet von Santiagos Airport unter der Obhut eines Che-Guevara-Konterfeis. Volker Peschel
ab Do, 18. Mai, 20.30 Uhr, 3001
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