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Rassismus in WilhelmshavenKind stirbt bei mutmaßlichem Brandanschlag

Bei einem Feuer in einem Mehrfamilienhaus in Wilhelmshaven starb ein vierjähriges Kind. Die Familie hatte zuvor rassistische Anfeindungen erlebt.

Das Geschäft brannte aus, die Schmetterlinge blieben unversehrt: das Haus, in dem das Kind umgekommen ist Foto: Sina Schuldt/dpa

Bremen taz | Bei einem Brand in einem ausschließlich von Menschen mit jüngerer Zuwanderungsgeschichte bewohnten Haus in Wilhelmshaven starb in der Nacht auf Montag ein vierjähriger Schwarzer Junge. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Brandstiftung, wie die Polizei Wilhelmshaven am Dienstag mitteilte.

„Nach derzeitigem Ermittlungsstand wurde Unrat und Sperrmüll im Eingangsbereich des leerstehenden Geschäftes im Erdgeschoss eines Wohngebäudes in Brand gesetzt“, heißt es in der Pressemitteilung. Der sechsjährige Bruder des toten Kindes sei noch in kritischem Zustand, seine 37-jährige Mutter und ihre weiteren vier Kinder zwischen sieben und 18 Jahren seien außer Lebensgefahr.

Die drei Kinder zwischen sechs und neun Jahren befänden sich in Kliniken in Oldenburg, Bremen und Düsseldorf. Die Mutter sowie ihre beiden 16 und 18 Jahre alten Töchter waren gemeinsam in einer weiteren Klinik. Unklar war am Dienstag, wer von ihnen wieder entlassen werden konnte.

In der Dachgeschosswohnung soll sich noch eine weitere erwachsene Person aufgehalten haben, die wie alle Mitglieder der aus Westafrika stammenden Familie von der Feuerwehr aus der Wohnung gerettet werden musste. Die anderen acht Personen, die sich in der Nacht in ihren Wohnungen im ersten und zweiten Stock aufhielten, habe die Feuerwehr auf der Straße vor dem jetzt unbewohnbaren Haus angetroffen, teilte eine Sprecherin der Stadt Wilhelmshaven mit. Zwei von ihnen seien ebenfalls im Krankenhaus behandelt worden.

Von anderen Hausbewohnern angefeindet

Besonders tragisch: Eigentlich hätten die Kinder – ob alle oder nur die jüngsten, ist unklar – in jener Nacht bei ihrem Vater schlafen sollen, doch der habe sie nicht rechtzeitig abholen können, weil sein Auto kaputt war. Das erzählt Jessica O­bame, Gründerin der Afrika Union Wilhelmshaven, der taz. Denn die Mutter habe eigentlich für den geplanten Umzug in eine neue Wohnung packen wollen, die sie ab Juli gemietet hat.

Einer der Gründe für ihren Auszug: Anfeindungen durch die anderen Haus­be­woh­ne­r:in­nen und immer wieder Probleme mit der Hausverwaltung wie eine nicht funktionierende Heizung im Winter. Der mittlerweile abgelöste Hausverwalter habe sich der Frau gegenüber rassistisch verhalten und sie schikaniert, erzählt Jessica Obame.

„Das hat sie immer wieder gesagt, sie wollte dort raus.“ Dabei habe sie erst ein Jahr in der Wohnung in der Marktstraße gelebt. Auch in einer anderen Wohnung habe sie es nur ein Jahr aushalten können, nachdem sie vor zwei Jahren nach der Trennung vom Vater der Kinder nach Wilhelmshaven gezogen sei.

Diese Stadt, rund 100 Kilometer nordwestlich von Bremen gelegen, sei kein guter Ort für Schwarze Menschen, sagt Wilma Nyari, in den 80ern Mitgründerin des Vereins „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ und jetzt unter anderem engagiert am „Runden Tisch Kolonialisierung / Dekolonialisierung“ in Wilhelmshaven.

Eigentlich hätten die Kinder in jener Nacht bei ihrem Vater schlafen sollen

Vor zehn Jahren ist sie dort aus Frankfurt hingezogen und sagt, der Rassismus, den sie und andere Schwarze Menschen in der 79.000-Einwohner:innen-Stadt erleben würden, sei in dieser Zeit schlimmer und häufiger geworden.

„Das hat mit Wilhelmshaven zu tun, aber auch mit dem allgemeinen Klima in Deutschland“, sagt sie. Im Stadtrat sitzen drei AfD-Abgeordnete; bei der jüngsten Bundestagswahl hatte die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte Partei im Wahlkreis mit 20,2 Prozent den höchsten Stimmenzuwachs (plus zwölf Prozent) gegenüber der Wahl 2021.

Wilma Nyari und Jessica Obame können viele Geschichten erzählen, wie Schwarze Menschen in Wilhelmshaven verbal oder tätlich angegriffen wurden, wie sie und ihre Kinder herabwürdigendes Verhalten erlebt haben.

Vor anderthalb Jahren berichtete die taz darüber, wie der damals neunjährigen Tochter von Jessica Obame von sechs Erwachsenen, darunter zwei Po­li­zis­t:in­nen und zwei Eltern von Mitschülerinnen, ins Gewissen geredet wurde, weil sie sich und eine Freundin angezogen in den Umkleideräumen der Schulturnhalle fotografiert hatte. Ihre Mutter war nicht informiert worden; die machte sich Sorgen, weil das Kind nicht nach Hause kam. „Das war kein Rassimus“, habe es hinterher geheißen, wie jedes Mal, wenn so etwas passiere, sagt Jessica Obame.

Nyari wartet auf den Abwehrreflex

Auch jetzt nach dem mutmaßlichen Brandanschlag warte sie auf diesen Abwehrreflex der nicht von Rassismus Betroffenen, sagt Wilma Nyari. Allerdings gebe es auch viel Solidarität mit der Familie. „Die haben nicht nur das Kind, sondern auch alles andere verloren“, sagt Nyari. Sie habe einen Spendenaufruf gestartet und hoffe auf eine von der Stadt mitgetragene Gedenkveranstaltung.

Am Dienstag Nachmittag warnte die Polizei vor einer anderen Spendenaktion einer angeblichen Verwandten der Familie. Diese sei ohne Wissen der Familie initiiert worden, die Polizei ermittle wegen des Verdachts auf Betrug.

Die Polizei rief auch zu Zeugenaussagen auf. Erste Befragungen hätten Hinweise auf einen silberfarbenen Kleinwagen ergeben, der sich zur Brandzeit zwischen zwei und 2.15 Uhr in der Nähe aufgehalten haben soll.

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