Festnahmen in Istanbul: Spaziergang endet im Knast
Fast alle führenden Aktivisten der Taksim-Plattform wurden festgenommen. Montagnacht verbreiteten bewaffnete Islamisten Angst unter den Demonstranten.
ISTANBUL taz | Die türkische Polizei hat in Istanbul fast alle führenden Leute der Taksim-Plattform festgenommen. Insgesamt 30 Mitglieder von verschiedenen Bürgerinitiativen und Berufsverbänden, die zusammen die Taksim-Plattform bilden und von denen die Besetzung des Geziparks Ende Mai ausging, waren am Dienstagmittag noch in Polizeigewahrsam. Sie waren am frühen Montagabend festgenommen worden, als sie den offiziell wiedereröffneten Gezipark am zentralen Taksimplatz betreten wollten.
Am Montag hatte der Gouverneur von Istanbul, Avni Hüseyin Mutlu, unter großem Presserummel den Park feierlich wiedereröffnet, nachdem er drei Wochen lang seit der Räumung des Geziparklagers nur von Polizisten und Gärtnern betreten werden durfte.
Doch die Öffnung des Parks erwies sich als Bluff. Als die Taksim-Plattform am frühen Abend ebenfalls im Park spazieren gehen wollte, erklärte die Polizei die Grünanlage wieder für geschlossen. Gleichzeitig wurden die Mitglieder der verschiedenen BIs und andere vormalige Geziparkbesetzer als Teilnehmer einer „illegalen Demonstration“ festgenommen.
Auf Tausende weitere Besucher ging die Polizei mit Wasserwerfern, Tränengas und Plastikgeschossen los. Augenzeugen berichteten am Dienstagmorgen auf einer Pressekonferenz, dass die Polizei am Montagabend in ganz Beyoglu eine Hatz auf vermeintliche oder tatsächliche Demonstranten veranstaltete und insgesamt 80 Leute festnahm. „Die Polizei“, klagte ein Teilnehmer auf Twitter, „führt hier Krieg unter Ausschluss der Öffentlichkeit.“ Von den 80 Festgenommenen waren am Dienstagnachmittag nach 48 Leute in Haft, einschließlich der 30 BI-Mitglieder.
Erdogans Anhänger werden dagegen toleriert
Bewaffnete Anhänger von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sollen nach Informationen über Twitter, wie schon am Samstag, auch Montagnacht wieder aufgetaucht sein, allerdings seien sie von Mitgliedern des Besiktas-Fanclubs Carci in die Flucht geschlagen worden. Diese mit Messern und Knüppeln bewaffneten Islamisten verbreiten Angst und Schrecken unter friedlichen Demonstranten.
Mehrere Youtube-Videos zeigen, wie solche Schläger auf Demonstranten losgingen, ohne dass die anwesenden Polizisten eingriffen. Als dann am späten Samstagabend doch noch zwei mit Schlachtermessern bewaffnete Männer von der Polizei festgenommen wurde, ließ sie ein Richter am Sonntag gleich wieder gehen. Ganz anders geht es den festgenommenen Anti-Erdogan-Demonstranten. Etliche von ihnen sitzen seit Wochen in Untersuchungshaft, täglich werden es mehr.
Für Dienstagabend war im Gezi-Park eine Veranstaltung der regierenden AKP geplant, die das erste Fastenbrechen des Ramadan ausgerechnet dort begehen wollten. Allerdings hat die Gruppe „Linke Muslime“, die bei der Parkbesetzung aktiv war, ein alternatives Fastenbrechen im Park angekündigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag