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Festnahme in der Rigaer Straße in BerlinFragiler Frieden gefährdet

Die Polizei vollstreckt mit 350 Beamten zwei Haftbefehle. Der Einsatz kommt zu einer Zeit, als im Kiez gerade halbwegs Ruhe eingekehrt war.

Die Rigaer Straße 94 am Donnerstagmorgen Foto: dpa

Berlin taz | Kaum etwas erinnert am Freitagmittag noch an die Aufregung der letzten Tage. Drei Mannschaftswagen der Polizei parken nur ein paar Meter von der Kreuzung Rigaer Straße/Liebigstraße, dem sogenannten Dorfplatz. Über diesem geografischen Mittelpunkt der lokalen linken Szene kreiste am Morgen noch ein Hubschrauber – nicht zu überhörender Nachhall eines Polizeieinsatzes vom Vortag.

Donnerstagmorgen waren 350 Polizisten in die Rigaer Straße 94 eingedrungen, um einen Haftbefehl gegen einen 41-Jährigen zu vollstrecken. Der soll am 11. März einen 54-jährigen auf der Straße so schwer verletzt zu haben, dass der bis zur Bewusstlosigkeit gewürgte Mann mit mehreren Knochbrüchen ins Krankenhaus gebracht werden musste. Grund für den Zusammenstoß war offenbar ein Angriff auf den Hund des 41-jährigen.

Bei dem Einsatz wurde in der Rigaer 94 ein weiterer, mit Haftbefehl gesuchter Mann festgenommen. Die Polizeiaktion kommt zu einer Zeit, die durch eine relative Ruhe im Kiez gekennzeichnet war. Seit der letzten Eskalation im Sommer 2016, bei der die Räume der Kadterschmiede auf Verlangen des Eigentümers von einem großen Polizeiaufgebot geräumt wurden, war die Frequenz von Streifen und verdachtsunabhängigen Kontrollen über Monate sukzessive geringer geworden.

AnwohnerInnen bestätigten gegenüber der taz, dass es nach der, wegen fehlender Rechtsgrundlage rückgängig gemachten Räumung, spürbar weniger Spannungen im Kiez gab. Ungehalten zeigte man sich darüber, dass nun wieder wie zu Hochzeiten des Konflikts, die Kinder einer nahen Kindertagesstätte diese ohne Vorwarnung durch Polizeispaliere „praktisch nur durch ein Fenster“ betreten konnten. Währenddessen seien die am gegenüberliegenden Bäcker verweilenden Journalisten offenbar frühzeitig über den Einsatz informiert gewesen, den die Gewerkschaft der Polizei als „reibungslos und sehr professionell in einem nicht ganz einfachen Gebiet“ beschreibt.

Mobilisierung für neue Proteste

Für die vergangenen zwei Wochen berichten die Rigaer 94 und AnwohnerInnen übereinstimmend von steigender Polizeipräsenz. Anwohnerbefragungen und neben dem Haus abgestellte Einsatzfahrzeuge der Polizei, wie auch Kontrollen und Platzverweise werden von der Rigaer 94 als „Belagerung“ und als Provokation beschrieben. Am Mittwoch wurde laut Polizei ein Polizeifahrzeug mit Steinen angegriffen, wie auch in der Nacht zu Karfreitag.

Inwieweit der jüngste Einsatz eine neue Eskalationsstufe am Dorfplatz einläutet oder eine Rückkehr zum fragilen Frieden im Kiez möglich ist, wird sich zeigen. Seit einem gescheiterten Kaufangebot einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft für das umkämpfte Haus fehlt auch dem Senat eine nachhaltige Strategie für den Umgang mit den BewohnerInnen. Schon im Vorfeld der Festnahmen hatte die Rigaer 94 zu „Kaffee und Kuchen“ in die Grünanlage am Forckenbeckplatz geladen, um der gestiegenen Polizeipräsenz ihre „Kreativität entgegen zu setzen“. Diese Veranstaltung hat nun erkennbar höheres Mobilisierungspotential.

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7 Kommentare

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  • Hier ist deutlich zu erkennen, wie wenig unsere Staatsgewalt noch Rückhalt in der Öffentlichkeit hat.

     

    Wie sollte man das sonst nennen, wenn 350 Beamte gebraucht werden um zwei per Haftbefehl gesuchte Leute dingfest zu machen und abzuführen!

     

    Es ist doch ein Armutszeugnis für unseren Rechtsstaat, dass er so mit sich umspringen lässt.

    Egal aus welchen Gründen auch immer sich die menschen in der Rigaer 94 aufhalten, sollte der Aufenthalt gegen geltendes Recht verstoßen, muss der Staat dies unterbinden.

     

    Proteste, welcher Art auch immer, dürfen nicht geltendes Recht unterlaufen, sonst hat das Grundgesetz seinen lenkenden Charakter verloren.

     

    Wer mit diversen Vorgängen in diesem Land seine Probleme hat, ist zu jeder Zeit in der Lage sich durch angemeldete Demonstrationen Aufmerksamkeit zu verschaffen.

    Besetzungen von Liegenschaften, gewalterzeugende Kundgebungen und Anstiftung zu öffentlichem Ungehorsam mit Einsatz von Gewalt dürfen nicht toleriert werden, weder von Linken oder Rechten Gruppierungen darf der Staat dieses Verhalten tolerieren!

     

    Nach nun jahrelanger Toleranz mehr Einsatz zu bringen, verursacht erhebliche Konfrontationen bei derartigen Aktionen, wie jetzt erlebt.

     

    Es wird Zeit, dass es der Staat schafft, die Deutungshoheit über die gesetzlichen Grundlagen wieder zurück zu bekommen, ansonsten wird es immer schwieriger sich durchzusetzen!!!

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Und das bei einer linken Landesregierung. Tse tse tse

  • Der Frieden wird gefährdet, indem sich gesuchte Verdächtige in dem Haus aufhalten. Schuld ist der einzelne Gesuchte nicht die Polizei ode die Behörden.

    • @DiMa:

      "Schuld ist der einzelne Gesuchte nicht die Polizei ode die Behörden."

      Aja? Sie wissen bereits, dass der Gesuchte schuld sei?

      • @Uranus:

        Er hätte sich den Ermittlungsbehörden stellen können. Insoweit ist er Schuld am Einsatz der Polizei im Haus. Ob er sich der vorgeworfenen Tat schuldig gemacht hat, war nicht gemeint und ist Gegenstand des verfahrens.

  • Mir fehlt in dem Artikel der Hinweis auf den Grund der erhöhten Polzeipräsenz der letzten Tage. Laut anderen Berliner Medien gab es Flugblätter und persönliche Bedrohungen gegen die Nachbarn, keine (wahrheitsgemäßen) Angaben gegenüber den Strafverfolgungsbehörden zu machen.

    Dass es zudem realtiv sicher nicht von Notwehr oder Notstand abgedeckt ist, einen anderen Menschen bis zur Bewusstlosigkeit zu würgen und ihm mehrere Knochen zu brechen, sollte auch klar sein.

     

    Wer für das Ende des "fragilen Friedens" (der möglicherweise eher auf Einschüchterung beruhte?) veranwortlich ist, sollte also klar sein. Auch in der Rigaer Straße darf man Leuten nicht die Knochen brechen und Zeugen einschüchtern. Ggf. wird man das noch lernen müssen, wenn der Frieden weniger "fragil" werden soll.

    • @Dr. McSchreck:

      Dass die erwähnten Berliner Medien ihre Informationen NUR von der Pressestelle der Berliner Polizei erhalten, ist wohl Umstand genug, die Informationen anzuzweifeln. Die Aussagen mancher "Zeugen", das Opfer sei geschlagen oder gewürgt worden, bestätigt mittlerweile nicht mal der Geschädigte. Der ganze Vorgang dauerte höchstens eine Minute und begann, als das "Opfer" die Frau des Beschuldigten mit derselben Bierflasche bedrohte, mit der es vorher den Hund des Beschuldigten auf den Kopf geschlagen hatte.

      Die "Zeugen" wurden im Übrigen wohl deutlich mehr von Polizei und Staatsschutz beeinflusst als von ihren Nachbarn. Es sollten einigen sogar gegen deren Willen "Notfallhandys" mit direkter Verbindung zu den Behörden aufgedrängt werden. Und wenn jemand in einer Aussage den (nicht vorbestraften!) Beschuldigten als polnischen Hooligan bezeichnet, muss sich nicht wundern, wenn er Reaktionen aus der Nachbarschaft erntet, oder?