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Festnahme auf Bitten der TürkeiDas Ende einer Bildungsreise

Die spanische Polizei nahm Doğan Akhanlı gezielt in dessen Hotelzimmer fest. Das wirft Fragen auf – auch an die Bundesregierung.

Nach der Freilassung des Schriftstellers äußerte sich Sigmar Gabriel in Hannover zu dem Fall. Foto: dpa

Berlin taz | Gegen halb neun in der Früh nimmt die Reise von Doğan Akhanlı eine überraschende Wendung. Der Schriftsteller ist schon ein paar Tage in Spanien. Er besucht Granada, die Alhambra-Festung, das Weltkulturerbe; „wie ein klassischer deutscher Bildungsbürger“, sagt sein Anwalt Ilias Uyar. Der klassische Teil der Reise endet jedoch jäh, berichtet dieser, als es am Samstagmorgen an der Tür von Akhanlıs Hotelzimmer klopft und Polizisten mit schusssicheren Westen und Maschinenpistolen vor ihm stehen. Sie hätten den Auftrag, den Deutschen festzunehmen. Kurz darauf führen sie ihn über die Hotelflure ab.

Einen Tag und eine Nacht muss der Schriftsteller hinter Gittern verbringen – laut seinem Anwalt wegen eines Festnahmeersuchens, das türkische Behörden über Interpol verbreitet haben. Ein Gericht in Madrid ordnet nach einer Anhörung am Sonntagvormittag zwar an, Akhanlı freizulassen. Er darf das Land aber bis auf Weiteres nicht verlassen und muss sich einmal in der Woche bei der Polizei in Madrid melden. Das Auslieferungsverfahren läuft weiter. Wie es dem Schriftsteller damit geht? „Den Umständen entsprechend“, sagt Anwalt Uyar nach der Freilassung seines Mandanten im Gespräch mit der taz.

Der Fall Akhanlı zeigt, dass die Bedrohungslage für Kritiker der türkischen Regierung eine neue Stufe erreicht hat. In der Türkei selbst verhaften die Sicherheitsbehörden schon seit dem Putschversuch von 2016 Regierungsgegner. Gegenüber dem Ausland dringen sie auf die Auslieferung geflüchteter Türken, darunter Diplomaten und Militärs, die in Deutschland Asyl beantragt haben.

Und über Interpol verfolgen sie jetzt auch Kritiker, die seit Jahrzehnten im Ausland leben: Vor zwei Wochen nahm die spanische Polizei auf Bitten der Türkei schon den schwedisch-türkischen Autoren Hamza Yalcin fest. Jetzt folgte der deutsche Schriftsteller Akhanlı. Offizieller Grund für das Fahndungsersuchen ist ein Raubüberfall aus dem Jahr 1989. Ein Gericht sprach Akhanlı 2010 frei, Berufungsrichter kassierten das Urteil später aber. Der Folgeprozess begann im Juli 2013 in Abwesenheit des Angeklagten, der nicht noch einmal in die Türkei reisen wollte.

Theoretisch könnte das Interpol-Fahndungsersuchen aus dieser Zeit stammen. Dagegen spricht aber, dass der Schriftsteller nach Angaben seines Anwalts in den vergangenen Jahren nie von der Polizei behelligt wurde, auch nicht bei Reisen ins europäische Ausland. Hinzu kommt, dass Akhanlı in Granada nicht zufällig in eine Polizeikontrolle geriet, sondern zielgerichtet in seinem Hotelzimmer festgenommen wurde. Denkbar ist daher, dass türkische Behörden über den Spanienurlaub des Schriftstellers Bescheid wussten, in den vergangenen Tagen ein neues Auslieferungsersuchen stellten und den spanischen Behörden einen genauen Hinweis gaben.

Fragen an die Bundesregierung

Sein Anwalt will diesem Verdacht nachgehen und bereitet daher eine Anfrage beim Bundesamt für Justiz vor. Die Behörde ist in Deutschland für internationale Fahndungsersuche zuständig und muss daher wissen, seit wann die sogenannte Red Notice gegen Akhanlı im Interpol-System vorliegt.

Der Fall Doğan Akhanlı zeigt, dass die Bedrohungslage für Kritiker der türkischen Regierung eine neue Stufe erreicht hat

Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) schickte bereits am Samstag der Bundesregierung eine ähnliche Anfrage. Er will wissen, seit wann die Regierung von dem Fahndungsersuchen wusste – und warum sie nichts unternahm. „Warum wurde Doğan Akhanlı vor der drohenden Verhaftung nicht gewarnt? Was folgt aus dem Vorgang für den Schutz unserer Bürger?“, sagt er.

Immerhin: Komplett untätig war die Regierung nicht. Zumindest nach der Festnahme handelte sie. Am Samstagabend telefonierte Außenminister Sigmar Gabriel mit seinem spanischen Amtskollegen und setzte sich für den Festgenommen ein. Kurz nach dessen Freilassung äußerte sich Gabriel öffentlich. „Es wäre schlimm, wenn die Türkei auch am anderen Ende Europas erreichen könnte, dass Menschen, die ihre Stimme gegen Präsident Erdoğan erheben, in Haft geraten würden“, sagte er. Die spanische Regierung wisse sicherlich, um was es in dem Fall gehe.

Dem türkischen Präsidenten wird dieses Statement nicht gefallen. Er stritt sich übers Wochenende ohnehin schon mit dem deutschen Außenminister. Erdoğan hatte zunächst türkeistämmige Deutsche aufgerufen, bei der Bundestagswahl nicht für Union, SPD oder Grüne zu stimmen. Gabriel nannte das einen „einmaligen Eingriff in die Souveränität unseres Landes“. Erdoğans Antwort: Der deutsche Außenminister müsse seinen „Platz kennen“ und solle die Türken „nicht belehren“.

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9 Kommentare

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  • Das Bundesamt für Justiz (nicht Justizwesen) ist für Interpolfestnahmeersuchen nicht zuständig und hat darüber möglicherweise keine Kenntnis. Richtiger Adressat der Anfrage des Anwaltes wäre das BKA oder halt Interpol selbst. Auch eine Akteneinsicht in Spanien wäre erhellend.

    • Tobias Schulze , Autor des Artikels, Parlamentskorrespondent
      @DiMa:

      Justizwesen war falsch, danke für den Hinweis, ist korrigiert. Meines Wissens ist das Bundesamt aber sehr wohl (neben anderen) für Interpol-Ersuchen zuständig, siehe zum Beispiel hier in der Antwort auf Frage 11: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/005/1800548.pdf

      • @Tobias Schulze:

        Hallo Herr Schulze, aus dem verlinkten Dokument geht hervor, dass das BKA für die Zusammenarbeit mit Interpol zuständig ist (siehe u.a. Seite 2 letzter Absatz) und unter anderem das BfJ vom BKA eingebunden wird (siehe Seite 6 letzter Absatz).

         

        Siehe insgesamt auch: https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Aufgabenbereiche/InternationaleFunktion/IKPO/ikpo_node.html

        • Tobias Schulze , Autor des Artikels, Parlamentskorrespondent
          @DiMa:

          Definitionssache, eingebunden heißt für mich zuständig. Primär zuständig ist aber das BKA, das ist richtig.

          Die Anfrage ist jetzt aber wohl sowieso hinfällig, die Bundesregierung hat sich heute in der Regierungspressekonferenz umfangreich geäußert: Ihr lag keine neue Red Notice vor, sondern nur eine aus dem Jahr 2013, ohne Interpol-Hinweis auf einen möglichen politischen Hintergrund. Warum die Spanier jetzt gehandelt haben, ist damit immer noch nicht abschließend erklärt.

  • Selbst wenn die Bundesregierung Kenntnis von dem Interpol-Fahndungsersuchen der Türkei gewusst haben sollte, hätte sie Herrn Akhanlı nicht warnen müssen. Selbstverständlich darf die Bundesrepublik ihn nicht ausliefern aber da ist eine ganz andere Frage. Hier spielen sich Anwalt und Oppositionspolitiker gespielt auf und skandalieren wo es keinen Skandal gibt (und die taz spielt mit). Die Antwort auf die gestellte Frage ist jedenfalls unerheblich.

  • Jedes Land entscheidet selbst, wie es mit einer Red Notice von Interpol umgeht. Spanien hat enzschieden, mit dem Erdogan-Regime zu kooperieren. Der spanische Rechtsstaat hat Lücken, nicht nur bei der Verfolgung der Korruption, sondern vor allem, wenn es um den Umgang mit den Bestrebungen der nichtspanischen Regionen um Selbstbestimmung geht. Gibt es eine Kumpanei mit den Kurdenbekämpfern in Ankara?

  • Mit Ländern, die so lange unter einem Ausnahmezustand leben, sollten jegliche Rechtshilfeabkommen erst einmal aufs Eis gelegt werden.

    • @Fattyman:

      Auch Frankreich?

  • Na gut, aber erstmal liegt hier kein Fehler der EU-Staaten vor. Denn wenn die Türken den Mann wie einen normalen Kriminellen (Raubüberfall) zur Fahndung ausgeschrieben haben, dann liegt hier ein Missbrauch von Interpol seitens der Türken vor. Wer das verhindern will, der muss die Türken aus dem Interpol-System rausschmeissen.