Festival Theater der Welt in Mannheim: Aufgehen in der Dienstleistung

„Super Premium Soft Double Vanilla Rich“ von Toshiki Okada erlebte seine Uraufführung in Mannheim. Nun gastiert das Stück in Berlin.

Voodoo vor dem Tiefkühlregal? Szene aus „Super Premium Soft Double Vanilla Rich“. Bild: Christian Kleiner

Eine Eiswaffel. Existiert sie oder existiert sie nicht? Für die junge Frau, die fast immer um Mitternacht in den hell erleuchteten Supermarkt kommt, ist der Kauf existentiell, eine Errettung aus der Einsamkeit und der Dunkelheit. Für die schüchterne Aushilfsverkäuferin ist die Zufriedenheit der Kundin höchstes Ziel.

Und so verzweifeln beide, weil die Waffel nicht verkauft werden kann, denn das Lesegerät der Kasse erkennt sie nicht, weil sie aus dem Sortiment genommen wurde. Wie die eine vor Verlegenheit im Boden versinken möchte, weil die Kasse nicht piept, und die andere von der Bedrohung ihres letzten Glücks redet, ist einer der skurril-tragischen Höhepunkte in Toshiki Okadas Stück „Super Premium Soft Double Vanilla Rich“.

Auf dem Festival Theater der Welt in Mannheim wurde die Farce, in der Sinn und Glück des Lebens unvermeidbar an den Fluss der Waren gekoppelt sind, uraufgeführt; am 28. und 29. Mai beendet sie in Berlin die Reihe „Japan Syndrome - Kunst und Politik nach Fukushima“. Okada hatte zuvor zwei Stücke produziert, die unmittelbar die Reaktorkatastrophe reflektierten. Im Mikrokosmos des Supermarkts stand das jedoch erst mal nicht im Vordergrund, wie der Regisseur aus Tokio im Publikumsgespräch in Mannheim erzählte. Und dennoch spürt man ein Echo davon in dieser künstlichen und eingekapselten Welt, die nichts außerhalb ihrer selbst wahrzunehmen scheint.

Irgendwann sagt die Aushilfsverkäuferin, „Ich trete zurück“ und nimmt damit in größter Bescheidenheit und größenwahnsinnig zugleich Verantwortung und Schuld für die Unzufriedenheit der Kundin auf sich. Wie es dazu kommt, dass die Falschen zurücktreten, dass die Geduckten und Chancenlosen sich die Schuld aufbürden, damit nur ja alles weiterlaufen kann wie bisher, entfaltet Okada in 48 kleinen Szenen, begleitet von den 48 Musikstücken von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“.

„Super Premium Soft Double Vanilla Rich“ läuft im HAU Berlin am 28. und 29. Mai, 20 Uhr

Nur eine Karikatur?

Seine Schauspieler sind immer in Bewegung, begleiten ihre Sätze, ihr Schweigen, oder auch einmal die Auflistung der Waren mit Übungen, die immer nur markiert wirken, gebremst, verlangsamt. Ebenso wie die Musik verstärkt dies den Eindruck des Artifiziellen. Einerseits glaubt man, in ein Trainingslager zu blicken, einen Wettbwerb um das perfekteste Aufgehen der eigenen Person in der Dienstleistung. Andererseits ist man sich nie sicher, ob das alles nicht nur eine Karikatur der Realität ist. Seine Geschichten auf parallelen Schienen von Musik, Text und Bewegung zu strukturieren, macht Okadas Handschrift aus.

Fast immer sind seine Figuren nah an der Depression, Melancholie und einem Stillstand gebaut, der eigentlich nicht mehr zu ertragen ist. In den konstant neben einander herlaufenden Spuren erhält ihr Unvermögen, aus sich herauszugehen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, eine Form, die etwas zugleich Komisches und Berührendes hat.

Tokada tourt seit ein paar Jahren mit seinen Stücken in Europa und war dabei auch schon mehrmals am Hau in Berlin zu Gast. Warum seine Charaktere so blass seien, wurde er beim Publikumsgespräch gefragt. Das, sagte er, frage nur ein europäisches Publikum. Trotzdem ist sein Stück mehr als der Blick auf eine Kultur, in der die Einübung in strenge Hierarchien eben eine größere Rolle spielt als hier. Denn das Verlangen nach dem flexiblen Subjekt, das ständig an seiner Verbesserung arbeitet und zumindest mal ein paar klangvolle Worthülsen dafür bereithält, wird auch hier geschürt. Da kommt ein Stück, in dem die neue Eiswaffel „Super Premium Soft Double Vanilla Rich“ Erwartungen weckt wie die Ankunft eines „Messias“, gerade recht.

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