Festival „Berlin is not Bregenz“: Oper an der Weddinger Stadtriviera
Mit Wagner im Strandbad Plötzensee: Hier brachte die Künstlergruppe glanz&krawall am Wochenende „Lohengrin vs. Tristan & Isolde“ zur Aufführung.
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„Wollt ihr schwimmen oder wollt ihr ins Theater?“, fragte die Security am Eingang zum Strandbad Plötzensee. Denn am letzten Freitag und Samstag wurde „Lohengrin vs. Tristan & Isolde“ gegeben an der Weddinger Stadtriviera.
Während sich die Badegäste im Wasser tummelten, nahmen die TheaterzuschauerInnen den Strand in Besitz. Auf Liegen, Stühlen, Sesseln und ganz profan auf dem Sand saßen nun Menschen mit einer gewissen Erwartungshaltung, denn sie hatten mehr bezahlt als die, die die Option „Schwimmen“ gewählt hatten.
Die Veranstalter, das Berliner Künstlerkollektiv glanz&krawall, hatten die Latte wieder mal ganz hoch gelegt: Zwei Wagner-Opern, die zusammen mehr als acht Stunden dauern, sollten gezeigt werden in zuschauerfreundlichen zwei Stunden. Zusätzlich hatte man die Chuzpe, einem eingespielten Akteur der Hochkultur, den Bregenzer Festspielen, den Kampf anzusagen mit der Parole „Berlin is not Bregenz“.
Theaterwiederholungstäter zogen eine Verbindung zum letztjährigen Festivalmotto „Berlin is not Bayreuth“ und erinnerten sich an den wunderbar schrägen und sehr unterhaltsamen Tannhäuser-Sängerwettstreit auf dem Künstler-Gelände der B.L.O.-Ateliers unweit des Ostbahnhofs.
Fanfaren und Schlauchboote
Punkt 19.30 Uhr ertönten nun Fanfaren am Plötzensee. Die Blasinstrumente, die live zum Einsatz kamen, beschallten technisch verstärkt, den ganzen See und veränderten den Blick auf ihn. Auf der Hüpfburg im See tollten immer noch Kinder, einige Tretboote durchpflügten das Wasser, und aus den Weiten des Sees schälten sich zwei Schlauchboote mit ungewöhnlicher Besatzung.
Vera Maria Kremers stand majestätisch aufrecht eingehüllt in Unmengen von blauem Tüll im Boot und hatte den Blick stoisch auf das Ufer gerichtet. Dann schritt sie auf den Strand zu und sang dabei die Isolde, begleitet vom Klavier und einem Horn. Die Sopranistin verkörperte Tristans Isolde und Lohengrins Elsa in Personalunion. Sie wechselte so oft die Rolle, dass ihre Figur zur fortgeschrittenen Stunde in ernste Identitätsprobleme schlitterte.
Tristan und Lohengrin waren klar zuzuordenen. Kara Schröder machte Tristan zu einer schwer ernst zu nehmenden Figur, Felix Witzlau hatte als Lohengrin einen Brustpanzer aus Bierflaschenetiketten (Kostüme: Sophie Schliemann) und verschaffte sich von Anfang an das Image als Kontrollfreak & Spaßbremse.
Marielle Sterra von „glanz&krawall“ hatte die szenische Einrichtung für die Teile des Abends übernommen, die sich direkt mit beiden Opern auseinandersetzten. Aus der inhaltlichen Komplexität beider Opern wurde die dargestellte Mann-Frau-Beziehung extrahiert, und genau daran arbeitete man sich ab. Gesungen wurde immer mal wieder, dazwischen aber ging es profan-verbal hoch her – auf dem schmalen Streifen Freiraum, den es zwischen den Liegen und den belegten Handtüchern noch gab.
Die emanzipatorische Gretchenfrage
Vera Maria Kremers beherrscht neben dem Gesang auch die Schauspielkunst. So war es herrlich anzusehen, wie sie Lohengrin mit dem Klemmbrett in der Hand fixierte. Der schärfte ihr ein, ihn nie nach seiner Identität zu fragen. Ihr Mund wurde langsam zur Schnute und ein langgezogenes „Okayyyy“ entkam ihm zögerlich.
Ortrud, bei Richard Wagner Elsas Widersacherin, wurde am Plötzensee zur Vorreiterin der Emanzipation. Die Szene der Oper, in der Ortrud Elsas Hochzeit mit dem geheimnisvollen Unbekannten verhindern will, entwickelte sich am Weddinger Sandstrand zu einem humorgestärkten Dialog über Abhängigkeiten und der Befreiung davon. Elsa wurde immer kleinlauter und Ortud (Monika Freinberger) stellte am Schluss die emanzipatorische Gretchenfrage: „Was wirst du nie wieder tun?“ – „Mich verlieben...“
U- und E-Musik wurden bei „Berlin is not Bregenz“ herzhaft vermischt. So schmachteten sich über eine Distanz von etwa 20 Metern zwei Mitglieder des Performance-Kollektivs „Tripletrips“ an. Da es langsam dunkel wurde über dem See, nahm man die beiden Gestalten auf den Hochsitzen der Badeaufsicht am Ende der Stege nur schemenhaft wahr.
Die herrliche Schnulze aber, in der sich beide die dementsprechenden Stichworte gaben, drang durch bis zum anderen Ufer. Immer wieder hörte man den strengen Ton einer Trillerpfeife, der unfreiwillig Teil der Inszenierung wurde.
Denn parallel zur Vorstellung übte ein Wasserballteam, und die ließen sich durch keinen theatralischen Effekt von ihrem Spiel abbringen. Und Lohengrin entschwand in die Weiten des Sees – gezogen vom inzwischen erschöpften Schwan (Dennis Depta), der einiges zu tun hatte als Fährdienst der Wasserbühne.
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