Fernwärme aus Biomasse in Berlin: Das Holz im Wald stehen lassen
Umwelt- und KlimaschützerInnen warnen davor, bei der Erzeugung von Fernwärme für Berlin künftig massiv auf Biomasse zu setzen.
Am Donnerstag schlugen Umwelt- und Klimaschutzorganisationen Alarm und warnten vor dieser „irrsinnigen Expansion“. Nabu, BUND, Deutsche Umwelthilfe, Robin Wood, Greenpeace, das Bürgerbegehren Klimaschutz, PowerShift und biofuelwatch kritisierten „klimaschädliche oder unrealistische Scheinlösungen“ und forderten den Senat auf, eine Wärmewende einzuleiten, „die ohne die Zerstörung von Wäldern und Klima auskommt“.
Die Rekommunalisierung der Fernwärme biete dazu die Gelegenheit, so die Organisationen, die auch ein Infopapier vorlegten, das ihre Argumente untermauern soll. Sie verweisen auf die erklärte Absicht von Vattenfall, bis 2030 ganze 17 Prozent der zur Wärmeerzeugung benötigten Energie in Biomassekraftwerken zu erzeugen. Heute beträgt der Anteil nur 1 Prozent. Die Pläne für den Bau von Biomassekesseln an den Standorten Klingenberg in Rummelsburg (bis 2027) und Reuter-West in Siemensstadt (bis 2026) seien weit fortgeschritten.
Dort würden dann – nach Rechnung der KritikerInnen – rund 900.000 Tonnen Holz im Jahr verfeuert (sogenanntes atro, also „absolut trockenes“ Holz). Laut Michaela Kruse vom Nabu ergibt sich aus dem angepeilten Anteil von 17 Prozent an allen Energieträgern jedoch rechnerisch ein Bedarf von 1,6 Millionen Tonnen – je nach Jahresertrag wären das zwei Drittel oder sogar der Gesamtheit der jährlichen Brandenburger Holzernte.
Auch Holz produziert CO2
Weil überall in Deutschland Holz als Alternative zu fossilen Brennstoffen angestrebt werde, sei das gar nicht darstellbar, so Kruses Fazit. Es trage aber darüber hinaus auch nicht zur Klimaneutralität bei: Denn Wälder und Forsten benötigten immerhin viele Jahrzehnte, um das CO2 wieder zu speichern, das bei der Verbrennung freigesetzt wird.
Vattenfall selbst operiert mit anderen Zahlen: „Bis Ende der 2030er Jahre“, heißt es in einem Papier des Konzerns, rechne man mit einem jährlichen Verbrauch von „etwa 450.000 bis 480.000 Tonnen“ Biomasse in Reuter-West, Klingenberg sowie einem bereits bestehenden kleinen Kraftwerk im Märkischen Viertel. Das wäre weniger als ein Drittel der vom Nabu errechneten Menge. Vattenfall verweist darauf, dass die neuen Anlagen durch Rückgewinnung von Wärme aus dem Rauchgas sehr effizient seien.
Der Konzern betont auch, dass er sich an die bestehende Nachhaltigkeitsvereinbarung mit dem Land Berlin halte und „hauptsächlich Waldrestholz und Agrarholz“ einsetze. Bei dem „Agrarholz“ handelt es sich um sogenannte Kurzumtriebsplantagen (KUPs), auf denen vor allem schnell wachsende Pappeln nach wenigen Jahren geerntet und zu Hackschnitzeln verarbeitet werden.
Vattenfall betreibt einige solcher Flächen in Brandenburg und Polen und will das in den kommenden Jahren „stark ausweiten“. Zudem sollen Altholz, „Landschaftspflegematerial“ aus Parks oder Straßengrün sowie Sägenebenprodukte eingesetzt werden.
Zu trocken für Pappeln?
Almuth Ernsting von biofuelwatch erteilt den Kurzumtriebsplantagen eine Absage: Sie verbrauchten viel Fläche, die etwa mit Photovoltaik effizienter energetisch genutzt werden könne, sie benötigten für einen wirtschaftlichen Betrieb aber auch günstige Bedingungen wie ausreichende Niederschläge. Darum seien in den vergangenen extrem trockenen Jahren die Erträge deutlich zurückgegangen. Europaweit wendeten sich Landwirte von diesem Modell wieder ab.
Für Matthias Krümmel vom BUND ist auch Altholz keine Lösung: Dessen Verbrennung auszuweiten, führe nur dazu, dass etwa die Spanplattenindustrie noch mehr frisches Holz verbrauche. Vielmehr müsse so viel Altholz wie möglich recycelt, also etwa zu Spanplatten verarbeitet werden. Diese „stoffliche Verwertung“ belaufe sich in Deutschland derzeit nur auf gut ein Viertel des anfallenden Altholzes, in Italien etwa mache sie über 80 Prozent aus. Ein Altholzkraftwerk plant derzeit übrigens auch die BSR in Neukölln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?